Karl Kraus im Internet

Vor 75 Jahren starb der sprachgewaltige altösterreichische Schriftstellers Karl Kraus. Seit Anfang 2007 können die gesamten Texte, der von ihm herausgegebenen Kulturzeitschrift Die Fackel, im Internet nachgelesen werden.

Karl Kraus gilt als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts und ging als Herausgeber der literatur- sprach- und gesellschaftskritischen Zeitschrift Die Fackel und mit seiner umfangreichen Tragödie zum 1. Weltkrieg Die letzten Tage der Menschheit in die Weltliteratur ein.

Seit Anfang 2007 wurden nicht nur auf der Online-Literatursammlung Projekt Gutenberg? zahlreiche kritische Texte und Aphorismen von Karl Kraus erstmals allen LeserInnen und BenutzerInnen freigegeben. Seit Jahresbeginn stehen auf der Internet-Site Austrian Academy Corpus 22.500 Seiten der Gesamtausgaben der Zeitschrift Die Fackel? von Karls Kraus allen interessierten BesucherInnen sowohl als Original-Faksimile als auch als digitaler Text kostenlos zur Verfügung. Das gesamte Werk ist außerdem mit einer Volltextsuche versehen. Wichtig ist es zu beachten, dass alle die einen Zugang auf die Internet-Site erhalten wollen, sich erst anmelden müssen und erst mit dem frei und gratis erhätlichen Zugangscode die Angebote der Internet-Site in Anspruch nehmen können.

Karl Kraus wurde 1874 als Sohn einer jüdischen Papierfabrikantenfamilie in Böhmen geboren, die 1877 nach Wien umzog. 1892 begann Kraus Jus, später Philosophie und Germanistik zu studieren, ohne das Studium jedoch abzuschließen. 1899 gründete der Schriftsteller die Zeitschrift Die Fackel, die 37 Jahre lang in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen erscheinen sollte.


Mit 25 Jahren begründete Karl Kraus die Zeitschrift Die Fackel mit dem Vorsatz, Clubfanatikern und Fractionsidealisten die Stirn bieten zu wollen. Die meisten Beiträge während des 37-jährigen Bestehens der Zeitschrift stammen von Karl Kraus selbst.

Der Schriftsteller und Theaterkritiker Hans Weigel beschrieb den widerspenstigen und unbestechlichen Charakter von Karl Kraus in seinem Buch: Karl Kraus oder die Macht der Ohnmacht (S.9) folgendermaßen:

Karl Kraus [...] hat als junger Mann von fünfundzwanzig Jahren verwirklicht, wovon jeder kluge, selbständige Unzufriedene jeder Zeit träumt: er hat sich ein Forum geschaffen, um ohne Rücksichten und Hemmungen, jenseits aller Cliquen und Bindungen in absoluter Freiheit seine Meinung zu äußern, zu kritisieren, anzuklagen, zu kämpfen [?]

Er hat von seinem fünfundzwanzigsten Jahr bis zu seinem Tod nur getan, was er wollte. Und er hat, zweitens, ein einziges, das er wollte, und das, wie ich glaube, seine restlose und letzte Erfüllung gewesen wäre, nicht zu tun vermocht und war darum verurteilt, es sein Leben lang auf Umwegen zu umkreisen und nur indirekt, behelfsmäßig zu verwirklichen. Er war im Grund seines Herzens Schauspieler, besser Theatermensch; und er konnte nicht zum Theater.

So [...] mußte ihm, was vielleicht nur Nebenbei gewesen wäre, zur Hauptsache, und, wo immer denkbar, dem Theater angenähert werden: Wenn ich vortrage, so ist es nicht gespielte Literatur. Aber was ich schreibe, ist gedruckte Schauspielkunst. Und: Ich bin vielleicht der erste Fall eines Schreibers, der sein Schreiben zugleich schauspielerisch erlebt.
Wikipedia: Karl Kraus

Karl Kraus gilt heute als einer der ganz großen Meister der deutschen Sprache, für den sich die Missstände in der Welt in der Verwendung der Sprache widerspiegelten. Im katstrophalen Umgang mit der Sprachen kam für ihn der katastrophale Umgang mit der Welt im Allgemeinen offen zum Ausdruck. Sprache war für ihn kein Mittel, um bereits vorgefertigte Meinungen zu verbreiten, sondern das Werkzeug des Denkens selbst, das deshalb ständig einer kritischen Reflektion unterzogen werden müsse.

Seine Kritiker warfen ihm vor, ob seiner übermäßigen Sprachkritik, die Kritik an den Inhalten vergessen zu haben. Bereits in der ersten Ausgabe der Zeitschrift  Die Fackel stellte Kraus die Unabhängigkeit in jedweder Hinsicht als ihr Leitmotiv heraus:

In einer Zeit, da Österreich noch vor der von radicaler Seite gewünschten Lösung an acuter Langeweile zugrunde zu gehen droht, in Tagen, die diesem Lande politische und sociale Wirrungen aller Art gebracht haben, einer  Öffentlichkeit gegenüber, die zwischen Unentwegtheit und Apathie ihr phrasenreiches oder völlig gedankenloses Auskommen findet, unternimmt es der Herausgeber dieser Blätter, der glossierend bisher und an wenig sichtbarer Stelle abseits gestanden, einen Kampfruf auszustoßen.

Der ihn wagt, ist zur Abwechslung einmal kein parteimäßig Verschnittener, vielmehr ein Publicist, der auch in Fragen der Politik die Wilden für die besseren Menschen hält und von seinem Beobachterposten sich durch keine der im Reichsrath vertretenen Meinungen locken ließ.
Freudig trägt er das Odium der politischen Gesinnungslosigkeit auf der Stirne, die er, unentwegt wie nur irgendeiner von den ihren, den Clubfanatikern und Fractionsidealisten bietet.

Das politische Programm dieser Zeitung scheint somit dürftig; kein tönendes Was wir bringen, aber ein ehrliches Was wir umbringen hat sie sich als Leitwort gewählt. Was hier geplant wird, ist nichts als eine Trockenlegung des weiten Phrasensumpfes, den andere immerzu national abgrenzen möchten.
AAC: Die Fackel, Heft 1, 1899 S. 1-2


Seit Anfang 2007 steht die 22.500 Seiten umfassende Gesamtausgabe der Zeitschrift Die Fackel online allen interessierten LeserInnen zur Verfügung. Das gesamte Werk ist außerdem mit einer Volltextsuche versehen.

Eine weitere Möglichkeit Texte von Karl Kraus zu lesen bietet ebenfalls seit Jahresbeginn das Projekt Gutenberg?, wo zahlreiche frei zugängliche Texte und Aphorismen l zu finden sind, wie z.B.:

  • 1915
  • Eros, Moral, Christentum
  • Kunst
  • Sprüche und Widersprüche
  • Zeit
  • Zufälle, Einfälle, Stimmungen, Worte
  • Der Reim
  • Die Schuldigkeit
  • Eine neue Form der Banalität
  • Glossen /1
  • Lob der verkehrten Lebensweise
  • Sprachlehre
  • Verbrecher gesucht
  • Von den Gesichtern
  • Von den Sehenswürdigkeiten
  • Weihnacht

Abschließend noch ein paar Zitate von Karl Kraus, in denen die Schärfe seines Denkens und seine sprachliche Virtuosität zum Ausdruck kommen.

  • Philosophie ist oft nicht mehr als der Mut, in einen Irrgarten einzutreten. Wer aber dann auch die Eingangspforte vergißt, kann leicht in den Ruf eines selbständigen Denkers kommen.
  • Die Welt ist ein Gefängnis, in dem Einzelhaft vorzuziehen ist.
     
  • Bildung ist eine Krücke, mit der der Lahme den Gesunden schlägt, um zu zeigen, dass er auch bei Kräften ist.
     
  • Gedanken sind zollfrei, aber man hat doch Scherereien.
     
  • Bei gleicher Geistlosigkeit kommt es auf den Unterschied der Körperfülle an. Ein Dummkopf sollte nicht zu viel Raum einnehmen.
     
  • Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge einen Schatten.
     
  • Ein Blitzableiter auf einem Kirchturm ist das denkbar stärkste Mißtrauensvotum gegen den lieben Gott.
     
  • Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.
    Natune: Zitate von Karl Kraus

 

 

Weiterführende Links:
Projekt Gutenberg: Karl Kraus
Austrian Academic Corpus: Die Fackel
Wikipedia: Karl Kraus
Literaturepochen: Karl Kraus
Aurora-Magazin: Karl Kraus und das Judentum
Zitate und Sprichwörter: Karl Kraus Zitate

 

Andreas Markt-Huter, 23-02-2007
aktualisiert: Andreas Markt-Huter, 24-06-2011

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