Erwin Einzinger, Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik

Buch-Cover

Manchmal stoßen in Romanen große Erzählsysteme wie kontinentale Platten aufeinander und erzeugen ein Erdbeben an Information.

In Erwin Einzingers Roman "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik" stoßen Teile, wie man sie in Lexika nachblättert, auf Erfahrungsberichte, wie sie in Zeitungen stehen, und es entsteht dichteste Fiktion.

Das Werk liegt wie ein Handbuch epochal in der Hand es Lesers, Fußnoten suggerieren einen wissenschaftlich abgeklärten Stützapparat und der permanente Schauplatzwechsel führt zu einem flächendeckenden Bombardement der Materie mit Stoff.

Der Stoff ist nichts anderes als das Phänomen, dass an bestimmten Orten dieser Welt zwischendurch eine Musikrichtung auftaucht, sich von umliegenden Musiken abgrenzt oder sich mit ihnen verbündet und schließlich als nostalgische verpresster Tonträger in einem Archiv verschwindet.

So sprechen Generationen mit einander, wenn sie sich die Musik ihrer Jugend erzählen, geographisch gebündelte Hörer fassen ihre Identität in der Musik aus und verbunden wird das alles durch Anekdoten, Exzesse von Stars und Andeutungen kultischer Logik.

Wie geht eine Epoche in die nächste über, ab wann spricht man von einem Trend, kann der Künstler eine Epoche ausrufen oder muss er sich ihr beugen?
Verlässlich ist nichts, aber je kühner die Verbindungen zwischen den einzelnen Punkten geknüpft werden, umso logischer scheint die Unterhaltungsmusik in ihrer Darstellung.

Was bedeutet es, dass Elvis Presley LKW-Fahrer gewesen ist und Thomas Bernhard am gleichen Tag den LKW-Führerschein gemacht hat, an dem Papst Johannes XXIII gestorben ist. Rhizomartig ist alles miteinander in Verbindung.
Auch der Umkehrschluss eröffnet neue Erkenntnisse. So soll Beethoven aus Verbitterung freiwillig taub geworden sein, um die Reaktionen des Publikums nicht mehr länger anhören zu müssen.

Erwin Einzingers Roman ist spannend, rasant und fundiert. Jede einzelne Sequenz könnte ein Informations-Schnipsel für die nächste Millionenshow sein, das es sorgfältig zu analysieren gilt. Hinter den aufgetürmten Ziegeln aus musikalischem Wissen entsteht mit der Zeit ein Sound, obwohl gar keine Musik gespielt wird. Die Unterhaltungsmusik wird allmählich zu einem Revier, in dem eine Episode der anderen zu reinem Unterhaltungszweck nachjagt.

Erwin Einzinger: Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik. Roman.
St. Pölten: Residenz 2005. 534 Seiten. EUR 24,90. ISBN 3-7017-1404-5.

 

Helmuth Schönauer, 15-04-2005

Bibliographie

AutorIn

Erwin Einzinger

Buchtitel

Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik

Erscheinungsort

Pölten

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Residenz

Seitenzahl

534

Preis in EUR

EUR 24,90

ISBN

3-7017-1404-5

Kurzbiographie AutorIn

Erwin Einzinger, geb. 1953 in Kirchdorf an der Krems, lebt in Micheldorf.