Literatur für Buben

Kinder sollen lesen, Kindern muss man viel vorlesen, Lesen ist wichtig für den späteren Erfolg in der Schule, um die Lesekompetenz der Tiroler Schüler ist es schlecht bestellt, Buben lesen weniger flüssig als Mädchen, in den Sprachenklassen gibt es mehr Mädchen als Buben...

all diese Vorurteile, Naturgesetze, Ergebnisse diverser Untersuchungen schwirrten in meinem Kopf herum, als unsere drei Söhne langsam dem Säuglingsalter entwuchsen und wir uns über ihre Sprachförderung Gedanken zu machen begannen.

Zu Beginn schienen unsere Buben meine Befürchtungen zu zerstreuen, indem sie sich für alles, was Seiten und bunte Bilder hatte, interessierten. Sie hatten große Geduld beim Durchblättern und wir verbrachten Stunden damit, die kleinsten Details zu besprechen. Aber schon bald bemerkte ich bei unseren wöchentlichen Besuchen in der Bücherei, dass sie sich ihre Bücher sehr genau nach Themengebieten suchten. Vorrangig wählten sie natürlich Ritterbücher, Piratengeschichten, Drachenerzählungen, Indianerabenteuer und Monster-Stories.

Heute sind unsere Buben junge Teenager, und scheinen zugleich auch die drei Gruppen von Bubenlesern zu vertreten, in die ich die jungen männlichen Leser einteile - basierend auf Beobachtungen, die ich in der Schule, bei meiner Arbeit als Bibliothekarin und bei Gesprächen mit befreundeten Familien gemacht habe. Ich meine erkannt zu haben, dass Buben entweder

  • alles verschlingen, was in ihrer Reichweite liegt,
  • sehr wählerisch sind, wenn es um die Auswahl des Lesestoffs geht, dann aber nicht mehr zu stoppen, wenn sie das richtige Buch gefunden haben oder
  • nur mit großem Einsatz und viel Überredungskunst dazu bewegt werden können, ein einmal begonnenes Buch auch fertig zu lesen und eigentlich meinen, dass sie in der Schule genug lesen müssten.

Von der Bedeutung des Covers

Selbst Vertreter der ersten Gruppe rümpfen aber die Nase, wenn die Heldin weiblich ist, der Buchumschlag rosa glitzert oder es sich um eine Pferdegeschichte handelt. Erst seit ich mit unseren Söhnen regelmäßig Buchhandlungen und Büchereien besuche, ist mir aufgefallen, wie wichtig das Umschlagdesign ist. Dabei bin ich überzeugt, dass Buben bestimmte Bücher aussuchen und lesen würden, hätten sie nur einen Umschlag, der sie anspricht, mit dem sie sich sehen lassen können - und sei es nur an der Kassa beim Bezahlen oder bei der Bibliothekarin, die die Wahl des Buches sogar noch kommentieren könnte.

Sachbücher und mehr

Immer wieder habe ich in Diskussionen verfolgt, dass Buben Sachbücher wollen und am liebsten Zeitschriften lesen, in denen es um Sport (vorzugsweise Fußball) oder Technik geht. Ich bin inzwischen der Meinung, dass Buben in ihren Büchern viel mehr auf der Suche nach Fantasie, Zauberei und fremden Welten sind, als vermutet.

  • Auch Buben träumen sich gerne in eine Romanfigur hinein, bestehen Abenteuer und verlieren den Bezug zur Realität, bis sie den Buchdeckel wieder schließen.

Trotzdem: Sie wollen sich selbst auch in realen Szenarien wiederfinden, da sie sehr wohl wissen, dass sie niemals einen Drachen besitzen oder auf einem Piratenschiff kämpfen werden.

  • Auch Buben müssen persönliche Konflikte verarbeiten und halten sich dabei gerne an Figuren, die ihnen Strategien zur Lösung vorleben.
  • Auch Buben wollen die Welt verstehen und wissen, warum andere mit Drogen, Verbrechen, Einsamkeit, Enttäuschungen kämpfen müssen und wie sie diesen Kampf überstehen.
  • Auch Buben sind traurig und mutlos und finden sich in diesen Situationen gerne in einem Buch wieder.
  • Und: Auch Buben brauchen reale Vorbilder, die ihren eigenen Weg finden, um ihren Alltag zu bewältigen. Nur müssen diese Figuren, mit denen sie sich identifizieren können, männlich sein. Die Gefühlswelten eines männlichen und eines weiblichen Teenagers sind wahrscheinlich noch unterschiedlicher als die erwachsener Männer und Frauen, weil sie noch nicht gelernt haben, sich auch in das andere Geschlecht hinein zu versetzten. Für einen Volksschüler sind seine Kolleginnen nur lästige, kichernde Geschöpfe, die man höchstens mit einem Schneeball berühren kann. Und auch ein Hauptschüler muss zuerst mit seiner eigenen Identitätsfindung zurechtkommen, bevor er versuchen kann, die hübschen Geschöpfe in der Bank hinter ihm zu verstehen.

Dabei bin ich schon der Meinung, dass auch Buben Liebesgeschichten mögen, allerdings nur dann, wenn sie auch aus männlicher Sicht erzählt werden - und zwar von einem männlichen Autor. Es wäre eine Herausforderung, sich auf die Suche nach Jugendbüchern mit dem Thema Liebe und Beziehung zu machen, die von männlichen Autoren geschrieben worden sind...

In ihrem Vortrag Echte Kerle lesen nicht?! präsentiert Frau Dr. Christine Garbe sehr interessante Diagramme und Forschungsergebnisse, die das Leseverhalten von Buben veranschaulichen.

Laut Frau Dr. Garbe bevorzugen Mädchen Themen mit Bezug zu ihrem eigenen Leben, zu ihrer Gegenwart bzw. zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld und eher realistische oder problemorientierte Geschichten und Jungen Themen mit Bezug zu anderen und fremden Welten: exotische Länder, ferne Zeiten, unwahrscheinliche Szenarien (historische und Heldengeschichten, Fantasy, Science Fiction).

An diesem Punkt komme ich noch einmal zu meiner vorherigen Überlegung zurück - der Einteilung der jungen, männlichen Leser in drei Gruppen. Ich glaube, dass die Allesleser nicht wählerisch sind und sich auch gerne in eher realistische oder problemorientierte Geschichten versenken. Auch junge Burschen wollen geschichtliche Tatsachen erklärt bekommen und sind sehr wohl bereit, sich auf reale oder realistisch beschriebene Protagonisten einzulassen - ich denke dabei z.B. an Der Junge im gestreiften Pyjama von John Boyne.

Mit-Leser sind wichtig

Der Nichtleser braucht wahrscheinlich mehr Hilfe, als einfach gute Bücher angeboten zu bekommen. Ich glaube, dass er einen geduldigen Mit-Leser vonnöten hat, der sich mit ihm auf ein gemütliches Sofa setzt und in entspannter Stimmung gemeinsam verzaubern lässt. Ihn einfach als Lesemuffel einzustufen und die Hoffnung aufzugeben, wäre falsch. Der beste Beweis für meine Meinung, dass man irgendwann auch Nichtleser verführen kann, ist vielleicht unser jüngster Sohn, der sich lange geweigert hat, irgendetwas freiwillig zu lesen und dann plötzlich dem Charme des Dschungelkind von Sabine Kuegler erlegen ist, weil es da um Tiere und Pflanzen im Regenwald geht.

Die Leser, die am meisten Aufmerksamkeit brauchen und diese wahrscheinlich am wenigsten bekommen, sind für mich die Gruppe der wählerischen Leser. Keiner macht sich um sie Gedanken, weil sie eh lesen und andererseits aber nicht so dringend Lesefutter fordern wie die unersättlichen Vielleser. Wie leicht aber gerade diese Gruppe zu vergrämen ist, habe ich gesehen, als es darum gegangen ist, eine Klassenlektüre in der Klasse unseres Ältesten auszusuchen. Da diese Sprachenklasse sich aus über 80% Mädchen und nur 4 Buben zusammensetzt, wählte die Deutschlehrerin ein Buch über Magersucht (Meine schöne Schwester von Brigitte Blobel), das die vier nur mit Widerwillen lasen.

Sebastian Lohfert schreibt in seinem Artikel  Die Lesehaltung von Jungen nach Dr. Margit Böck:

Dr. Margit Böck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lektorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Sie beschreibt das Leseverhalten von Mädchen als identifikatorische Beschäftigung mit Innenwelten und vermutet, dass das auch einer der Gründe dafür sein dürfe, warum sich Mädchen häufiger als Jungen für die Persönlichkeitsentwicklung und Lebensbewältigung in bestimmten Kontexten interessieren.

Weiter schreibt er, Frau Dr. Böck zitierend:

Diese Art des Lesens spiegelt viele Aspekte des In-der-Welt-Seins von Buben und Männern wider, in denen die Handlungsorientierung, das Einflussnehmen auf die äußere Welt eine große Rolle spielt und das Ausdrücken von Gefühlen nach wie vor in vielen Kontexten wenig geschätzt und häufig als verweichlicht/ verweiblicht abgewertet wird.

Ich stimme Frau Dr. Böck in vielen Punkten ihrer Ausführungen zu. Trotzdem frage ich mich gerade bei der Gruppe von wählerischen Lesern, ob ein Grund für ihre Wahl gewissen Lesestoffs die Tatsache ist, dass die Mütter, die Kindergärtnerinnen, die Lehrerinnen, die Bibliothekarinnen in der Schule und in den öffentlichen Büchereien, die Buchhändlerinnen ihre Lektüre vor-auswählen.

Sind männliche Autoren schuld, die ihre Helden immer wieder in Abenteuer stürzen oder weibliche Schriftstellerinnen, die als Figuren für ihre Liebesgeschichten lieber Mädchen auswählen? Suchen Buben bestimmte Bücher einfach deshalb aus, weil sie ihnen angeboten werden, weil diese Themen in der Bücherei und in den Buchhandlungen unter Jugend, männlich stehen? Sind wir Frauen mit schuld, dass es für diese Gruppe so schwierig ist, passende Bücher zu finden, gerade WEIL wir uns an Empfehlungen halten, die den Buben Fantasy, Abenteuer und Heldengeschichten verschreiben?

Ein Regal für Buben

Beim Stöbern im Internet bin ich über die Homepage einer Gruppe von Berliner Eltern gestolpert, die über den Buchhändler Jürgen Hees berichtet. Dieser hat in seinem Geschäft ein Regal für Buben, in dem er auch sehr kontroverse Bücher wie World of Warcraft und Warhammer präsentiert. Er erklärt im Interview seine Strategien, Nichtleser zum Buch zu bringen und man spürt, wie viel Energie er in diese Aufgabe steckt.

Nachdem mir all die Bücher, die Hees erwähnt, bekannt sind, weil sie auch im Regal meiner Söhne stehen, habe ich diese nach ihrer Hitliste gefragt.

Unser Volksschüler nannte als erstes Klassiker wie

und seine  Neuentdeckungen

Seine größeren Brüder konnten sich nur schwer entscheiden, einigten sich aber auf

die ersten Bände, zu denen auch Fortsetzungen erschienen sind:

und die Reihen

Ja, stimmt, die Liste unserer Söhne entspricht ziemlich genau den Bestsellerlisten und den Empfehlungen der einschlägigen Buchhändler.

Warum das so ist?

Liegt es daran, dass hauptsächlich ich als Mutter ihre Bücher für sie oder mit ihnen aussuche?

Oder daran, dass das die Bücher sind, die der junge Mann von heute liest?

Oder am Ende vielleicht doch daran, dass Frau Dr. Böck, Frau Dr. Garbe und viele andere Wissenschaftler, Pädagogen und Theoretiker recht haben, wenn sie sagen, dass Buben anders sind und ander(e)s lesen?



Quelle oder Autor/-in: Birgit Rea

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