Literatur

Bernhard Hüttenegger, Eis.Sturm. Vademecum

h.schoenauer - 07.02.2024

bernhard hüttenegger, eis sturmIm Idealfall der Intimität trifft die Einsamkeit des Lesers mit jener des Autors zusammen. – „Ein Eissturm ist der Atem des Todes.“ (163)

Bernhard Hüttenegger ist auf Abschiedstour, wie man bei darstellenden Künstlern sagen würde, wenn sie sich noch einmal aufraffen, um die letzten Dinge vor Publikum zu rezitieren. Für diese vorletzten und letzten Dinge bietet sich die Form des „Vademecums“ an, womit ein kleines Heft gemeint ist, das man mit sich herumträgt, um die wichtigsten Handgriffe für das Leben nachzulesen, wenn man kurz einmal bei der Sinnsuche ansteht.

Friedrich Hahn, LEERGUT

h.schoenauer - 31.01.2024

friedrich hahn, leergutIn einem radikalen Definitionsversuch lässt sich die Formel aufstellen: „Literatur ist Leergut.“ Die Formel wird etwas milder, wenn man sie mit der Beschreibung ergänzt, wonach ins Leergut Autor und Leser ihre Gedanken einlagern oder daraus entnehmen. Im Hintergrund schwingt diese schöne Kommunikationsüberlegung mit, wonach es Containment und Content braucht, damit ein Buch Zufriedenheit verströmen kann.

Friedrich Hahn greift diese radikale Überlegung für seinen Roman LEERGUT auf und erwähnt unter anderem, dass immerhin schon Flaubert einen Roman ohne Thema schreiben wollte. Probehalber nimmt er als Autor die Position einer leeren Schachtel ein, die danach verlangt, irgendwie befüllt zu werden.

Sabine Gruber, Die Dauer der Liebe

h.schoenauer - 26.01.2024

sabine gruber, die dauer der liebeFür Frauen, die sich ein Leben lang einen autonomen Status geleistet haben, kommen am Lebensabend meist zwei Schocks angetanzt. Zum einen ist es die Aussicht auf eine miese Pension, wenn nicht pausenlos im gewerkschaftlichen Sinn gearbeitet worden ist, zum anderen ist es das Nachlassgericht, wenn die Behörde feststellt, dass es ohne Trauschein kein Erbverhältnis mit dem verstorbenen Partner gibt.

Sabine Gruber setzt mit jenem Knalleffekt ein, der die „Dauer der Liebe“ zu beenden weiß: mit dem Tod des Partners. Der Protagonistin Renata wird nach ungestümem Anklopfen an der Wiener Wohnung durch die Polizei mitgeteilt, dass ein gewisser Konrad gestorben sei. Seine Familie wohnt in Innsbruck, und genaueres werde sie dort erfahren.

Irene Wondratsch, Kein Flugzeug am Himmel

h.schoenauer - 21.01.2024

irena wondratsch, kein flugzeug am himmelDem Tagebuch ist es egal, was in der Welt draußen passiert, es schreibt sich zwischen den Buchdeckeln von selbst voll.

Die Momentaufnahmen von Irene Wondratsch erstrecken sich wie eine riesige Pinnwand über den Zeitraum von April ‘20 bis Februar ‘22 unter dem seltsam leerfegenden Titel: „Kein Flugzeug am Himmel“. Ein leerer Himmel bedeutet Ausnahmezustand, die Leuchtkörper sind aus dem Firmament gefallen, die Witterung ist mehrdeutig, die Blickwinkel Fenster und Mansardenfenster ergeben nur wenig Plastizität für das Nichts.

Matthias Schönweger, Gebucht. Ein Drehbuch

h.schoenauer - 14.01.2024

matthias schönweger, gebuchtDas ideale Denkmal besteht aus einem Sockel, zu dem man sich allerhand hinzudenken kann, was man vielleicht bedenken sollte. So ein Denkmal ist naturgemäß zeitlos und nicht auf die Referenz der jeweiligen gesellschaftlichen Lage angewiesen. Solche Denkmäler werden auch selten gesprengt, weil die Sprengmeister oft gar nicht mitkriegen, dass es hier etwas zu sprengen gäbe.

Matthias Schönweger „schreibt“ seit Jahrzehnten an einem Buch, das wie das Sockel-Denkmal in der Hauptsache aus Buch besteht. Die neueste Ausgabe trägt sogar den aufschlussreichen Titel „gebucht“. Damit ist einerseits der sogenannte Inhalt als tauglich für ein Buch deklariert, andererseits deutet dieser Begriff darauf hin, dass etwas erledigt ist, das man nur noch absitzen muss.

Thomas Stangl, Diverse Wunder

h.schoenauer - 12.01.2024

thomas stangl, diverse wunder„Es ist kein Verdienst, diesen Ort erfunden zu haben, zufällig bewohne ich diesen Ort.“ (9) – Endlich einmal wird durch diverse Wunder unser auf uns selbst fixiertes Wissen durcheinandergebracht und an einem bislang unbekannten Ort neu aufgesetzt.

Thomas Stangl verkündet im Prolog mit drei Absätzen, was es mit den „Diversen Wundern“ auf sich hat. Sie sind das Ergebnis eines Vorgangs in drei Schritten:
- Zuerst wird alles abgeschabt, was überflüssig ist.
- Diese übriggeblieben Sätze sind von einer Klarheit und Kürze, dass wir meinen, sie alle schon zu kennen.
- Schließlich aber werden sie an einem Ort neu zusammengesetzt, den es bisher noch nie gegeben hat. Und dieser Ort ist sinnigerweise die Existenz des Ich-Erzählers und später die des Lesers.

Elyas Jamalzadeh / Andreas Hepp, Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten

h.schoenauer - 08.01.2024

elyas jamalzadeh, freitag ist ein guter tag zum flüchtenLesen ist für die meisten so selbstverständlich wie Nicht-lesen, es ist in der Öffentlichkeit vorhanden wie das Radfahren oder Fußgehen. Und nur wenn man es gezielt thematisiert, überlegen die Angesprochenen, dass sie vielleicht wieder einmal ein Buch durchblättern könnten.

Die Stadt Innsbruck spricht unverdrossen seit Jahren ihre Insassen auf das Lesen an, verweist dabei auf eine gut funktionierende Stadtbibliothek und verschenkt 10.000 Bücher, die für Aufmerksamkeit, aber nicht für Aufruhr sorgen. Für diese ausgewogene Lesekost sorgt jedes Jahr eine andere Jury, und die Kunst der Politik besteht darin, die Jury klug auszuwählen. Heuer setzt sich diese mit Doris Eibl (Juryvorsitzende, Institut für Romanistik, Universität Innsbruck), Alexander Kluy (Literaturjournalist und Autor, München), Alexandra Plank (Kulturjournalistin, Innsbruck) und Andreas Unterweger (Schriftsteller, Graz) zusammen. Das Team hat wie ein erfahrenes Schiedsrichterquartett gearbeitet und als Innsbruck-liest-Buch einen Erlebnisbericht aus der Migrationsszene ausgesucht.

Norbert Gstrein, Mehr als nur ein Fremder

h.schoenauer - 20.12.2023

norbert gstrein, mehr als nur ein fremderEin großkalibriger Autor muss im gegenwärtigen Literaturbetrieb drei Kanäle speisen: Einmal muss er regelmäßig Werke liefern, die einer letztlich sehr engen EU-Norm entsprechen. Zweitens muss er täglich seine Bereitschaft erklären, Preise, Stipendien und Uni-Auftritte zu absolvieren. Und drittens muss er am Branding der eigenen Biographie arbeiten, die im Idealfall zu einem Mythos ausgerollt werden kann.

Norbert Gstrein füttert alle diese Kanäle professionell, wobei das Professionelle vermutlich darin besteht, dass er alles mit stiller Ironie absolviert. So ergibt sich bei seinen Büchern immer eine gewisse Irritation, wie ernst das Gesagte nun gemeint ist, und ob es nicht letztlich gar eine Verhöhnung des Publikums ist, wenn der Autor läppisch das erfüllt, was sich eine von Germanisten angeführte Freundesschar vage von ihm erwartet.

Philipp Hager, Die Ewigkeit ist vorbei

h.schoenauer - 08.12.2023

philipp hager, die ewigkeit ist vorbeiNicht nur Melodien können einem tagelang als Ohrwurm im Kopf herumgehen, auch faszinierend einleuchtende Sätze können sich zu semantischen Schleifen ausdehnen, egal wie richtig oder falsch sie sind.

Philipp Hager ist mit dem Buchtitel „Die Ewigkeit ist vorbei“ eine Art lyrischer Ohrwurm gelungen. Nicht nur, dass der Satz auf alles passt, was an sprachlicher Struktur durch die Gesellschaft schwebt, der Inhalt der „Formel“ relativiert auch das Gesagte und Gehörte, denn nicht einmal auf die Ewigkeit ist Verlass. Sie, die üblicherweise das Zeitmaß aussticht, wird von der Zeit selber überrumpelt und ad absurdum geführt.

Alain Finkielkraut, Vom Ende der Literatur

h.schoenauer - 06.12.2023

alain finkielkraut vom ende der literatur

Wenn das Ende der Literatur ausgerufen wird, gibt es der Leserschaft einen Stich ins Herz, wie wenn jemand den Weltuntergang exakt terminisiert hätte. Andererseits erfährt die Lese-Apokalypse durchaus Zustimmung. Denn so, wie die Literatur aktuell beisammen ist, wird sie es nicht mehr lange schaffen, würde Nestroy sagen.

Alain Finkielkraut wird dem deutschsprachigen Publikum mit einem unkonventionellen Vergleich vorgestellt. „Er ist der Peter Sloterdijk Frankreichs.“ Sein durchkomponierter Abgesang vom Ende der Literatur ist aus mehreren Essays zusammengefügt, die letztlich auf der These aufbauen, dass wir Teile unserer verschriftlichten Kultur für sakrosankt halten müssen, damit uns nicht das Wertesystem um die Ohren fliegt.