Lyrik

Christian Wolf, Schall & Rauch

andreas.markt-huter - 24.02.2023

christian wolf, schall und rauchWo Goethes Faust nicht überall hinlangt! – In Marthens Garten wird gerade die Gretchenfrage gestellt, da kommt es schon zum berühmten Diktum: „Gefühl ist alles. Namen sind nur Schall und Rauch.“

Christian Wolf greift diese längst zum Klassiker gewordene Fügung von Schall & Rauch auf, um sich damit einem lyrischen Ur-Zustand zu nähern. Während in weiten Teilen der Gesellschaft auf Fakten gesetzt wird, geht es in der Poesie um Gretchenfragen und definitive Vergänglichkeit. Was ist ein Gedicht schon anderes, als ein Stück Schall und Rauch?

Regina Hilber, Super Songs Delight

h.schoenauer - 13.02.2023

regina hilber, super songs delightBist du ein Verschließungs- oder ein Erschließungsgedicht? – Gedichte vertragen es durchaus, wenn man sie in einem witzigen Ton etwas fragt, ähnlich wie man sich bei Kindern nach dem Lieblingsspielzeug erkundigt.

Regina Hilbers Gedichte sind natürlich beides: verschlossen und erschlossen. Sie haben einen Zug zur hermetischen Lyrik, indem sie etwa exklusive poetische Gegenden aufsuchen, deren geographische Verortung man erst recherchieren muss, oder mit Begriffen hantieren, die selbst im Altgriechischen nur selten vorgekommen sind.

Peter Paul Wiplinger, Einschnitte

h.schoenauer - 27.01.2023

peter paul wipplinger, einschnitte„Mein Gedicht ist mein Messer“ schreibt Hans Magnus Enzensberger 1961 und lässt erahnen, was ein Gedicht letztlich bewirken kann: Nämlich eine Epoche, ein subjektives Zeitgefühl und das historische Bewusstsein zu zerschneiden in vorher und nachher.

Für Peter Paul Wiplinger ist dieser Messer-Satz ein intensiver Einschnitt, allmählich begreift er die Zäsur, die die Nazis über sein Leben, seine Angehörigen, das Dorf und das Mühlviertel überhaupt gelegt haben.

Patricia Brooks, Bukarest Bistro

h.schoenauer - 02.11.2022

patricia brooks, bukarest bistroFür eine Reise durch die Geographie braucht es ähnliche Stützpunkte wie für eine Reise durch das weite Land der Poesie. Einmal sind es Karawansereien, Biwak-Boxen oder Bistros, die das reisende „Wir“ versorgen, dann sind es wieder Wolkenballen, Sträucher und Licht, aus denen sich die Gedichte speisen.

Patricia Brooks setzt für ihre Reise das „Bukarest Bistro“ in Szene und in den Titel. Darunter finden sechzig Gedichte Unterschlupf und berichten von einer imaginierten Welt auf mehreren Ebenen. Einmal ist mit dem Bukarest Bistro eine Location benannt, wie wir sie überall auf der Welt vorfinden, wenn jemand der rumänischen Hauptstadt zuliebe ein Café aufgemacht hat. Andererseits ist ein märchenhaft fernes Land damit verknüpft, das zur Anreise animiert, und drittens liefert der Begriff eine erste Befriedigung jener Sehnsucht, wegen der wir aufgebrochen sind.

Raimund Bahr, Poeterey eines Unbrauchbaren

h.schoenauer - 24.10.2022

raimund bahr, poeterey eines unbrauchbarenVielleicht sollte man Poeterey ganz despektierlich mit Tätigkeiten vergleichen, die ebenfalls mit einem Ei enden: Bücherei, Metzgerei, Bäckerei. Alle diese Cluster-Verrichtungen sind vom Aussterben bedroht, weil sie für das aktuelle Gesellschaftsleben „unbrauchbar“ sind.

Raimund Bahr versetzt sich in die Lage eines Unbrauchbaren, der nach alter Manier etwas anstrebt, was Nachdenken, Reimen, Spinntisieren, Aufschreiben bedeutet. Poeterey ist eine ausufernde Tätigkeit, die sich ständig selbst Regeln überstülpt, um sich halbwegs in den Griff zu bekommen.

Jürgen Becker, Gesammelte Gedichte 1971-2022

h.schoenauer - 03.10.2022

jürgen becker, gedichteIn Glücksstunden kann das Lesen zu einer Philosophie ausarten, worin bekanntlich die Gedanken umso klarer werden, je disziplinierter sie eingefangen sind. Nicht das hemmungslose Ausschweifen bringt die freien Gedanken in den Kopf, sondern das disziplinierte Heranführen desselben an jenen Horizont, an dem eine andere Sprache, Semantik oder Logik beginnt.

Für sogenannte „reife Leser“ spielen mit zunehmendem Alter Leserituale eine Rolle. Sie geben den flatternden Augen nicht nur Stabilität, Zeilen zu halten und abzutasten, fixe Gewohnheiten ermöglichen es erst, täglich eine Art unerforschtes Gelände zu erkunden.

Angelika Stallhofer, Stille Kometen

h.schoenauer - 21.09.2022

angelika stallhofer, stille kometenLyrik steckt meist schon auf den ersten Blick ein Territorium ab, das mit eigentümlichen Fügungen beschrieben wird, wie man etwa Stadtviertel mit Graffiti markiert. Die lyrischen Signale zeigen den Eingeweihten sowohl Tageslosung als auch Zukunftsprogramm, während Außenstehende die Wort-Zeichen wie Piktogramme lesen, denen keine unmittelbare Handlung folgt.

Angelika Stallhofer nennt ihre Gedichte-Sammlung „stille Kometen“, sie weitet ihr Wortrevier aus, indem sie ins Universum blickt, aus dem heraus vielleicht lautlos Kometen einschlagen. Von dieser Konstellation stiller Kometen ausgehend erhält auch die Wortkette mit den fünf Kapitelüberschriften eine erste Deutungsmöglichkeit: Brennen, Wasserstellen, Surren, Schlingen, Schwebebahn. Die Begriffe erzählen eine Geschichte, wie es Objekte in einer Galerie tun, wenn sie hintereinander abgegangen werden und sich bei den Flanierenden zu einem individuellen Ereignis verdichten.

Siljarosa Schletterer, azur ton nähe

h.schoenauer - 22.08.2022

siljarosa schletterer, azur ton näheDie verschwiegenste Lyrik wächst für Augenblicke aus dem großen Fließen heraus, wenn das abgedriftete Auge zurückschnellt, um abermals dem Verlauf des Wassers zu folgen.

Siljarosa Schletterer siedelt ihre Gedichte an einem Fluss- und Fließsystem an, „azur ton nähe“ belegen als Farbe, Musik und Innigkeit unbegleitete Wörter, die scheinbar zufällig als Flusskiesel am Ufer liegen.

Dieses Gewässersystem ist einerseits als imaginäres Netz von Lebenssubstanz über die Erde gespannt, andererseits mit GPS-Daten verortet. So wie heute bereits jedem Foto die Aufnahme-Koordinaten innewohnen, so sind die Gedichte mit konkreten Daten hinterlegt und als Überschrift gesetzt. In einem angeschwemmten Flussverzeichnis am Ende des Bandes kommen die Flüsse als Register zum Vorschein, und in diesem Fall sind die Schwerpunkte mit den Seitenzahlen des Gedichtes fixiert.

Heinz D. Heisl, Gereinigter Haushalt. Gedichte

h.schoenauer - 11.07.2022

heinz d. heisl, gereinigter haushaltVielleicht gibt es in der Lyrik so etwas wie poetische Hygiene, wonach die Beteiligten aufgeräumt in sich selber wohnen und so geschützt sind von Lebewesen allzu einfacher Bauart, wie es Viren und Bakterien darstellen. Nur wer den täglichen Attacken als Zwischenwirt standhält, kann seinen künstlerischen Blick stabil halten wie auf einem Stativ.

Heinz D. Heisl hat eben noch von „Dieben im Haus“ erzählt, die zumindest am Papier die Hausordnung stören, und deshalb als Warnung am schwarzen Brett enden. Vielleicht ist auch ein schmutziges Verbrechen im Haus geschehen, und der Tatortreiniger musste eingeschaltet werden.

Stephan Eibel Erzberg, decke weg.Gedichte

h.schoenauer - 27.06.2022

stephan eibel, decke wegZu den spitzen Aktionen, die auf elementare Bloßstellung hinauslaufen, zählt sicher das pädagogisch fragwürdige Spiel „Decke weg!“. Dabei wird in großen Schlafräumen spontan kontrolliert, ob die Schlafklienten die Hände an der richtigen Stelle haben und nicht am Genital herumfuhrwerken.

Stephan Eibel hat ein feines Gespür für Fügungen, die das Ungeheuerliche in netten Bildern zu verstecken versuchen. Decke weg ist ein brutaler Befehl, der jahrzehntelang aus Internaten und dem Bundesheer ins Freie gedrungen ist, wo freilich niemand zugehört hat.