Urs Amann / Jürg Amann, Übermalungen Überspitzungen

Buch-CoverIn der Literatur gibt es auch diese familiären Grundkonstellationen, die ständig zitiert und auf die jeweils aktuelle Generation herunter gebrochen werden.

Gerade im Stifter-Jahr wimmelte es nur so von Enkeln, die dem erzählenden Großvater die Hand gaben, die Vater suchenden Jungautoren sind gerade in der österreichischen Dichterszenerie legendär, und niemand vermag aufzuzählen, wie oft Kafkas Brief an den Vater Grundlage für Erbschaftsverträge geworden ist. Auch die Brüder und Schwestern schlängeln sich in psychologisierenden Schleifen durch die Buchregale der ehemaligen Kinderzimmer.

Die künstlerisch veranlagten Amann-Brothers, Urs als Maler, Jürg als Dichter, haben sich jetzt zum Projekt Übermalungen und Überspitzungen zusammengefunden. Als Vorlage dienen dem Graphiker die Bilder Vincent van Goghs und dem Dichter der Briefverkehr zwischen Vincent und den um vier Jahre jüngeren Theo van Gogh.

Aus 2100 Seiten dieses Briefverkehrs hat Jürg Amann knapp neunzig Seiten herausdestilliert und so aufbereitet, dass es in etwa für das aktuelle Brüderpaar passen könnte. Wir Leser lernen daraus, dass die oft hoch gelobten Briefe der Vergangenheit durchaus durch das pragmatisch-praktische SMS ersetzt werden können. In dem verdichteten Material geht es um Kunst, Erkenntnis, Liebe unter Geschwistern, Durchhalteparolen und psychische Basisbetreuung. Aber auch malerische Motive, der Aufbau von Bildern und die Feinheiten von Techniken stehen zur Debatte.

Ferner versuche ich Geräte zu zeichnen, wie Karre, Pflug, Egge, Schubkarren etc. Es gibt heutzutage, und das ist für Maler und Zeichner sehr schade, keine Spinnräder mehr, statt dessen aber etwas anderes, was nicht weniger malerisch ist, nämlich die Nähmaschine. (43)

Manchmal scheinen triviale Sätze erst dann gut zu sein, wenn sie von einem Genie ausgesprochen werden, so gesehen ist der Text sehr genial.

Der bessere Teil des Brüder-Buches besteht eindeutig aus den Übermalungen. Dem Goghschen Sämann etwa wird eine weiße Puppe, eine Vogelscheuche oder ein Juhu-Geist beigestellt. Wichtig dabei die originale Handbewegung des Sämanns: er greift jetzt völlig ungeniert der Zusatzfigur quiekend in den Schritt!

Der Matrose mit dem angesoffenen Blick liegt in der Übermalung auf einem Akt und ödet sich ob der doofen Geschlechtsorgane an. Auf dem Billardtisch im Goghschen Cafe liegt eine Figur, sie ist geometrisch einwandfrei vom Queue aufgespießt.

Vor dem Getreidefeld steht ein Vogelhaus, die Brücke ist wie beim Lehrer Lempel angesägt, über dem Mohnfeld hängt vergessene Wäsche. Es ist eine Wohltat, diese bis in die Überkitschung gefeierten vanGoghschen Ikonen demontiert, ergänzt und raffiniert ironisiert zu sehen.

Erst durch die Überspitzung durch Urs Amann kriegen diese kandisierten Bilder wieder die Schärfe, die sie ursprünglich einmal gehabt haben, als das Publikum noch nicht massenhaft mit farbgeilen Augen in die Gogh-Museen gestürmt ist.

Wenn man das familiäre Brüdergetue beiseite lässt, ist das Projekt eine formidable Vorstellung, um den Goghkult zu dechiffrieren und auf die wesentlichen Eindrücke zurückzuführen.

Urs Amann / Jürg Amann, Übermalungen. Überspitzungen. Van-Gogh-Variationen. Bilder.
Innsbruck: Haymon 2005. 126 Seiten. EUR 25,10. ISBN 978-3-85218-491-3

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Urs und Jürg Amann, Übermalungen. Überspitzungen
Wikipedia: Jürg Amann

 

Helmuth Schönauer, 27-01-2006

Bibliographie

AutorIn

Urs Amann / Jürg Amann

Buchtitel

Übermalungen. Überspitzungen. Van-Gogh-Variationen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Haymon

Seitenzahl

126

Preis in EUR

25,10

ISBN

978-3-85218-491-3

Kurzbiographie AutorIn

Urs Amann, geb. 1951 in Winterthur, Graphiker, lebt in Ascona.<br />Jürg Amann, geb. 1947 in Winterthur, Autor, lebt in Zürich.