Die Darstellung des Alters in Kinder- und Jugendbüchern

Nicht nur für Erwachsene, auch für Kinder und Jugendliche  ist das Thema Alter von großer Bedeutung. Besonders wichtig dabei ist die Art, wie ältere Menschen in Kinder- und Jugendbüchern dargestellt werden. Dies beeinflusst ihre kindlichen Vorstellungen vom Alter sowie die Einstellungen zum Älterwerden und zu älteren Menschen.

Bis heute sind mehr als 500 Werke zu diesem Thema erschienen, jedoch gibt es nur wenige deutschsprachige Untersuchungen, die sich der Darstellung des Alters in der Kinder- und Jugendliteratur widmen (vgl. Pries - Kümmel 2005, 173 ff.).

Ein wichtiges Anliegen von Pries-Kümmel  war, zuerst die Realität älterer Menschen zu erfassen, um auf dieser Basis Vergleiche mit literarischen Darstellungen ziehen zu können. Im nächsten Schritt untersuchte sie Kinder- und Jugendbücher auf folgende Fragen:

  • Welche Aspekte des Alters kommen vor?
  • Welche Aspekte werden unterschlagen?
  • Finden sich in den Büchern Sonnen- und Schattenseiten des Alters?

Im Grundsatzerlass zur Leseerziehung steht unter Bedeutung und Funktionen des Lesens unter anderem, dass Lesen die Gestaltung von Beziehungen fördert. Dadurch hat Lesen eine wichtige Bedeutung für die individuelle Entwicklung im kognitiven, emotionalen, sozialen, kreativen und pragmatischen Bereich und schafft Grundlagen für selbst bestimmtes und selbst organisiertes Denken, Bewerten und Handeln im privaten, beruflichen und öffentlichen Leben.

1. Entwicklungslinien relevanter Kinder- und Jugendbücher bis zu den 1980er Jahren

Bis 1960 erschienen kaum Kinder- und Jugendbücher, deren Titel auf das Vorkommen älterer Menschen hingewiesen hätte (vgl. Ockel 1989, 178). In Büchern, die in den 1960er Jahren gedruckt wurden, werden sie als gutmütige und hilfsbereite Randfiguren dargestellt.

In den wenigen Büchern, in denen sie eine größere Rolle spielen, zeigen diese zwar Alterserscheinungen wie Krankheiten und Gebrechen, doch sie werden nicht thematisiert. In den bekannten Heidi-Bänden von Johanna Spyris steht die Beziehung zwischen Heidi und dem Öhi im Mittelpunkt, auch kommt die Großmutter von Geißenpeter vor, Spyri geht aber nicht auf die Alterserscheinungen ein.

Die Beschäftigung von Beschwerden und Problemen älterer Menschen wurden lange Zeit als nicht kindgemäß angesehen und sie kamen, wenn überhaupt, nur am Rande vor.

1.1 Idealisierung und Zentrierung in den 1960er Jahren

In den 1960er Jahren ändert sich das. Ins Zentrum rücken Großelternfiguren, die neben den Kindern die wichtigste Rolle spielen. Dies ist bereits in den Titeln erkennbar wie z.B. in den Urgroßväter-Bänden von James Krüss Mein Urgroßvater und ich oder Mein Urgroßvater, die Helden und ich. In den Oma-Büchern  von Ilse Kleberger wie z.B. Unsere Oma (1964 erschienen), zeigt sich, dass sich die Idealisierung nicht nur auf die Beziehung zwischen Alt und Jung bezieht , sondern auch auf die Figur des Älteren. In den zuerst genannten Oma-Bänden von Kleberger steht eine allwissende, alleskönnende, furchtlose und gleichzeitig verständnisvolle Großmutter im Mittelpunkt , die bei den kindlichen Lesern für Spaß sorgt und sympathisch wirkt.

1.2 Wende zum Realismus und Alter als Kernthema in den 1970er Jahren

Die Kinder- und Jugendliteratur verstand sich in 50er und frühen 60er Jahren als unpolitisch. Das änderte sich Ende der sechziger Jahre. Nun wurde die  soziale Wirklichkeit und die momentane gesellschaftliche Situation  abgebildet. Themen wie das Leben in der Dritten Welt unter Diktatur oder Apartheit, neue Familienformen, Leben mit Behinderung oder Alter wurden dargestellt . Die Absicht war es, Vorurteile gegenüber älteren Menschen abzubauen und Verständnis für ihre Lebenssituation zu wecken.

Das Buch Servus Opa, sagte ich leise von Elfie Donnelly beschäftigt sich mit dem körperlichen Verfall eines alten Menschen. Indem der krebskranke Opa kein Geheimnis aus seiner Krankheit macht, spricht sich die Autorin für einen offenen Umgang mit dem Thema Krankheit und Tod aus.

Ein wahrer Alters-Boom brach in der Kinder-und Jugendliteratur aus, nachdem Peter Härtling mit dem Buch Oma (1975) so erfolgreich war (1976 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis  ausgezeichnet). Darin geht es um Kalle, der seine Eltern verliert und von seiner Großmutter aufgenommen wird.

1.3 Individualisierung und Darstellung von Bedürfnissen Älterer in den 1980er Jahren

Nun richtet sich der Blick auf die Eigenarten und Fähigkeiten älterer Menschen sowie auf ihren Charakter. Sie werden nicht länger auf ihre Großeltern-oder Alten-Rolle beschränkt, sondern lösen sich aus engen familiären Traditionen. So etwa in dem Buch Die Oma gibt dem Meer die Hand  (1982) von Ferra-Mikura, in dem die aufopferungsvolle Großmutter sich endlich von ihrer undankbaren Familie löst und sich einen lang ersehnten  Wunsch erfüllt: Sie fährt ans Meer. Zum neuen Bild und der Loslösung der Alten-Rolle gehört auch, dass Großelternfiguren unkonventionell leben und neue Partnerschaften eingehen. Sehr bekannt geworden sind in den 1980er Jahren Opa steht auf rosa Shorts von Kirsten Boie oder Alter John von Peter Härtling.

2. Das Alter in den Kinder- und Jugendbüchern der 1990er Jahren

In den altersthematisierenden Kinder- und Jugendbüchern ist, wie in 70er Jahren, die Beziehung zwischen Alt und Jung von großer Bedeutung.

Erzählt werden lustige, spannende und aufregende Abenteuer. Bis auf einige Ausnahmen, in denen die Kontakte zwischen den Generationen auf Mitleid aufgebaut sind und sich negativ entwickeln, stellen  Ältere eine Bereicherung und Unterstützung dar, sowohl in lebenspraktischen Dingen des Alltags, als auch als Anlaufstelle in Problem- und Krisenzeiten der jungen Generation. Sie vermitteln im Familienstreit und bieten den Kindern alle Unterstützung an.

Umgekehrt geben viele junge Figuren den älteren einen Lebenssinn,  auch wenn diese nicht verwandt sind. Gerade die Spontaneität und Unvoreingenommenheit der Jugend ermöglicht es ihnen, wertfrei auf Mitmenschen zuzugehen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Kinder- und Jugendbücher mit dieser Konstellation auf neue gesellschaftliche Strömungen reagieren: Es gibt weniger  Kinder bzw. Enkelkinder, Familien leben häufig getrennt und die räumliche Nähe wird sowohl von Großeltern als auch den Enkeln vermisst, da können außerfamiliäre Kontakte zwischen älteren und jüngeren Menschen bedeutend sein.

2.1 Der Gesundheitszustand älterer Menschen im Brennpunkt

Die vorliegende Untersuchung ergab, dass gesundheitliche Störungen von großer Bedeutung in den Kinder- und Jugendbüchern sind, jedoch nicht überbetont werden. Die meisten älteren Figuren sind weder hilfs- noch pflegebedürftig, sondern stehen aktiv im Leben (vgl. Pries-Kümmel 2005, 291, 275 sowie 362ff.). Trotzdem werden Krankheiten des Alters nicht verschwiegen. Die dargestellten Beschwerden werden weitgehend realistisch dargestellt. Das betrifft körperliche und psychische Krankheiten gleichermaßen.

Neu ist nun in der Kinder- und Jugendliteratur, dass ganz bewusst eine seelisch-geistige Krankheit eines älteren Menschen in den Mittelpunkt rückt.

Das Buch Manons Oma von Bettina Obrecht beschreibt den langsamen Abbau der Großmutter Manons, einem 8-jährigen Mädchen, das gegen Ende der Erzählung 13 Jahre alt ist.  Darin wird die langsam fortschreitende Demenzkrankheit der Oma erzählt und nur die Nachbarin der Großmutter spricht mit dem Mädchen darüber, denn die eigene Familie geht auf ihre Fragen nicht ein und versucht die Krankheit zu verheimlichen.

Sehr positiv an dem Buch ist, dass es den Krankheitsverlauf und seine Symptome für Kinder treffend und realitätsnah wiedergibt. Hingegen wird  Manon mit ihrer Angst und Traurigkeit allein gelassen und auch der Umgang mit Oma von Seiten der Familie ist lieblos.

Besser gelöst wird dies im Buch Tage mit Goldrand (1994) von Diane Broeckhoven.

Eine 15-Jährige kümmert sich gemeinsam mit ihrem Freund mit viel Einfühlungsvermögen und Phantasie um eine an Alzheimer erkrankte Frau.

3. Neue Tendenzen und Ausblick

Neu ist seit den 90er Jahren, dass psychische Erkrankungen in den untersuchten Büchern erstaunlich differenziert und realistisch wiedergegeben werden. Diese realistische Abbildung geht jedoch oft zu wenig mit einer einfühlsamen, hilfreichen Darstellung einher. In Wirklichkeit erhalten junge Menschen in schwierigen Situationen keine ausreichende Unterstützung (vgl. Pries-Kümmel 2005, 487).

Unbestritten ist jedoch die Tendenz  zur Darstellung psychischer Zustände  wie der Demenz und Depression  sowie der Darstellung außerverwandtschaftlicher Beziehungen(vgl. Pries-Kümmel 2005, 487).

Quellen:

Grundsatzerlass Leseerziehung; Erlass des Bundesministeriums für Unterricht  und kulturelle Angelegenheiten GZ 29.540/4-V/3c/99

Pries-Kümmel, Elisabeth: Alte Menschen in Kinder- und Jugendbüchern. In: kjl&m 08.3, forschung.schule.bibliothek, 60. Jahrgang, 3.Vj.2008  S.71-78



Quelle oder Autor/-in: Waltraud Plank (RE)

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