gerhard ruiss, blechLyrik ermöglicht ja im Detail ähnlich wie Kultur als Ganzes einen höchsten menschlichen Zustand, der sich zwischendurch in Gedichten materialisiert. Diese Gedichte manifestieren sich gleich einem Handwerkzeug zu einem stofflichen Gebilde, das im Idealfall einer Epoche den Namen zu geben vermag, wie es etwa die Bronze-, Stein- oder Eisenzeit gibt.

Wenn Gerhard Ruiss seine aktuelle Gedichtsammlung „Blech“ nennt, spielt er augenzwinkernd auf eine große Epoche an, nämlich die blecherne Zeit. Tatsächlich erklärt das Schlussgedicht pragmatisch, was es mit diesem Blech als Gedicht auf sich hat.

c.h. huber, die vögelGerade als allenthalben die Vögel ausgerottet werden und somit bald die Lyrik verschwunden sein wird, denn die Lyrik lebt von den Vögeln, taucht eine optimistische Botschaft auf: Die Vögel reden wieder miteinander.

C. H. Huber besticht seit Jahrzehnten mit ihrem zuversichtlichen Ton, der vor allem über drei fundamentale Motive gespannt ist: Süden, Erotik und Anrücken eines großen Herbstes. Im aktuellen Lyrikband sind diese Themen fünf Gedankenkreisen zugeordnet:

markus lindner, nachtschneeDer Klimawandel bedingt, dass die jüngeren Generationen immer öfter Sachen nachschlagen müssen, die für frühere Generationen selbstverständlich gewesen sind. So stellt das schöne Bild vom Nachtschnee die wenigsten von uns vor Imaginationsprobleme, seit der Schnee aber aus den Kanonen kommt, die nächtens surren, muss man die neue Bedeutung von Nachtschnee vielleicht schon googeln. Und den Begriff Steganographie muss man sich ohnehin erarbeiten, er bedeutet so viel wie geheime Nachricht auf einem unerwarteten Datenträger.

Markus Lindner nimmt beispielsweise diesen hybriden Begriff des Nachtschnees als Datenträger auf, um ihm allerhand Informationen einzuspeisen. Vom Layout her gesehen sind die ersten knapp sechzig Gedichte in konventioneller Form als Tageslicht-Texte ausgeführt, das letzte Drittel erstrahlt als Mond-Textur, auf schwarzem Untergrund sind in weißer Schrift die Informationen herausgestochen, typische Nacht-Gedichte eben.

lina hofstädter, erinnerungen an die naturDie noch lebenden lyrischen Ichs haben eines gemeinsam: Während ihrer Lebenszeit ist die Natur so ziemlich verschwunden, so dass sie auch als lyrische Anrufung nur mehr als Metapher, nicht aber mehr als konkrete Gegebenheit besungen werden kann.

Lina Hofstädter umgeht diesen Konflikt zwischen ausgestorbener Natur und ungebrochener Sehnsucht danach, indem sie von Vorneherein die Natur als Erinnerung installiert. Nicht der Mond ist das Motiv, sondern unsere Erinnerung daran, wie wir ihn seinerzeit angehimmelt, angepöbelt und ihm angetrunken zugejubelt haben.

heinz d. heisl, wir haben leider diebe im HausDer gute Ton kann aus einer unangenehmen Situation etwas Verschmitzt-Leichtes machen und so alles zur Zufriedenheit auflösen. Wenn beispielsweise in einer Wohnanlage ständig die Zeitung geklaut wird, ist es ein lieblicher Klärungs-Versuch, wenn jemand an den Zeitungsausträger mit einem Pin-Up schreibt: „Wir haben leider Diebe im Haus.“

Heinz D. Heisl ist als Musiker und Poet ein Meister des guten Tons. In beiden Sparten geht es letztlich um die Atmosphäre, die in der Musik vielleicht kollektiv entsteht, in der Poesie oft ganz einsam im Wechselspiel zwischen Akteur und Situation. So wird die Dichtung letztlich etwas recht Einsames, worüber nur der Autor die letzte Auskunft geben kann.

ewald bahringer, kinderstube der fischeFür die Dechiffrierung von Lyrik helfen oft die zwei animalischen Faustregeln: Vögel bedeuten in den Gedichten meist Zeit, und die Fische tauchen immer dann auf, wenn etwas umsonst ist, für die Fisch sozusagen.

Ewald Baringer setzt seine Gedichte vorsichtshalber in den Gap zwischen Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern. Gleich im ersten Text stellt er sein Programm vor, demnach sind die Umstände, in denen etwas geschrieben wird, mindestens so bedeutungsvoll wie das Geschriebene selbst. Dem lyrischen Ich kommt daher eine tragende Rolle zu, auch wenn wieder einmal alles scheitert: „heute kein gedicht geschrieben“. Diese Verdruss-Aussage katapultiert das lyrische Ich aber zur großen Empfindsamkeit und Lebensqualität und lässt den Alltag erträglich erscheinen. Regenwetter, Geschirrspüler verstopft, loser online-Verkehr, Recherchen über Verschwörungstheorien, an solchen Tagen ist es gut, nicht zu dichten, und die Leser sind d'accord damit.

erzberg breaking poemsNach dem Konzept der Beatniks kann die Literatur jederzeit losbrechen, zu keiner Tageszeit kann man sicher sein, dass nicht ein Gedicht ausbricht, bei keiner Wetterlage gibt es Gewissheit, dass nicht ein Held von der Fahrbahn abkommt und in den Graben stürzt.

Stephan Eibel Erzberg hat als Poesie-Vulkan alle Hände voll zu tun, die unerwartet auftretenden Drücke halbwegs zu dosieren und in alle Richtungen zu verströmen. Seine breaking poems erinnern nicht nur an Eil-Nachrichten, die über den Bildschirm laufen, sie sind auch handfeste Gedichte-Klumpen, die durch die Gegend schwirren.

hans haid, langesAn manchen Tagen steigt die Lyrik aus jeglichem Zeitgeist aus und erzählt etwas vom archaischen Verhältnis zwischen Mensch und Natur, Arbeit und Religion.

Hans Haid beschäftigt sich seit einem halben Jahrhundert mit den Menschen, die unter die Räder des Fortschritts kommen, mal ist er dabei Volkskundler, dann Museumsgestalter, mal Essayist und dann wieder Lyriker.

michaela hinterleitner, räuber der meereIn den Sehnsuchtsvorstellungen vom Meer liegt im Unterbewusstsein meist noch etwas brach: Raubfische, Raubtiere, Seeräuber, Raubbau an der Natur.

Michaela Hinterleitner versammelt diese Störungen im weiten blanken Meer mit den Zustandsbeschreibungen „verbissen, vertieft, verschwommen und vernetzt“. Diese vier Zustände sind auch an Land verwendbar, diese vier Zustände sind vielleicht die Windrichtungen, in die unser Gemeinwesen täglich verblasen wird.

mario hladicz gedichteOft ist der Kosmos eines Gedichtbandes schon im Titel abgesteckt, da gibt es Natur ohne Horizont, dünne Luft in Arkadien, Asteroiden in der Moebius-Schleife. Völlig geerdet ist hingegen ein Projekt, das sich schlicht Gedichte zwischen Uhr und Bett nennt.

Mario Hladicz setzt mit seinen Gedichten unvermittelt ein, kleine Sequenzen, die einem jäh vor die Linse tanzen, sind in Wahrheit vielleicht ein Gedicht, wenn man sich die Mühe nimmt, hinzusehen. Ziemlich kühl in die Abschnitte I, II und III unterteilt erinnern die Gedichte vielleicht an die alten Eisenbahnwaggons, wo es je nach Klasse immer ungefederter zugegangen ist. Die Einteilung könnte aber auch mit innig, halböffentlich und öffentlich gedeutet werden.