Noam Chomsky, ein Don Quichote im Kampf gegen die Mächtigen der Welt

"Die Massenmedien im eigentlichen Sinn haben im wesentlichen die Funktion, die Leute von Wichtigerem fernzuhalten. Sollen die Leute sich mit etwas anderem beschäftigen, Hauptsache, sie stören uns nicht ... Die wichtigen Angelegenheiten bleiben den großen Tieren vorbehalten: Wir kümmern uns darum."

Diese Kritik an den großen Massenmedien der Gegenwart stammt von einem der angesehensten Sprachwissenschaftler der Gegenwart. Zunächst mit der theoretischen Analyse der Sprache beschäftigt, engagiert er sich immer stärker für die Armen und Unterdrückten der Welt und beginnt die Unterdrückungsmethoden der Reichen und Mächtigen aufzudecken. Die Rede ist vom Sprachphilosophen Noam Chomsky, der am 7. Dezember seinen 75. Geburtstag feiert. Grund genug einen der bedeutendsten Kritiker der Gegenwart vorzustellen und zu Wort kommen zu lassen.

Avram Noam Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geboren. 1945 begann er an der Universität in Pennsylvania Philosophie und Linguistik zu studieren. Ab 1950 studierte er für einige Jahre an der Universität in Harvard, kehrte dann aber wieder nach Pennsylvania zurück, wo er mit seiner Doktorarbeit The Logical Structure of Linguistic Theory promovierte. Diese grundlegendsten Ideen dieser Arbeit finden sich auch in seinem 1957 veröffentlichten Buch Syntactic Structures wieder, das zu einem der bekanntesten Werke der Linguistik werden sollte.

Seit 1961 ist Noam Chomsky als ordentlicher Professor für Linguistik und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology tätig. Seine Arbeiten zur Sprache, in denen die natürlichen Sprachen formalisiert werden, spielen in der Informatik, insbesondere in der Komplexitätstheorie und im Compilerbau eine überragende Rolle. Chomsky gilt heute als einer der wichtigsten Theoretiker auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft.

Die Neuerung war, die einzelsprachlichen Ausdrücke mit Hilfe einer Metasprache rekursiv zu definieren. Die aus der Metasprache abgeleiteten Klassen von Grammatiken können in eine Hierarchie eingeteilt werden, die heute Chomsky-Hierarchie genannt wird. Seine Arbeit stellt einen wichtigen Meilenstein für die Linguistik dar.? Wikipedia: Noam Chomsky

Seit den 60iger Jahren beginnt sich Chomsyk neben seinen sprachwissenschaftlichen Forschungen immer stärker politisch in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Er gilt heute als einer der prominentesten und heftigsten Kritiker an der derzeitigen Weltordnung, wobei er besonders scharf den amerikanischen Imperialismus anprangert. Es seit dieser Zeit keine Krise, zu der sich Noam Chomsky nicht öffentlich in Form von Interviews, Artikel oder Büchern, die weltweit in hohen Auflagen verkauft werden, geäußert hätte.


Noam Chomsky als Comic-Figur, in der er sein kritisches Verhältnis gegenber  den amerikanischen Medien persifliert wird.    Bildausschnitt: Postmodern Haircut

 

Mit großer Präzision analysiert Chomsky die zentrale Rolle der großen Massenmedien in den Industrieländern, deren Aufgabe er im wesentlichen darin erblickt, die Menschen von den wichtigen politischen Dingen, von den Entscheidungen der Macht abzulenken und fernzuhalten.

[...] Wenn man die Medien oder eine beliebige Institution verstehen will, stellt man sich zunächst einmal Fragen nach ihrer inneren Struktur. Zweitens wird man sich dafür interessieren, welche Rolle sie im Rahmen der Gesamtgesellschaft spielen: In welcher Beziehung stehen sie zu anderen Systemen von Macht und Autorität? Und schließlich gibt es, wenn man Glück hat, Akten und Aufzeichnungen führender Leute im Mediensystem, aus denen man erfahren kann, welche Ziele sie verfolgen.

Das ist wichtig, da wir es mit einem ideologischen System zu tun haben. Ich meine natürlich nicht die üblichen Public-Relations-Veröffentlichungen, sondern das, was diese Leute sich gegenseitig über ihre Absichten mitteilen. Und was das betrifft, gibt es eine Menge interessantes Material.

[...] Die Massenmedien im eigentlichen Sinn haben im wesentlichen die Funktion, die Leute von Wichtigerem fernzuhalten. Sollen die Leute sich mit etwas anderem beschäftigen, Hauptsache, sie stören uns nicht (wobei "wir" die Leute sind, die das Heft in der Hand halten). Wenn sie sich zum Beispiel für den Profisport interessieren, ist das ganz in Ordnung. Wenn jedermann Sport oder Sexskandale oder die Prominenten und ihre Probleme unglaublich wichtig findet, ist das okay. Es ist egal, wofür die Leute sich interessieren, solange es nichts Wichtiges ist. Die wichtigen Angelegenheiten bleiben den großen Tieren vorbehalten: "Wir" kümmern uns darum.

[...] Als erstes sieht man sich also die Struktur des gesamten Systems an. Was erwartet man angesichts dieser Struktur als Resultat? Das ist eigentlich recht offensichtlich. Nehmen wir zum Beispiel die New York Times. Die New York Times ist ein Großunternehmen, das ein Produkt verkauft. Das Produkt sind die Leser. Das Unternehmen verdient sein Geld nicht mit dem Verkauf seiner Zeitung. Die Zeitung selbst wird sogar kostenlos ins Internet gesetzt. Tatsächlich verliert das Unternehmen heim Verkauf der Zeitung sogar Geld.

Wie auch immer, die Leser sind das Produkt, und sie gehören genau wie die Leute, welche die Zeitung machen, zu den höheren, privilegierten Schichten, denen, die in unserer Gesellschaft die Entscheidungen treffen. Für ein Produkt braucht man einen Markt, und dieser Markt sind natürlich die Werbekunden der Zeitung, mit anderen Worten, andere Wirtschaftsunternehmen. Das Produkt der Medien, ganz gleich, ob wir vom Fernsehen, den Zeitungen oder anderen Medien sprechen, ist immer das jeweilige Publikum. Unternehmen verkaufen ihr jeweiliges Publikum an andere Unternehmen. Und im Fall der Elitemedien handelt es sich dabei um Großunternehmen.


Der Sprachphilosoph Noam Chomsky hat knapp 60 Bücher über US-Interventionismus in den Entwicklungsländern, die politische Ökonomie der Menschenrechte und die Propagandarolle der
Medien in der Gesellschaft geschrieben
. Foto: The London School of Economics and Political Science

 

[...] Mit was für einem Resultat ist also zu rechnen? Wie wird das Medienprodukt angesichts dieser Umstände aussehen? Was für Voraussagen würde man machen, wenn man den bisher zugrunde gelegten Annahmen keine weiteren hinzufügt, oder anders gesagt, was wäre eine vernünftige Nullhypothese? Die nächstliegende Vermutung wäre dann, dass das Medienprodukt, das heißt, die Auswahl dessen, was in den Medien vorkommt und wie es vorkommt, die Interessen der Käufer und der Verkäufer des Produkts sowie der Institutionen und Machtzentren, unter deren Einfluss sie stehen, widerspiegelt. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn das nicht der Fall wäre.

Chomsky-Archiv: Warum die Mainstreammedien "Mainstream" sind. Vortrag im Z Media Institute. Übersetzung des Vortrags aus dem Z-Magazine, Juli 1997

 

Die vehemente und heftige Kritik an den großen Massenmedien hat in Amerika schließlich dazu geführt, dass Chomsky in den amerikanischen Massenmedien keine Öffentlichkeit mehr findet. Obwohl er von der New York Times als einer der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart? und als "bekanntester Dissident der Welt" bezeichnet wurde, wird er von den Mainstream-Medien und im politischen Diskurs weitgehend ignoriert.

In den weiterführenden Links finden Sie Artikel von Noam Chomsky und zahreiche seiner Interviews ebenso, wie detaillierte Informationen zu seinem Leben und Werk. Die vollständige Liste der auf deutsch erschienenen Literatur ist auf der Internetsite des Noam-Chomsky-Archivs aufgelistet.

 

Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 18-11-2005

Redaktionsbereiche

Lesen