Evelyne Lorenz, Das neunte Land
Der sogenannte Bundesländerroman gilt als eine raffinierte Besonderheit für die Rezeption der Literatur. Da der Grunderwerb von Lesen und Schreiben sowie das Betreiben von Schulen, Bibliotheken und Archiven meist in die Kompetenz der Länder fallen, hat sich ein eigenes Genre entwickelt, das fallweise die öffentlichen Bedürfnisse einer Region erfüllt. Im Volksmund nennt man dieses Kulturgut streng „Bundesländerroman“.
Evelyne Lorenz hat ein staatstragendes Jubiläum zum Anlass genommen, um anhand einer didaktischen Story die Geschichte des Burgenlandes in den letzten hundert Jahren zu erzählen. Der Bundesländerroman erweist sich dabei als passables Genre, um verzwickte Geschichte unterhaltsam darzustellen.
Vom Gewicht her überstrahlt der Titel „Das Buch der Kommentare“ bei weitem den erfrischenden Zusatz „Unruhiger Garten der Seele“. Das eine erinnert an archaische Bibelformate jenseits von Raum und Zeit, das andere ist die zaghafte Verortung des Individuums im Garten der eigenen Seele.
Titel sagen mittlerweile weniger darüber aus, was in einem Buch drinsteht, als vielmehr was der Leserschaft zugemutet wird.
Je heftiger du vom Lesen schwärmst, umso weniger glaubst du vielleicht daran. – Diese schlaue Erkenntnis von Bibliothekaren, die sich mit aufgekratzter Kundschaft auseinandersetzen müssen, sollte man auch probehalber für Dichter anwenden, die zum Ruhestand in eine potentielle Lese- oder Schreibkrise geraten sind.
Hat es einen Sinn, eine Geschichte zu erzählen, die vor hundert Jahren gespielt hat? – Ja, weil in der Literatur ja nicht nur die Geschichte von damals, sondern plus hundert Jahre danach als Geschichte erzählt werden.
Was für eine Verheißung! Inselland – ein doppeltes Glücksversprechen, wenn die lyrische Seele sich auf eine Insel zurückzieht und gleichzeitig über weites Land schwebt.
Moderne Romane sind wie moderne Mehrsystem-Loks, du kannst überall damit fahren, aber die angehängte Ladung besteht meist aus fossilen Produkten oder überhaupt aus Müll. – Dieser seufzende Vergleich deutet auf das Dilemma des sogenannten Einheitsromans hin, wie er in der EU mittlerweile genormt produziert, vertrieben, aber kaum gelesen wird. Statt Abenteuer gibt es Spurtreue, statt Schicksal tritt psychologischer Schnickschnack auf.
Die meisten Pflanzen und Lebewesen drängen, wenn möglich, ins Helle und an die Sonne. Bei den Menschen freilich führt dieses Streben oft stracks ins Dunkel, und manches Schicksal scheint eine Bewegung „schattenwärts“ zu sein.
Eine Liebesgeschichte überlebt die ausgelösten Emotionen nur, wenn sie sich rechtzeitig auf die rettende Liebesinsel „Ironie“ rettet. Und einmal dort gelandet, lässt sich neben der Liebe auch gleich der Tod wunderbar leicht erzählen.
Das Buch von der Wiener Universal-Geschichte betritt man am besten, indem man wie durch einen akustischen Triumphbogen der Sprache mit zwei CDs hineinhüpft in den Text. „Weana Gschicht“ ist eine mündliche Angelegenheit, gleichsam öffentlich wie intim. Im Vorsatz sind die beiden güldenen CDs eingeklemmt. Der beigestellte Buchtext hat die Funktion, das Auge still zu halten, damit sich das Gehör konzentrieren kann. Wie eine Partitur zeigt der Text vor allem die Gliederung, die dem Jahrhundertwerk innewohnt.