Gustav Ernst, Beste Beziehungen

Buch-Cover

Bevor üblicherweise Polizei, Rettung und Leichenbeschauer zum Tatort eilen, gibt es meist noch heftige Dispute auf emotionalstem Niveau oder überhaupt einen inneren Monolog des Irrsinns.

Wahnsinnsgespräche sind oft nahe am Small-Talk oder Familientratsch angesiedelt. Noch ist nicht geklärt, ob diese Gespräche bloß Vorboten für den Amok sind oder ob der gediegene Amok nicht durch diese Gespräche ausgelöst wird.

In Gustav Ernsts wundersamem Roman "Beste Beziehungen" wird gequatscht, was das Zeug hält. Lisa macht Franz fertig, weil er sich zu wenig um die Beförderung kümmert und das schöne Haus zu wenig würdigt, der Büroleiter eines Ministeriums hat ein sexuelles Verhältnis zur Ministerin eines anderen Ministeriums, ein sexuell weitschweifig ausgelegter Ehemann hält sich zu Hause neben seiner Frau noch eine Geliebte und ein perverser Deutschlehrer wird von den Schenkeln seiner Schülerinnen so lange verfolgt, bis er sich an seine Nichte heranmacht.

Was wir üblicherweise als Unglücke in Ratgebern oder auf der Chronikseite erleben, müssen wir Leser uns in voller Breite als Gespräch geben. Dabei schenkt sich und uns der Autor nichts.Einige Seiten lang versucht eine Frau, das Sexualgerät des impotenten Mannes in Schwung zu bringen und wird dabei immer ordinärer. Der Deutschlehrer spricht vom Krokodil, wenn er sein Gerät auspackt und allmählich geht das Kasperle-Theater mit dem Krokodil in einen ordentlichen Porno über. Die Ministerin schaut abseits der Pressekonferenz und nackt völlig abartig drein und spricht auch so, wenn sie den Jargon der Political Correctness verlässt.

Alle diese Gespräche verlaufen genau wie in der Wirklichkeit, das sind fiktionale Mitschnitte einer brutal erotisierten Welt, worin die Helden völlig hilflos agieren. Als die Helden und somit der Roman schon fast am Ende sind, eskaliert die Szenerie. Der gekränkte Franz nimmt eine Hacke und zerhackt fein säuberlich seine Familie, im Ministerium fliegen die sexuellen Machenschaften auf und der perverse Pädagoge wird neben seiner fassungslosen Frau verhaftet. In den diversen Verhören geben letztlich alle zu Protokoll, irgendwie überfordert gewesen zu sein.

Gustav Ernsts Roman ist sicher das aufregendste und schärfste, was in letzter Zeit auf dem Sektor Familienidylle und sexuelle Überforderung erschienen ist. Das Schlüsselwort "Beste Beziehungen" entlarvt ein Netzwerk, in dem es von Abhängigkeiten, Erpressungen und bitteren Anschuldigungen nur so wimmelt. Die Sprache der letztlich sprachlosen Typen wird skurril wie in einem Comic, wenn das öffentliche Drehbuch beiseitegelegt ist und persönlich zur (meist sexuellen) Sache geschritten werden muss. Und natürlich sind die Figuren alle waschechte Österreicher mit eingeklemmter Seele und widerborstiger Sprache.

Nach der Lektüre hat man als Leser plötzlich ein feines Gehör für sinnlose Gespräche. Und wer ein bisschen hinein hört, wie diese österreichischen Helden reden, merkt die Hinterfotzigkeit, mit der sie ihre besten Beziehungen betreiben. - Schonungslos entlarvend!

Gustav Ernst, Beste Beziehungen. Roman.
Innsbruck: Haymon 2011, 211 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-85218-677-1

 

Helmuth Schönauer, 27-04-2011

Bibliographie

AutorIn

Gustav Ernst

Buchtitel

Beste Beziehungen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

211

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-677-1

Kurzbiographie AutorIn

Gustav Ernst, geb. 1944 in Wien, lebt in Wien.

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