Wolfgang Eder, Ein Eskimo im Sepplland

Buch-CoverOffensichtlich ist Tirol wirklich so verrückt einmalig, dass es immer wieder verrückt gute literarische Möglichkeiten gibt, dieses Unding aus Mythos und Gebirge darzustellen.

Wolfgang Eder bohrt Tirol mit jener Methode an, die dieses Land als Höhepunkt empfindet: mit der Kulturtechnik des ewigen Eises. Zu diesem Zweck gibt es eine Reise-Geschichte, die Erkundungen alter Missionare gleicht, aber hier wird nicht die Vergangenheit der Bräuche erkundet sondern gleich ihre Zukunft. So ist alles mega-realistisch, wie wir es in der öffentlichen Berichterstattung gewohnt sind, gleichzeitig aber überdreht und prognostisch wahr, wie wir es von uns wünschen, dass wir in wilder Zukunft einmal so sein werden.

Der Erzähler ist ein gewisser Anaviluq, seines Zeichens Eskimo, der irgendwie eine Studienreise nach Tirol gewonnen hat. Dieses Land ist mittlerweile diffus durchgefroren und unterirdisch erschlossen. Man betritt das Land von München kommend am besten über Landl, Hinterthiersee und Vorderthiersee, denn hier ist eine Brauchtumsschleuse angelegt, damit die Besucher gleich wissen, was Brauch ist.

Der staunende Eskimo macht alle diese Bräuche mit und vergleicht sie mit seiner Triebkultur, denn offensichtlich haben Bräuche immer etwas mit Trieben zu tun. Ein beliebtes Spiel ist etwa das Ausziehen und Zusammenstecken von anwesenden Körpern, da ist Lust und Wärme für lange Winter garantiert.

Der Reisende sucht unterirdisch oder mit Schlittenhundexpress alle wichtigen Orte auf. In Kitzbühel wird beispielsweise ein Hansi-Sänger bis zum Gehtnichtmehr gefeiert. Da alles erschlossen ist, gibt es auch keine Geographie im klassischen Sinn. Wie früher mit dem Finger auf der Landkarte kann man jetzt durchs Gebirge zischen und ist immer authentisch da und dennoch peripher.

Gerade die Sichtweise eines Eskimo, der sich ja im permanenten Weiß von Nebel, Schnee und Gischt zurechtfinden muss, gibt diesem vernebelten Tirol scharfe Konturen. Ein Apparat mit „eskimotischen“ Fachausdrücken weist einerseits nach, dass die Eskimo-Kultur authentisch angewendet ist, andererseits gibt es zu jedem dieser Fachausdrücke ein Tiroler Äquivalent, so dass man als Leser vor Brauchtum und Irrsinn freiwillig in die Knie geht.

Wolfgang Eders Sepplland-Kosmos hat etwas von der Groteske eines Schluiferer, wenn etwa die Rituale leicht verfehlt aber mit umso innigerer Hingabe zelebriert werden. Die Visionen, die durch das Überlappen nicht kompatibler Kulturen entstehen, haben ab und zu jene Genickschussqualität, wie wir sie retrogerichtet in Herbert Rosendorfers Briefen an die chinesische Vergangenheit vorfinden.

Dadurch, dass das ganze Unterfangen optimistisch, übertrieben und gnadenlos gut ist, entsteht eine Zukunftslust, die uns Leser alles tun lässt, damit wir sie ja rasch und unbeschadet hinter uns bringen.

Sepplland ist eine Vision, ein Disneyland gelungener Wirtschaftsprojekte. Sepplland kommt heraus, wenn etwas perfekt und projektgestylt gefördert wird. – Grotesk wunderbar!

Wolfgang Eder: Ein Eskimo im Sepplland - Anaviluqs touristisch-ethnologischer Reisebericht. Inkl. Sepplland-Single-CD
Reith i.A.: Edition Tirol 2005. 320 Seiten. EUR 18,-. ISBN 3-85361-108-7.

 

Helmuth Schönauer, 09-12-2005

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Eder

Buchtitel

Ein Eskimo im Sepplland

Erscheinungsjahr

2005

Seitenzahl

320

Preis in EUR

EUR 18,-

ISBN

3-85361-108-7

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Eder, geb.1969 im Zillertal, lebt in Innsbruck.

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