Lyrik

Alfred Goubran, Technische Tiere

h.schoenauer - 24.03.2021

alfred goubran, technische tiereManche Ausdrücke lassen einen beim Dahinlesen kurz innehalten, da ist etwas Neues, da ist etwas, was es in dieser Form noch nie gegeben hat. „Technische Tiere“ ist so eine Begriffskombination, die einen zuerst einmal stutzen lässt, bis man eine erste Erklärung findet. Technische Tiere sind vielleicht besonders geschickte Tiere, die ihren Beruf ähnlich dem technischen Zeichner besonders sorgfältig ausüben. Oder sie sind eine besonders seltene Form von „Hohen Tieren“.

Alfred Goubran lässt sich seit Jahren am besten mit einer von ihm erschaffenen Dichter-Figur beschreiben. Dieses Zitat wird als literaturgeschichtliches Label gepflegt. „Jeder Dichter ist ein Orakel, aus dem sich das Unerschaffene in die Welt spricht. Jeder Dichter wirkt durch die unsichtbare Welt und weiß Dinge, die er nicht wissen kann – und das steht durchaus in der Tradition der Dichter, der ich mich verbunden fühle.“ (92)

Daniela Chana, Sagt die Dame. Gedichte

h.schoenauer - 24.02.2021

daniela chana, sagt die dameGedichte können ohne jegliche Ordnung auskommen und wie gefallene Blätter durch den Garten strömen. Wenn man sie dann einzeln aufklaubt, merkt man, dass sie sich alle einem Baum, Zweig, ja sogar Andock-Punkt zuordnen lassen.

Daniela Chana lässt ihre Gedichte wild herum wehen, sie sind frei und ungezähmt, aber als Sammlung ergeben sie dann so etwas wie die verwehte Biographie eines lyrischen Ichs. Schon im Vorspann ist eine Widmung eingefügt, wonach diese Gedichte für jene Singer-Songwriter sind, „deren Werke mich als Teenager berührt und die Liebe zur Lyrik in mir geweckt haben.“

Peter Clar, Die Worte, sagst Du

h.schoenauer - 27.01.2021

peter clar, die worteIn Gedichten werden Botschaften verdichtet, homöopathisch verdünnt oder überhaupt zum Verdunsten gebracht. Im Idealfall verflüchtigen sich die Worte kurz bevor sie ihr Ziel erreichen, sodass sich das lyrische Gegenüber seinen eigenen Reim auf das machen muss, was Reim-los angedeutet ist.

Peter Clar nimmt die Ur-Konstellation der Lyrik als Titel für seinen Gedichtband. Wort, Du und Punkte, die das Versickern des Gedankenganges andeuten. Seine drei „Versuchsanleitungen“ bestehen einmal als Farbankündigung, dann als Einstellung des Empfängers auf die Nachrichten und im dritten Teil aus einer leeren Regieanweisung, die in ein Mayröcker-Zitat mündet.

Gerhard Ruiss, Blech

h.schoenauer - 08.01.2021

gerhard ruiss, blechLyrik ermöglicht ja im Detail ähnlich wie Kultur als Ganzes einen höchsten menschlichen Zustand, der sich zwischendurch in Gedichten materialisiert. Diese Gedichte manifestieren sich gleich einem Handwerkzeug zu einem stofflichen Gebilde, das im Idealfall einer Epoche den Namen zu geben vermag, wie es etwa die Bronze-, Stein- oder Eisenzeit gibt.

Wenn Gerhard Ruiss seine aktuelle Gedichtsammlung „Blech“ nennt, spielt er augenzwinkernd auf eine große Epoche an, nämlich die blecherne Zeit. Tatsächlich erklärt das Schlussgedicht pragmatisch, was es mit diesem Blech als Gedicht auf sich hat.

C. H. Huber, Die Vögel reden wieder miteinander

h.schoenauer - 23.12.2020

c.h. huber, die vögelGerade als allenthalben die Vögel ausgerottet werden und somit bald die Lyrik verschwunden sein wird, denn die Lyrik lebt von den Vögeln, taucht eine optimistische Botschaft auf: Die Vögel reden wieder miteinander.

C. H. Huber besticht seit Jahrzehnten mit ihrem zuversichtlichen Ton, der vor allem über drei fundamentale Motive gespannt ist: Süden, Erotik und Anrücken eines großen Herbstes. Im aktuellen Lyrikband sind diese Themen fünf Gedankenkreisen zugeordnet:

Markus Lindner, Nachtschnee

h.schoenauer - 14.12.2020

markus lindner, nachtschneeDer Klimawandel bedingt, dass die jüngeren Generationen immer öfter Sachen nachschlagen müssen, die für frühere Generationen selbstverständlich gewesen sind. So stellt das schöne Bild vom Nachtschnee die wenigsten von uns vor Imaginationsprobleme, seit der Schnee aber aus den Kanonen kommt, die nächtens surren, muss man die neue Bedeutung von Nachtschnee vielleicht schon googeln. Und den Begriff Steganographie muss man sich ohnehin erarbeiten, er bedeutet so viel wie geheime Nachricht auf einem unerwarteten Datenträger.

Markus Lindner nimmt beispielsweise diesen hybriden Begriff des Nachtschnees als Datenträger auf, um ihm allerhand Informationen einzuspeisen. Vom Layout her gesehen sind die ersten knapp sechzig Gedichte in konventioneller Form als Tageslicht-Texte ausgeführt, das letzte Drittel erstrahlt als Mond-Textur, auf schwarzem Untergrund sind in weißer Schrift die Informationen herausgestochen, typische Nacht-Gedichte eben.

Lina Hofstädter, Erinnerungen an die Natur

h.schoenauer - 09.12.2020

lina hofstädter, erinnerungen an die naturDie noch lebenden lyrischen Ichs haben eines gemeinsam: Während ihrer Lebenszeit ist die Natur so ziemlich verschwunden, so dass sie auch als lyrische Anrufung nur mehr als Metapher, nicht aber mehr als konkrete Gegebenheit besungen werden kann.

Lina Hofstädter umgeht diesen Konflikt zwischen ausgestorbener Natur und ungebrochener Sehnsucht danach, indem sie von Vorneherein die Natur als Erinnerung installiert. Nicht der Mond ist das Motiv, sondern unsere Erinnerung daran, wie wir ihn seinerzeit angehimmelt, angepöbelt und ihm angetrunken zugejubelt haben.

Heinz D. Heisl, Wir haben leider Diebe im Haus

andreas.markt-huter - 04.11.2020

heinz d. heisl, wir haben leider diebe im HausDer gute Ton kann aus einer unangenehmen Situation etwas Verschmitzt-Leichtes machen und so alles zur Zufriedenheit auflösen. Wenn beispielsweise in einer Wohnanlage ständig die Zeitung geklaut wird, ist es ein lieblicher Klärungs-Versuch, wenn jemand an den Zeitungsausträger mit einem Pin-Up schreibt: „Wir haben leider Diebe im Haus.“

Heinz D. Heisl ist als Musiker und Poet ein Meister des guten Tons. In beiden Sparten geht es letztlich um die Atmosphäre, die in der Musik vielleicht kollektiv entsteht, in der Poesie oft ganz einsam im Wechselspiel zwischen Akteur und Situation. So wird die Dichtung letztlich etwas recht Einsames, worüber nur der Autor die letzte Auskunft geben kann.

Ewald Baringer, Kinderstube der Fische

andreas.markt-huter - 16.10.2020

ewald bahringer, kinderstube der fischeFür die Dechiffrierung von Lyrik helfen oft die zwei animalischen Faustregeln: Vögel bedeuten in den Gedichten meist Zeit, und die Fische tauchen immer dann auf, wenn etwas umsonst ist, für die Fisch sozusagen.

Ewald Baringer setzt seine Gedichte vorsichtshalber in den Gap zwischen Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern. Gleich im ersten Text stellt er sein Programm vor, demnach sind die Umstände, in denen etwas geschrieben wird, mindestens so bedeutungsvoll wie das Geschriebene selbst. Dem lyrischen Ich kommt daher eine tragende Rolle zu, auch wenn wieder einmal alles scheitert: „heute kein gedicht geschrieben“. Diese Verdruss-Aussage katapultiert das lyrische Ich aber zur großen Empfindsamkeit und Lebensqualität und lässt den Alltag erträglich erscheinen. Regenwetter, Geschirrspüler verstopft, loser online-Verkehr, Recherchen über Verschwörungstheorien, an solchen Tagen ist es gut, nicht zu dichten, und die Leser sind d'accord damit.

Stephan Eibel Erzberg, breaking poems

andreas.markt-huter - 30.09.2020

erzberg breaking poemsNach dem Konzept der Beatniks kann die Literatur jederzeit losbrechen, zu keiner Tageszeit kann man sicher sein, dass nicht ein Gedicht ausbricht, bei keiner Wetterlage gibt es Gewissheit, dass nicht ein Held von der Fahrbahn abkommt und in den Graben stürzt.

Stephan Eibel Erzberg hat als Poesie-Vulkan alle Hände voll zu tun, die unerwartet auftretenden Drücke halbwegs zu dosieren und in alle Richtungen zu verströmen. Seine breaking poems erinnern nicht nur an Eil-Nachrichten, die über den Bildschirm laufen, sie sind auch handfeste Gedichte-Klumpen, die durch die Gegend schwirren.