christine zucchelli, wie tut ein wildes wandern wohlDer Tourismus benötigt jeweils hundert Prozent der Fläche eines Landes. Es gibt keine Ritze und keine Kluse, worin nicht im Verlaufe eines Jahres ein Tourist stecken würde. Tirol ist mittlerweile so erschlossen und touristisch bombardiert, dass man selbst die Literatur nur mehr dann an das Publikum bringt, wenn sie nach touristischen Grundsätzen produziert und aufbereitet ist.

Christine Zucchelli erschließt mit ihrem Wanderführer Landschaft und Literatur gleichsam. Im Gehen lässt es sich am besten denken, wissen wir seit Thomas Bernhard, und über den Gipfeln ist Ruh‘, wenn man Goethe Glauben schenkt. Wenn man zweihundert Jahre im Gebirge zurückblättert, so gibt es keinen Stein, keinen Pfad und keine Kapelle, die nicht von irgendeinem Dichter im Gebirge besungen worden wäre.

bild: rainer mausfeld, angst und macht„Die historisch stets enge Beziehung von Angst und Macht soll dabei unter dem Aspekt behandelt werden, wie sich gesellschaftliche Machtverhältnisse in kapitalistischen Demokratien stabilisieren und sichern lassen. Die dazu erforderlichen Herrschaftstechniken müssen insbesondere dazu geeignet sein, das unauflösliche Spannungsverhältnis von Kapitalismus und Demokratie zu verschleiern.“ (S. 12)

In vier Beiträgen setzt sich Rainer Mausfeld mit gegenwärtigen Herrschaftstechniken auseinander, die in kapitalistischen Demokratien angewandt werden, um durch Angsterzeugung gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen, zu steuern oder zu stabilisieren und zu sichern.

helmuth luther, mussolinis kolonialtraumEin nicht zu unterschätzendes Motiv für Migrationsströme ist der sogenannte „Gegenbesuch“. Viele Völker, deren Vorfahren einst von Europäern aufgesucht und heimgesucht worden sind, treten jetzt höflich den Gegenbesuch nach Europa an.

Der Reiseschriftsteller Helmut Luther geht in seinem Abessinien-Buch den Spuren Mussolinis nach, die dessen faschistische Expedition in den heutigen Ländern Äthiopien und Eritrea hinterlassen hat.

gerhard ruiss, kanzlernachfolgegedichteSeit es keinen Kaiser mehr in Österreich gibt, muss der Kanzler für alles Ferne und Entrückte herhalten.

Gerhard Ruiss hat für diese politische Skurrilität das Genre Kanzlergedichte kreiert. In Kanzlergedichten wird der ferne Kanzler angebetet, mit eigenen Worten gefeiert und seine möglichen Gedanken werden ihm selbst ins poetische Gehirn projiziert. Je nach Standpunkt und Ergriffenheit können diese Gedichte als wagemutig, frech und witzig empfunden werden. Sie sind aber auch immer eine leise Verhöhnung des Kanzlerwesens, weil sie ex kathedra intelligenter sind als der Kanzler.

bild: heatcote williams, die windsors„Wenn du zur Königsfamilie gehörst, ist England praktisch dein Privatanwesen, / Aus dem du, nachdem du majestätisch durch prachtvolle Häuser gerauscht bist, / Heraustrittst, um der allgemeinen Bevölkerung zuzuwinken / Und sodann Titel und Blechmedaillen an die Gutsarbeiter auszuteilen.“ (S. 56)

Der Dramatiker und Lyriker Heathcote Williams offenbart in seiner, im Geiste der Aufklärung und in Form eines Gedichtes verfassten poetischen Kritik, die dunklen Seiten der königlichen englischen Familie, deren positives Image er als Ausdruck der Ignoranz und des Selbstbetrugs der Öffentlichkeit brandmarkt.

roamn israel, flugobstDas Gegenteil von Fallobst ist Flugobst. Während das eine satt und bodenständig auf der Erde aufschlägt und zu Schnaps verarbeitet wird, kommt das andere edel und exquisit mit dem Flugzeug von den Enden der Erde angeflogen.

Roman Israels Flugobst ist ein sogenannte Klusen- oder Übergangsroman. An der Grenze der ehemaligen Brüderländer DDR und Tschechoslowakei rückt der Westen unbarmherzig in die kapitalistisch brachliegenden Ländereien ein und überhäuft alles mit dem goldenen Glanz des frischen Geldes.

judith taschler, davidIn der Literatur tritt das Unwahrscheinliche völlig selbstverständlich auf. Eine Frau kracht mit dem Auto gegen einen Baum und ist tot, sie wird von einem Jungen gefunden, der nicht weiß, dass er gerade die leibliche Mutter birgt.

Judith Taschler erzählt in ihrem Roman David von einer Art literarischer Familienaufstellung. Jede Figur hat darin eine wohl-komponierte Aufgabe, und wenn eine fehlt, wird der Roman sofort unruhig und unrund. Schon beim Eintritt in das Buch stößt der Leser auf der Umschlaginnenseite auf einen seltsamen Stammbaum. Er ist wie üblich über mindestens drei Generationen angelegt, aber nur die Felder der Heldinnen sind ausgeschrieben, die Felder der Zugeheirateten bleiben leer. Erste Lehre aus dem Roman: Wir lesen Stammbäume immer pragmatisch, was wir nicht brauchen können, lassen wir weg.

Bild: harald specht_geschichte der lüge„Nach bestem Wissen und Gewissen soll hier Wahrheit und nichts als die Wahrheit dominieren, wenn wir Sie, liebe Leser, Auge in Auge, Zahn um Zahn und über beide Ohren mit den „Geschichte(n) der Lüge“ und den zahllosen Verfehlungen wider das 8. Gebot konfrontieren. Und da das Lügen laut HAUG den Menschen sogar Vergnügen bereiten soll, wünschen wir Ihnen dasselbige auch hier, beim Stöbern nach der reinen Wahrheit.“ (S. 11 f)

Seit es Menschen gibt, wird gelogen, wobei auch die moralische Bewertung dieser Lügen sich mit der Entstehung von Moralsystemen und Religionen entwickelt und verändert hat. So gilt in der Evolution das Lügen bei Tieren als durchaus zielgerichteter und erfolgversprechender Fortschritt. In der Geschichte der Menschen hatten Lügen unterschiedliche Effekte, unterhaltsam waren sie für heutige Leserinnen und Leser aber allemal, wie die „Geschichte(n) der Lüge“ nachdrücklich unter Beweis stellen.

bild sebastian guhr_die verbesserung unserer träumeEin utopischer Roman kann zeitlich und räumlich Lichtjahre entfernt sein, es wird in ihm doch die irdische Gegenwart erzählt, weil Autor und Leser nicht aus ihrer Haut können.

Sebastian Guhr schickt alle auf den lebensfeindlichen Planeten Rheit, wo einst einmal ausgewanderte Menschen eine Siedlung erbaut haben, die allen Widrigkeiten trotzt und Platz für die Träume schafft.

bild michael dibdin im zeichen der medusaAls Information über ein Land sind Krimis nur eingeschränkt nützlich. Üblicherweise haben Krimi-Autoren nämlich kaum Arbeit mit der Recherche, sie googeln grob ein paar Ortschaften herunter und geben dem Helden ein paar sinnlose Aufgaben.

Der englisch-amerikanische Autor Michael Dibdin (1947-2007) hat längere Zeit in Perugia unterrichtet und bei dieser Gelegenheit elf Krimis über die entlegensten Teile Italiens geschrieben. So ist auch Südtirol zu einem Roman gekommen, der allerdings nur dünn in Bozen und in einem versteckten Militär-Tunnel in den Dolomiten spielt.