Wenn Kinder hassen lernen - Das Schulbuch im Dritten Reich

Beschäftigt man sich kritisch mit der Kinder- und Jugendliteratur der NS-Zeit, so bedarf es auch einer intensiven Auseinandersetzung mit der Weltanschauung und den politischen Zielen des Dritten Reiches. Unerlässlich ist es hierbei, sich mit der Originalquelle Mein Kampf - der Bibel der Nationalsozialisten zu beschäftigen.

In den von Fehlern behafteten und literarisch wenig wertvollen Ausführungen Adolf Hitlers werden bereits viele erziehungspolitische Ziele klar definiert, die später mit einer nicht zu überbietenden Brutalität gnadenlos umgesetzt wurden.

So schreibt Hitler:

Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muß ihre Krönung darin finden, daß sie den Rassesinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt. Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt worden zu sein. (Hitler 1933, S. 475 f.)

Dieses Erziehungsziel geht Hitler 1933 dann auch mit erschreckender Konsequenz an: Um seine Ziele zu erreichen, setzt er auf eine Jugend, die ihren Geist nicht mit Wissenschaft und Intellekt unnötig belastet. In Mein Kampf erläutert Hitler auch seine Gedanken über die Schulbildung und benennt bereits hier drei seiner Ansicht nach nötige Änderungen. Unter der Teilüberschrift Keine Überlastung des Gehirns schreibt er:

Erstens soll das jugendliche Gehirn im allgemeinen nicht mit Dingen      belastet werden, die es zu 95 Prozent nicht braucht und daher auch wieder          vergisst (...). (Hitler 1933, S. 464 f.)

Ab Juli 1933 bedurfte jedes Erscheinen einer Kinder- oder Jugendlektüre der Zustimmung der Reichsstelle für das Jugendschriftentum, die dem Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung direkt unterstellt war. Um so mehr, wurde bei den Schulbüchern darauf geachtet, den propagandistischen Plänen des neuen Regimes zu dienen. Spätestens mit dem Erlass des Erziehungsministeriums Vererbungslehre und Rassenkunde in den Schulen vom 15. Januar 1935 waren alle deutschen Schulen angewiesen, ihren Unterricht in der gewünschten Form abzuhalten. Und ab 1938 wurde auch vor keinem Schulbuch mehr Halt gemacht. So fing man bereits bei den Leseanfängern damit an, die Ideologie des Führers in die jungen Köpfe zu bringen. In Westermanns Groß-Berliner Fibel - Erstes Lesebuch für die Kinder Großberlins ist bereits 1935 eine stark propagandistische Text- und Bildgestaltung festzustellen.


Auf dem Bild von Seite 1 schmücken zahlreiche Hakenkreuzfahnen eine Parade der NSDAP, die jubelnde Menge hebt die Hand zum Hitlergruß und die neu erlernten Wörter  eile Uwe eile hole Mimi werden von einem sechsfachen heil umrahmt. (vgl. Westermann 1935, S. 1)

 

 

Im selben Buch findet man auch eine Zeichnung, die ein Mädchen in Uniform der Jungmädelschaft zeigt, das Adolf Hitler einen Blumenstrauß überreicht. Darunter steht geschrieben:

Mein Führer! (Das Kind spricht:)
 Ich kenne dich wohl und habe dich lieb - wie Vater und Mutter.                     
Ich will dir immer gehorsam sein - wie Vater und Mutter                               
Und wenn ich groß bin, helfe ich dir - wie Vater und Mutter                          
Und freuen sollst du dich an mir - wie Vater und Mutter.                           
(Westermann 1935, S. 65)

Hier versucht der Autor auf verwerfliche Weise, Hitler auf eine Stufe mit Vater und Mutter zu stellen und den Kindern frühzeitig ein Treue-Versprechen abzuringen. Vergleicht man die Schulbuchinhalte der unterschiedlichen Jahrgangsstufen, so lässt sich ein systematischer Aufbau ideologischer Vermittlung feststellen. Versucht man in den unteren Klassen noch, mit bunten Bildern Einstellungen zu vermitteln, geschieht dies in den späteren Jahren mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Linientreue beweist hier auch Herbert Göbel mit seinem Schulbuch Deutsche Geschichte.

Die selektierten Geschichtsthemen werden fast ausnahmslos aus dem nationalsozialistischen Objektiv betrachtet. Selbst das Mittelalter erfährt bei Göbel eine völlig neue Betrachtungsweise. So schreibt er zu den Folgen der Kreuzzüge:

Entsetzlich waren die rassischen Auswirkungen der Kreuzzüge. Denn die Kreuzfahrer waren zum größten Teil nordische Menschen, deren Blut      nutzlos im asiatischen Raum verströmte. Die Kreuzzüge haben die starke Entnordung der Völker Europas eingeleitet und damit unersetzbare Verluste herbeigeführt.
(Göbel 1938, S.64)

Die Reihe der Feinde, die Göbel seiner Leserschaft aufzählt, ist lang. Sie reicht von Juden und Marxisten, die er als Totengräber Deutschlands  bezeichnet, über die Volksverräter in Reihen des Zentrums bis hin zum Völkerbund, der sich in der Unterdrückung Deutschlands immer einig gewesen sei. (vgl. Göbel 1938, S. 230 ff) Zur Schaffung des Feindbildes dient auch der Versailler Vertrag, dessen Folgen Göbel auf zehn Seiten thematisiert. Unter dem Titel Das Diktat von Versailles,  28. Juni 1919. schreibt Göbel:

Während Deutschland durch Verrat, Feigheit und Niedertracht von Marxisten, Zentrum und Juden zerfleischt wurde, hatten die Vertreter der Feindmächte ein höllisches Werk ausgeklügelt, dem Deutschland für alle Zeit erliegen sollte. Es war der Friedens-Vertrag, die Schandtat von Versailles!
(Göbel 1938, S. 232)

Mit der immer wieder zu populistischen Zwecken verwendeten Dolchstoßlegende versuchte sich die Hitlerregierung bereits bei der jüngeren Generation die Rechtfertigung für einen eventuellen Krieg einzuholen. Auch der Hass gegen die jüdische Bevölkerung sollte weiter geschürt sein und so wird im Kapitel Der Jude - der große Betrüger erklärt, wer die Schuld an der Inflation trägt. Und so hat Göbel  eine Erklärung für die Armut der Deutschen parat:

Die Not steigt. Tausende von Deutschen wählen den Freitod. Die Juden aber mästen sich am deutschen Volke. Die als lumpige Bettler in schmierigen Kaftanen ankamen, haben jetzt prunkvolle Villen und die   neuesten Autos, sie prassen und schlemmen, aber verarmte deutsche Frontkämpfer müssen auswandern, weil die Heimat sie nicht ernähren kann. (...)
(Göbel 1938, S. 250)

Und so wird in Göbels Werk die Deutsche Geschichte dahingehend manipuliert, dass sie der Ideologie des Nationalsozialismus zu Gesicht steht.

Dass für Hitler nur eine gesunde Nachkommenschaft von Nutzen war, das machte er mit seinem Euthanasie-Gesetz deutlich. Die moralische Rechtfertigung holte er sich mit Hilfe des Schulunterrichts ein. So zeigt die Darstellung in dem beschriebenen Biologiebuch von Dr. Jakob Graf die Abbildung eines gesunden, starken, blondhaarigen Deutschen, der auf seinen Schultern zwei behinderte Menschen trägt.


Die Abbildung wird mit den Worten kommentiert: Hier trägst Du mit! Ein Erbkranker kostet bis Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50.000 RM. (Graf 1943, Tafel 25)

Legitimiert wird die Dezimierung behinderter Menschen durch eine zynisch anmutende Kosten-Nutzenrechnung. So wird in dem Kapitel Der Kampf gegen das kranke Erbgut, mit Hilfe einer Abbildung darauf aufmerksam gemacht, dass:

(...) krankes und minderwertiges Erbgut nicht willkürlich vermehrt wird. (...).


In welcher Weise unsere Erbkranken seither den Gesunden des Volkes zur Last fielen, zeigen die folgenden Zahlen: Es kosten der Geisteskranke etwa 4 RM. den Tag, der Verbrecher 3,50 RM., der Krüppel und Taubstumme 5 bis 6 RM. den Tag. (...) (Graf 1943, S. 171 f)

Das Buch endet mit zwölf Leitsätzen zur Erhaltung und Pflege des Erbgutes: Die Rohheit und Eindeutigkeit, mit der dieses Schulbuch geschrieben wurde, ist nicht zu überbieten. Keine versteckten Manipulationsversuche, sondern barbarische Eindeutigkeit belegen die Indoktrinierungsversuche des Autors.

Eine vollständige Auflistung mit Schulbüchern ähnlichen Inhalts wäre lang. Die Frage, in welchem Ausmaß die Manipulation von Kindern und Jugendlichen durch ein ideologisch konzipiertes Schulbuch gelungen ist, lässt sich heute nur unzureichend beantworten. Hierbei hilft auch die Befragung Betroffener nur fallweise, wie alleine die Definition von Manipulation deutlich macht.

Manipulation ist eine gezielte Einflussnahme auf Menschen, ohne deren Wissen und häufig gegen deren Willen z.B. durch Werbung oder durch politische Beeinflussung mit dem Ziel, ihn kontrolliert für eigene Zwecke  zu benutzen. Dabei bleibt der Anschein von Entscheidungsfreiheit erhalten. 
(Wenninger (Hg.) 2001, Lexikon der Psychologie Band 3, S. 13)

In der heutigen Täter-Opfer-Diskussion sind die Grenzen fließend. Wir werden diese Fragen nie endgültig beantworten können. Trotzdem soll und  muss das Unrecht, das in zwölf Jahren Nationalsozialismus jüdischen Mitbürgern, Roma, geistig- und körperlich behinderten Menschen, Priestern, Sozialisten, Kommunisten, Homosexuellen und anders Denkenden widerfuhr, weiter aufgearbeitet und dokumentiert werden. Hinterfragt werden muss allerdings auch, wie mit einer Generation umzugehen ist, deren Kinder- und Jugendjahre zufällig in den Zeitraum zwischen den Jahren 1933 und 1945 fielen und die in all den Jahren eine nur unzureichende Art der psychologischen Betreuung oder anderen Art der Aufarbeitung erfahren hat.

Literatur:

  • Wenninger, Gerd (Hg.) (2001): Lexikon der Psychologie. Band 3 M - REF. Spektrum Akademischer Verlag, Berlin
  • Westermann, Georg (1935): Westermanns Groß-Berliner Fibel - Erstes Lesebuch für die Kinder Großberlins. Westermann Verlag, Berlin
  • Graf, Jakob (19432): Biologie für höhere Schulen. 3. Band. J. F. Lehmanns Verlag, München
  • Hitler, Adolf (193355): Mein Kampf. Verlag Franz Eber Nachfolger, München
  • Göbel, Herbert (19383): Deutsche Geschichte. Dürr`sche Buchhandlung, Leipzig


Quelle oder Autor/-in: Josef Angermair (Reinhold Embacher)

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