Volker Demuth, Fossiles Futur
Was für ein universell gekreuzter Begriff! Die Fossilien liegen in ferner Vergangenheit und vom Futur wissen wir nicht, wie lange es hält.
Volker Demuth verwendet für seine Lyrik die unerschöpflichen Begriffsfelder Landschaft und Zeit. In dieser Konstellation verschmelzen Fossilienforscher, Landschaftsarchitekten und Zukunftsdeuter zu einem, nämlich zum Lyriker. Der Autor definiert diese Felder als Kapitel-Unterschriften, die wie Insignien im Buch ausgelegt sind. „Die Gegenwart ist die reale Zukunft einer inexistenten Vergangenheit.“ (35) „Landschaften sind Speichermedien.“ (63)
Wenn dir beim Aufschlagen eines Buches alles fremd ist, lies es wie ein Lexikon!
Der eine kommt aus dem Nebel zurück und verkündet, er habe die Aussichtswarte verfehlt und daher nichts gesehen, der andere nimmt vor dem Bildschirm des Internisten Platz und kriegt eine Vorschau auf seine Krankengeschichte, irgendwo ganz hinten sitzt der Tod.
Meisterliche Gedichte lassen nicht spüren, dass hinter ihnen eine Theorie steckt. Dabei trifft die lyrische Erfahrung von Jahrhunderten auf die Bilder aus der Gegenwart, und niemand kann sich die Gedichte anders vorstellen, als dass sie eben in dieser Gestalt formuliert sind.
Gedichte sind wie Pflanzen, die einen Nährboden brauchen, auch wenn sie mit Luftwurzeln arbeiten. Diese Nähr-Substanz kann die vorgespielte Erfahrung eines Ichs sein, eine didaktische Zusammenfassung eines Erkenntnisprozesses oder auch das Verwerten ausgestreuter Literaturpartikel.
Hinter dem unscheinbaren Begriff „Datenpoesie“ tut sich eine literarische Revolution auf. Hier schreibt nicht mehr ein Autor Gedichte oder poetische Texte, sondern die Programme, einmal in Bewegung gesetzt, spulen ihr poetischen Akzente ab. Logischerweise dürfte diesem Unterfangen nicht ein lebender Leser in die Quere kommen, sondern ein kluger Leser müsste dieser Poesie sein eigenes Leseprogramm entgegenhalten, sodass sich zwei Künstliche Intelligenzen gegenseitig auslesen und in Schach halten könnten.
Was für ein aufregender Abgang! Es poltert ein wenig, eine Epoche geht zu Ende, langsam wird es dunkel, vielleicht beruhigt sich auch alles wieder.
Die österreichischen Literaturhäuser sind ja seinerzeit unter staatlicher Aufsicht eingerichtet worden, um die wilde Literatur zu zähmen, das Samisdat-Unwesen zu unterbinden und die Ideen der Dichter in Vitrinen-große Happen aufzuschnetzeln.
Manche Bücher nehmen die Aufgabe, einen haptischen Zusatzgenuss zu vermitteln, so ernst, dass sie beinahe in eine Skulptur ausarten. Solche Bücher kommen dann nicht mit der Post, sondern mit dem Sack-Roller auf den Schreibtisch. Man ist im ersten Durchgang vor allem mit dem Blättern und räumlichen Zuordnen des Textes im Raum beschäftigt, man fühlt sich eher unter einem Triumphbogen stehend, als vor einem Buch sitzend.
Magische Wörter zwingen dazu, die Eigen-Phantasie in Sekundenschnelle anzuregen und auszuleben. Das schöne „Winterrot“ ist voller Widerspruch, trifft doch die Kälte auf die Wärme. Der Raser wird an rotglühende Bremsscheiben denken, wenn er im Winter sein Fahrzeug gerade noch zum Stehen bringt, ein Poet wird von der untergehenden Sonne schwärmen, die gerade im Winter besonders erhitzt untergeht, und Outdoor-Freaks denken an rot angelaufene Nasen oder Wangen, wenn die Kälte ungebremst auf das Antlitz trifft.