Gedanken zur Klassenlektüre

In letzter Zeit hörte ich so manche Meinung gegen Klassenlektüren im Deutschunterricht: Klassenlektüren würden demnach die Leselust hemmen und gegen die Individualität der Kinder sprechen, weil die Schüler nicht selbst eine Lektüre auswählen können, und Schüler würden während des Unterrichts nicht mitlesen.

Dies hat mich dazu veranlasst, über den Sinn einer Klassenlektüre nachzudenken sowie dazu Stellung zu nehmen, denn es gibt zahleiche Gründe, die für Klassenlektüren sprechen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Schüler im Klassenverband gerne gemeinsam lesen, um sich über das Buch auszutauschen oder um sich mit einer Problematik zu beschäftigen.

Buchtipps

Bücher, die von meinen Schülern gerne gelesen wurden und ideal für eine Aufarbeitung des Sujets sind, sind z.B. Die Superhenne Hanna von Felix Mitterer, Die Wanze von Paul Shipton, Drachen haben nichts zu lachen von Franz Sales Sklenitzka, Die Warnung von Jürgen Banscherus, Mord in Carnuntum von Christoph W. Bauer und Reinhold Embacher oder Bücher aus der After-Dark-Serie. Aktuelle Lesestofftipps findet man auf Lesen in Tirol, im Buchklub oder auf diversen Internetseiten. 

Zunächst muss natürlich ein Buch alters- sowie interessensgemäß für die jeweilige Deutschgruppe ausgewählt werden. Als Lehrperson sollte man eruieren, ob es sich um ein leicht oder schwierig zu lesendes Buch handelt. Auf jeden Fall eignen sich umfangreichere Lektüren nicht so gut, weil sich so mancher Schüler durch dicke Bücher von vorneherein abschrecken lässt. Optimal für die Pflichtschüler sind ca. 130 Seiten, die auch Lesemuffeln zumutbar sind. Kennt man die Vorlieben der Schüler, kann man demgemäß eine passende Lektüre suchen.

Lesesituationen

Super finde ich es, wenn die Schüler selbst entscheiden können, welches Buch gelesen werden soll. Die in der jeweiligen Schule vorhandenen Exemplare können vom Lehrer vorgestellt werden, indem die Bücher gezeigt werden, die Problematik kurz dargelegt oder der Klappentext vorgelesen wird. Eine spielerische Methode, um Bücher kennen zu lernen, ist folgende: Man legt so viele Exemplare auf, wie Schüler sind, lässt darin lesen und unterbricht immer wieder kurz mit Musik. In dieser Zeit wird nicht gelesen, sondern Platz gewechselt und gewartet, bis es wieder leise ist, um weiterlesen zu können. Im Anschluss bespricht man im Sitzkreis das Gelesene oder es wird ein Wettbewerb durch Fragen veranstaltet und ermittelt, wer sich am meisten gemerkt hat. Übt man diese Methode mit mehreren Büchern aus, so können sich die Schüler am Schluss eine Klassenlektüre auswählen.

Hat man schließlich ein passendes Buch gefunden, öffnen sich viele Möglichkeiten vor, während und nach der Lektüre.

Vor der Lektüre

Bevor man mit dem Lesen beginnt, sollte man die Neugier an der Thematik wecken. Anhand des Titels kann man die Schüler dazu bringen, Assoziationen zum Inhalt zu finden: Worum könnte es in diesem Buch gehen? Welche Personen könnten vorkommen? In welchen Handlungsorten könnte die Geschichte spielen? Handelt es sich um ein Buch mit historischem oder aktuellem Inhalt? Außerdem kann man ab einem Alter von ca. zehn Jahren Begriffe wie Autor, Verlag, Erscheinungsjahr, Titel, Klappentext, Illustrationen, Prosa oder Belletristik klären.

Für Abwechslung sorgen

Während der Lektüre gibt es verschiedene Möglichkeiten des Leseunterrichts: Manchmal bietet es sich an, als Lehrperson einfach nur vorzulesen, um den Kindern einerseits einen entspannten Unterricht zu gewährleisten, andererseits aber Techniken des Vorlesens - langsam, schnell, leise, laut, betonendes Lesen durch Hervorhebung, Lesen mit Stimmveränderung - nahe zu bringen. Dies kann an bestimmten Passagen geübt werden, indem man einen kurzen Absatz von mehreren vorlesen und nachher von den Zuhörern bewerten lässt: Wurde entsprechend laut, betont, zu schnell, zu langsam, mit Stimmhebungen u. dgl. vorgelesen? Die Schüler, insbesondere diejenigen mit einer Leseschwäche, könnte man so animieren, zu Hause immer wieder laut vorzulesen, was auch für die Aussprache eine wichtige Rolle spielt. Besonders in Orten, wo ausschließlich im Dialekt gesprochen wird, kann dadurch die Standardsprache vertrauter werden. Eine geübte Passage könnte anschließend im Deutschunterricht den anderen vorgestellt werden.

Erfahrungsgemäß eignet sich das Rollenlesen - falls im Buch Dialoge oder Gespräche vorkommen - perfekt, die Leselust anzukurbeln und das Vorlesen zu trainieren. Die meisten Kinder reißen sich danach, es macht ihnen Spaß, sich in andere Figuren zu versetzen. Manchmal werden bestimmte Aussagen so treffend vorgelesen, ja fast vorgespielt, dass ein allgemeines Schmunzeln zu beobachten ist.

Wird zur Abwechslung nacheinander vorgelesen, sollte man den Vorleser immer wieder wechseln, um die Kinder zum Mitlesen anzuregen. Zwischendurch kann über den Inhalt reflektiert und gesprochen werden. Schwierige Textstellen, Begriffe oder Fremdwörter können erklärt werden bzw. von Schülern erläutert werden, denn nicht selten kommt es vor, dass schlicht vergessen wird, für uns Lehrpersonen Selbstverständliches zu deuten. Viele Kinder trauen sich nämlich nicht oder wollen nicht fragen, wenn sie etwas nicht verstehen.

Natürlich darf man das Stilllesen nicht außer Acht lassen, welches z.B. nach Erledigung eines Unterrichtsstoffes erfolgen kann oder einfach während der gesamten Deutschstunde. Dabei mögen es die Kinder, wenn sie freie Platzwahl haben, wenn sie z.B. auf dem Boden, auf dem Fensterbrett, in der Ecke oder in der Aula sitzen können, im Stehen lesen dürfen oder sogar im Gehen, wobei klargelegt werden sollte, dass dies niemanden stören darf.

Lesehausaufgaben 

Auch das Weiterlesen als Hausaufgabe ist eine Möglichkeit, das Interesse generell am Lesen zu wecken. In ruhiger Umgebung kann das Kind erst auf den Geschmack kommen und die Lust am Lesen gewinnen, indem das eigentlich Reizvolle, nämlich die Ankurbelung der Fantasie, ins Rollen kommt. Plötzlich tun sich Welten auf, und auch die Erkenntnis, dass das Lesen eigentlich gar nicht so fad ist und eine entspannende oder spannende Beschäftigung darstellt. Manche Schüler kamen nach einer Lesehausübung bis z.B. Kapitel zwei zu mir und berichteten, das Buch habe sie so gefesselt, dass sie einfach weiterlesen mussten. Welch eine Freude!

Der Fantasie kann man im Unterricht auch auf die Sprünge helfen. Immer wieder sollte man während der Lektüre die Schüler mit Fragen anregen, z.B. über Fortsetzungen, Verhaltensweisen von Handlungsfiguren nachzudenken. Wie könnte es weitergehen? Was würdest du an Stelle von ... tun? Bist du mit dem Entschluss von ... einverstanden? Wie stellst du dir ... vor? Wie könnte der Schluss des Buches lauten? Was würdest du anders erzählen? Welche Vorgeschichte fällt dir spontan ein?

Aufgaben zu Inhalten in unterschiedlicher Form, z.B. mündlich oder schriftlich etwas nachzuerzählen, Multiple-Choice-Fragen zu beantworten, Rätsel zu lösen, bieten der Lehrperson eine Kontrolle bezüglich des Textverständnisses, aber auch bezüglich des Mitlesens. Ob dies einer Bewertung obliegen soll, ist jedermanns Sache, jedoch meiner Ansicht nach nicht wirklich förderlich, denn viele fühlen sich dadurch kontrolliert und könnten somit die Leselust verlieren, was unter keinen Umständen passieren sollte.

Nach der Lektüre hat man im Deutschunterricht viele Möglichkeiten, das Buch weiterzubearbeiten. Die klassische Inhaltsangabe ist kaum wegzudenken, die man entweder gemeinsam oder von guten Schülern alleine schreiben lässt. Eine Internetrecherche, z.B. über die Thematik, den Autor oder Handlungsorte, ist für die meisten eine gern gesehene Beschäftigung. Die Personen-beschreibung kann durchgenommen werden. Es kann über Inhalte gesprochen und über Verhaltensweisen argumentiert werden.

Besonders reizvoll könnte es werden, wenn der Schüler im Anschluss selbst auswählen darf, in welcher Textsorte er schreiben will. So kann eine Liste zur Auswahl von mehr oder weniger Themen vorgelegt werden und eine Arbeit für einen längeren Zeitraum entstehen, wenn der Schüler mehreres zu erledigen hat.

Ideen zur Klassenlektüre

Weiterführende Aufgaben für Schüler ab der dritten Klasse Hauptschule könnten folgende sein, wobei manches auch von Jüngeren durchgeführt werden kann:

  • Schreibe einen Brief an die Hauptfigur!
  • Schreibe einen Brief an jemanden, in dem du über dein Buch berichtest (worum es geht, wie es dir gefallen hat ...)!
  • Beschreibe den Handlungsort und mindestens  fünf Erlebnisse oder Handlungen!
  • Schreibe einen Dialog zwischen dir und der Hauptfigur!
  • Erfinde ein anderes Ende!
  • Erfinde einen anderen Anfang der Lektüre!
  • Schreib ein Gedicht zum Buch! (ca. 10 Zeilen)
  • Erkläre in einer Mindmap die wichtigsten Ereignisse im Buch!
  • Verfasse einen Quiz zur Lektüre (z.B. RICHTIG/FALSCH; 4 ANTWORTMÖGLICHKEITEN; KREUZWORTRÄTSEL; TEXTPUZZLE) und vergiss die Lösungen nicht!
  • Schreibe einen Lückentext zum Inhalt!
  • Verfasse einen Zeitungsbericht
  • Lies mit allen Sinnen und beschreibe Handlungsorte, Gefühle von Figuren, Geräusche in Abschnitten und eventuell Situationen in der Lektüre, in denen Gerüche eine Rolle spielen!
  • Wandle die Lektüre zu einer Kurzgeschichte um (direkte Reden, Spannung sind wünschenswert)!
  • Recherchiere im Internet: z.B. über die Problematik, über den Handlungsort, über das Buch an sich!

Natürlich sind wiederum eigene Vorschläge wünschenswert. Die Texte könnten auf jeden Fall am Computer geschrieben werden. Mit dem Einverständnis der Schüler wird gut Gelungenes in oder vor der Klasse aufgehängt. Auf freiwilliger Basis können immer wieder Texte vorgelesen werden. Letztendlich werden die Arbeiten von den Schülern in einer Mappe oder in einem Schnellhefter zur Erinnerung gesammelt.

Weitere Fächer einbeziehen

Fächerübergreifend könnte die Klassenlektüre der Auslöser für ein Projekt sein: Im Fach Bildnerische Erziehung eignet sich die Darstellung der Hauptfigur, einer Handlung oder einer Bildgeschichte. Des Weiteren kann man in Gruppenarbeit Plakate zur Klassenlektüre gestalten lassen, z.B. zu Personen, Handlungsorten, Autor, Kapitel.

In Mathematik könnte man die durchschnittliche Lesedauer berechnen lassen. In Informatik kann man recherchieren oder einen Text, z.B. eine Inhaltsangabe, tippen lassen. Andere Fächer wie Biologie - wenn z.B. Tiere vorkommen - , Geschichte oder Geografie lassen sich je nach Sujet ebenso optimal einbinden.

All diese genannten Möglichkeiten können Kinder zum Lesen motivieren, was eine vorrangige Aufgabe im Deutschunterricht sein sollte, denn, wie heißt es so schön?

DAS LESEN ÖFFNET DIR NEUE PFORTEN IN EINE ANDERE WELT.

Die passende Klassenlektüre war und ist noch heute ein Weg dorthin.



Quelle oder Autor/-in: Ute Vinatzer, HS Mayrhofen (Reinhold Embacher)

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