Christoph Pichler, Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag

Buch-CoverDas ist die Eigenschaft guter Erzählungen: Man liest sie zuerst scheinbar nebenbei, und plötzlich hat man alles rund herum vergessen und es sind nur noch die Erzählungen da. Christoph Pichler hat sechzehn solche Erzählungen mit Zeitverzögerung zusammengestellt unter dem edel heruntergespielten Aufreger „Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag“.

Allein wenn man die vier Wörter des Titels, die am Cover wie ein Gedicht unter einander gesetzt sind, für sich nimmt, tut sich schon das Programm der Erzählungen auf. Onkel = Familienbande, Norbert = vertrautes Ansprache unter Insidern, denkwürdig = so aufregend, dass man einen Gedanken daran verschwenden kann, Nachmittag = konkret zeitloser Alltag.

Aus diesen semantisch wohlumwatteten Begriffen blitzen dann erzählerische Stromschläge heraus, die freilich im Mikro- oder Nanobereich ausschlagen. Irgendwo in der Kindheit bauen zwei Kids einen kleinen Damm und stauen den Bach zu einem Sommertag zusammen. Max hebt dabei ab und stirbt und löst sich auf, aber gerade als er so richtig gestorben ist, kommt Vater und sagt, sie sollen den Damm wieder öffnen. Diese Erzählung aus dem Nichts führt tatsächlich ins Jenseits und kriegt dann wieder elegant die Kurve zu einem bemerkenswerten Tag, der dann aber doch wieder den Tod vorwegnimmt.

In der Erzählung von der Jakobsleiter steigt ein Internatsbub auf das Dach, weil es angeblich tolle Mädchen zu sehen gibt. Der Direktor holt ihn wieder herunter und gibt zu verstehen, dass es in einem gewissen Alter jenen Blick auf das andere Geschlecht gibt, mit dem man gar nichts sieht.

Ein unauffälliger Versuch, ein Sparbuch aufzulösen, führt zu einem vollkommenen Alzheimerstau. Die Medusa als Losungswort will ums Verrecken nicht erscheinen. Ein Gehirn kann ganz schön listenreich werden, wenn es darum geht, einen bestimmten Begriff los zu werden.

Im Sanatorium stoßen einer Frau durch haptische Eindrücke eines Buches zeitversetzt Erinnerungsstöße aus der Nazizeit auf. Und die denkwürdige Begegnung Onkel Norberts kann man als Streifschuss des satanischen Ziegenbocks an einem gewöhnlichen Nachmittag verstehen.

Christoph Pichler erzählt, wie man vor dem Klavierspiel die Gelenke anwärmt: froh, locker, mit einem optimistischen Knacksen in den Satzknorpeln. Als Leser beißt du in die Geschichten wie in frische Semmeln und hörst dir mit Freude beim Kauen zu. So sind diese Erzählungen: frisch und knusprig wie ein goldiger Brotkorb.

Christoph Pichler: Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag. Erzählungen.
Frankfurt/M: Schöffling 2005. 199 Seiten. EUR 18,40. ISBN 3-89561-381-9.

 

Helmuth Schönauer, 12-12-2005

Bibliographie

AutorIn

Christoph Pichler

Buchtitel

Onkel Norberts denkwürdiger Nachmittag

Erscheinungsort

Frankfurt

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Schöffling

Seitenzahl

199

Preis in EUR

EUR 18,40

ISBN

3-89561-381-9

Kurzbiographie AutorIn

Christoph Pichler, geb. 1969 in Bozen, arbeitet als Nachrichtensprecher beim RAI-Sender Bozen.

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