Buch-CoverWas für ein prächtiger Titel! - Man denkt sofort an fette Vorabendserien und üppige Imbisse, an mit Eiscreme abgefüllte feiste Lieblinge, an strampelnde Kuschelwesen in Stars und Stripes. Und dabei ist alles mit einem Schlag erkältet und von einer bitteren Patina durchtränkt, wenn Judy Budnitz mit einer ihrer zwölf neuen Geschichten mitten ins Amerikanische Alltagsherz zu sticheln beginnt.

In der Titelgeschichte erfährt eine Frau irgendwo im realen Fabelreich außerhalb der USA, dass jeder Mensch Amerikaner wird, wenn er dort geboren ist. Also lässt sie sich von einem Schlepper über die Grenze in die Staaten bringen, nicht zu früh, damit sie nicht abgeschoben wird, nicht zu spät, damit das Kind auch wirklich in Amerika auf die Welt kommt.

Buch-CoverÜblicherweise dienen Ratgeber dazu, das Leben zu verbessern und der Lesekundschaft Trost zu spenden. Das Entlarvungsbuch von Barbara Ehrenreich freilich berichtet davon, wie die besten Ratschläge im Sand versinken und der User als unerwünschter Trottel in der Arbeitswelt übrig bleibt.

Wir ahnen es ja alle, dass sich zwischen den schönen Worten der spritzig flinken Arbeitswelt und der Realität von verschwundenen Arbeitsplätzen eine riesige Kluft aufgetan hat. Längst gilt die Faustregel, wonach jemand nur dann erfolgreich ist, wenn er den Arbeitsplatz eines anderen vernichtet. Ein Manager kann sich nur so lange im Sattel halten, als er permanent Arbeitsplätze streicht, hat er alle Arbeitsplätze gekillt, ist er selbst fällig.

Buch-CoverLandpfarrer sind aus der Literatur nicht wegzudenken. In Vorabendserien tummeln sie sich als exotische Hochwürden über den Screen, im Unterhaltungsregal schmachten sie als Dornenvögel dahin, und im gestandenen Nachkriegsroman versuchen sie sich selbst, die Leser und das Abendland zu retten.

Bei Günther Loewit heißt der Landpfarre schlicht „Krippler“, das ist wohl eine volkstümliche Bezeichnung für jemanden, der mit der Krippe herumhantiert. Mit etwas schräger Hörlage hört man freilich auch einen Krüppel heraus und dankt dabei an eine feste Kartoffelsorte, die Kipfler genannt wird.

Buch-CoverDie Steigerung von Provinz ist österreichische Provinz. Harland ist ein diffuses urbanoides Nest, über dem sogar die Monde erkalten, während sie auf das irdische Desaster glotzen. Marek Miert schlägt sich als derangierter Privatdetektiv durch, manchmal wird er wegen seiner Diskontpreise zu einem Auftrag geholt.

Das soziale Gefüge ist sehr streng am flachen Land, der heruntergekommene Detektiv muss seine Auftraggeber in deren Büros aufsuchen, weil er selbst sich keine Kanzlei leisten kann. Der ekligste Name, den man sich denken kann ist Heider. Marek Miert kotzt beinahe, als ihn die Visitenkarte erreicht: Horst Heider, Parlamentarischer Mitarbeiter.

Buch-CoverWas lässt uns freiwillig in ein Kino gehen, um dort einen Katastrophenfilm anzuschauen? – Wohl die Lust, etwas bislang Verborgenes über uns und unser Ticken in der Gesellschaft zu erfahren.

Der so genannte Katastrophenfilm zeigt recht genau den Zustand der jeweiligen Gesellschaft auf, denn angesichts der inszenierten Katastrophe laufen öffentliche und private Empfindungen nach einem verborgenen Muster der Solidarität ab. Unsere privaten Gefühle können wir in das Drehbuch schmuggeln und im allgemeinen Desaster reinigen und updaten lassen.

Buch-Cover„Nein“ ist so das wichtigste Wort, das ein Kind während seiner Ersterziehung hört, kaum streckt es seine Finger irgendwohin aus, ruft schon jemand dieses penetrante Nein. Und später, wenn dieses Kind zu einem kaputten Erwachsenen geworden ist, sagt der Psychologe meist in der ersten Beratungsstunde: Sie müssen einfach lernen, nein zu sagen.

In Günter Eichbergers Nein geht es um ein literarisches Nein sagen, man muss während des Erzählens die Helden fallweise ausblenden, ihnen eine neue Erlebnisfläche schaffen und mit dem raffinierten Wort „nein“ eine ganz andere, nein völlig andere Richtung geben.

Buch-Cover„Diese Stadt hat nichts mehr zu verschenken. Es ist eine Stadt der Verluste. Es ist die Stadt der tausendundeinen Folterkammer. Stadt von Syphilis und Hooligans. Es wäre gut, sie dem Erdboden gleichzumachen. Wieder die dichten finnischen Wälder zu pflanzen, die es früher hier gab.“ (89/90)

Klar, diese Stadt kann nur Moskau sein, unregierbar längs zur Geschichte und quer zum Zeitgeist positioniert, anarchistisch üppig und dogmatisch kastriert, ein Unding, das letztlich nur eines produziert: Stoff und Stoff und Stoff für die Literatur.

Buch-CoverManchmal bestehen Romane aus einem signifikanten Stoff, der sich penetrant auf den Leser überträgt. In Norbert Gstreins Roman „O2“ etwa zischt der pure Sauerstoff der Ballonfahrt quer über den Text, in Kurt Leutgebs Roman „K2“ wird der undefinierbare Müll zu einem Megagebirge, das sich im Kopf des Lesers ablegt.

Johannes Gelich lässt in seinem Roman durchgehend Chlor austreten. Als Leser ist man schon bei der Nennung dieses Mediums geistig in einem Hallenbad und denkt an Chlorgasaustritte, Chlorgasvergiftungen und Chlorakne.

Buch-CoverWer eine schräge Wahrnehmung hat, kommt selbst auch in Schräglage. – Martin Suter ist der Spezialist für gestörte Wahrnehmungen. Ob es sich nun um die Krankheit Alzheimer (Small World) handelt, um einen formidablen Anschlag auf die Erinnerung (Ein perfekter Freund) oder um kleine Notlügen und Eintrübungen bei der wahrhaften Liebe (Lila, Lila), immer sind seine Figuren defekt, so dass sie das wahre Ausmaß ihrer Schräglage nur unzureichend wahrnehmen.

Im Roman „Der Teufel von Mailand“ gerät die Hauptfigur Sonia in einen LSD-Rausch und als sie aufwacht, hat sie ein verändertes Umfeldsensorium, sie leidet unter speziellen Formen der Synästhesie, kann Farben riechen, die Zeit schmecken und wird von Verschiebungen der Sinnesorgane heimgesucht.

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Die beste Methode, ein punktgenaues Zeitdokument zu einer bestimmten Staatsatmosphäre zu hinterlegen, ist, einen real leicht überhöhten Roman zu verfassen.

Ludwig Roman Fleischer schreibt jährlich einen Roman zur Lage Österreichs, für das Jahr 2006 ist der Realo-Hammer „Zurück zur Schule“ entstanden. Die Kunst des Österreich-Spezialisten besteht darin, dass seine Romane umso genauer werden, je depperter die Figuren ausfallen. Der aktuelle Zustand Österreichs zeigt sich dabei voll aufgespreizt und ausgeklappt wie der patriotische Brustkorb während einer Herzoperation.