Ludwig Laher, Verfahren

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Jedes Land ist gewollt oder ungewollt Spezialist für eine identitätsstiftende Besonderheit. Österreich ist in der Weltlage zuständig für die Bürokratie, weshalb seit Kaisers Zeiten die besten Beiträge der österreichischen Literatur in Form des Bürokratie-Romans gelingen.

Ludwig Lahers Verfahren ist ein Bürokratie-Roman im besten Sinne, ausweglos grotesk, und in seiner schlimmen Zustandsbeschreibung sogar unterhaltsam.

Verfahren bedeutet im Österreichischen zweierlei, einmal ist es ein juristischer Ablauf, wie er uns seit Kafkas Prozess in Fleisch und Blut übergegangen ist, andererseits bedeutet es einen verfahrenen Zustand, die Lage ist verfahren.

Der Roman "Verfahren" spielt im Ton einer Dokufiktion auf mehreren Wahrnehmungsportalen, die um das Thema Emigration, Vertreibung, Asyl angesiedelt sind. Hauptstrang ist die Geschichte um Jelena, die als Serbin im Kosovo von Albanern drangsaliert, vergewaltigt und in den Suizid getrieben wird. Mit viel Überlebensglück schafft sie es gerade noch nach Österreich, wo sie als ASt, AW oder BF bezeichnet wird. Das sind die zynischen Abkürzungen für Antragstellerin, Asylwerberin oder Beschwerdeführerin.

Auf der anderen Seite der Bürokratie-Mauer sitzen durchaus erfahrene und human eingestellte Richterinnen und juristische Kräfte, die trotz allen Spielraums letztlich nicht über den Schatten springen dürfen und oft Ansuchen verzögern oder ablehnen.

In einem historischen Strang erzählt Kurt, ein aus Nazi-Österreich Vertriebener, wie er letztlich als gnädigen Akt der Wiedergutmachung doch noch in Wien willkommen geheißen worden ist. Die Frage von Asyl, Vertreibung und Heimkehr ist eine historische, die je nach politischer Wetterlage entschieden wird.

Das Unversöhnliche in einem Verfahren besteht darin, dass es zwischen dem Individuum und dem Recht keine Ausgewogenheit gibt. Das Individuum bleibt immer auf der Strecke, wenn das Recht angewandt wird, andererseits geht das Individuum zugrunde, wenn es kein Recht gibt.

Nichts ist nämlich anstrengender, nichts ist beunruhigender, verunsichernder als der weite Graubereich zwischen Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Recht und Unrecht, Wenn und Aber. (53)

An diesem Spannungsbogen scheitern Richter, Anwälte und Betroffene gleichermaßen. In elendslangen Texten reduzieren sie die Helden zu bloßen Buchstaben und verstümmeln sie zu AW oder BF. Wenn sie in fiktiven Interviews ihre Lage beschreiben, sind sie alle überfordert, denn die Bürokratie ist stärker als jede Menschlichkeit. Diese eherne Faustregel mussten schon die Figuren Kafkas erleben, ehe sie im Steinbruch oder in den Gängen des Schlosses verschollen gingen.

Ludwig Laher erzählt mit vollem Herzblut von den Vorgängen rund um ein Asylverfahren. Die ganze Welt steht plötzlich auf dem Prüfstand, was ist wahr, was ist realistisch, was ist politisch korrekt? Alles ist im Fluss, und je genauer die Gesetzestexte werden, umso tödlicher werden sie.

Der gelernte Österreicher hat zu dieser unlösbaren Lage wenigstens ein Bonmot als Trost:

Du musst die Bürokratie lieben, dann frisst sie dir aus der Hand. Sag es ihr!

Ludwig Laher, Verfahren. Roman
Innsbruck: Haymon 2011, 177 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-85218-680-1

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Ludwig Laher, Verfahren
Homepage: Ludwig Laher

 

Helmuth Schönauer, 25-05-2011

Bibliographie

AutorIn

Ludwig Laher

Buchtitel

Verfahren

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Haymon

Seitenzahl

177

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-680-1

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Laher, geb. 1955 in Linz, lebt in St. Pantaleon.

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