brane mozetic, banalien„Man hat mir nichts gegeben, was mir helfen würde zu existieren. Weder Glauben noch Hoffnung, um zu bereuen, zu bitten und erlöst zu werden.“ (45) Brane Mozetič gilt als der am meisten übersetzte slowenische Autor der Gegenwart, das hat mit seinen Themen zu tun, seiner Beharrlichkeit und der Ortsungebundenheit seiner Lyrik.

Seit zwei Jahrzehnten ist er mit seinen „Banalien“ in der Literatur unterwegs, die „Ur-Banalien“ erweckten bereits 2003 großen Furor, weil seine Gedichte zwar wie Texte aussehen, in Wirklichkeit aber Verfahrensweisen sind.

klaus ebner - klaus ebner porträtLiliput ist in seiner Urform eine fiktive Insel in Swifts Roman Gullivers Reisen. Später hat sich unter diesem Namen die Idee durchgesetzt, eine große Welt überschaubar zu machen, indem man sie verkleinert, bis sie auf einem Handteller Platz hat.

In der literarischen Serie „Podium Porträt“ wird die große Welt der Poesie heruntergebrochen auf einen wesentlichen Gedanken, der einer porträtierten Person als Lebensmotto dienen könnte. Das „Liliput“-Format in Postkartengröße und im Umfang von 66 Seiten (wie einst bei den Perry- Rhodan-Heften) ermöglicht es, das jeweilige Porträt als Visiten- und Grußkarte unter Freunden zu verschicken. Und wie in den klassischen Fußballer-Sammlungen von Panini werden die lyrischen Stars mittlerweile gehandelt, gelesen und getauscht.

peter pessl, ah das gasthaus der wilderness!Selbst für Leseprofis sind Bücher manchmal vorerst verschlossen wie eine Nuss, man trägt sie als Krähe ein paarmal in die Luft, ehe sie dann aufgeht, wenn man sie richtig zu Boden fallen lässt. Andere nehmen den Text als Stein von Sisyphus und beginnen mit dem Rollen. Die dritten beginnen mit der Einbegleitung, in der letztlich alles drin steht, um in den Text eintreten zu dürfen.

Peter Pessl ist offensichtlich selbst überrascht, worauf er da stößt: „Ah, das Gasthaus der Wilderness!“ Dieses Stück Kultur in der Wildnis fordert den Besucher auf, die gewohnten Sehweisen zu verlassen und der Dramaturgie der vierzig Prosagedichte zu folgen, die gleich nach dem Eintritt auftauchen werden.

nikolaus scheibner, ethik der künstlichen intelligenzWenn die Gedichte an die künstliche Intelligenz ausgelagert sind, bleibt dem Individuum nur mehr die Ethik, um sich bemerkbar zu machen. Aber was ist, wenn auch die Ethik der künstlichen Intelligenz untergeordnet wird?

Nikolaus Scheibner kämpft mit „echten“, „selbstgemachten“ Gedichten gegen die künstliche Intelligenz an, die er letztlich als Epoche der Menschheit empfindet, wie früher Stein oder Bronze den Evolutionsschüben der Menschheit einen Namen gegeben haben. Folglich sind die Gedichte auch in Zyklen eingereiht, die auf diese Epochen rekurrieren. Holz / Stein / Kupfer / Eisen / Plastik.

clemens schittko, alles gutLiteratur spielt ähnlich wie Mathematik auf verschiedenen Ebenen, die über Ableitungen und Hyperlinks miteinander in Verbindung stehen. In der einfachsten Literaturform gibt etwas vor, ein Sachverhalt zu sein, der mit Worten in literarische Wirklichkeit versetzt werden kann.

Für einen Schriftsteller ist diese einfache Welt bereits eine Hinterwelt, denn alles, was er erlebt, ist Teil des Literaturbetriebs, solange er sich darin als Schriftsteller gebärdet.

Clemens Schittko kümmert sich mit seinem Werkstattbuch „alles gut“ um diesen Untergrund, dem er ein Thesengedicht widmet: „das Hauptproblem des Untergrunds // da ist diese Ablehnung, / die man dem sogenannten / Mainstream entgegenbringt / und für die man gleichzeitig / von diesem Mainstream / anerkannt werden möchte“ (139)

edgar hättich, mondsichelbootNichts ist so groß wie ein Wort, das aus einem weiten Bild heraus verdichtet worden ist. Edgar Hättich nimmt aus den Nächten eines langen Lebens jenen Augenblick ins Auge, wenn für einen kurzen Augenblick der Mond andeutet, dass er seine Überfahrt durch die Nacht beginnen wird. „Mondsichelboot“: Für das lyrische Ich wird es Zeit, die Gedichte an jenen Fensterflügeln anzulehnen, die die Kühle regeln während des Schlafs.

„im zeichen untergehenden lichts überm kogel / erwacht meine lebenslust / im blau die goldene sichel / wird bald dein boot / gondoliere mond / lass mich einsteigen / führ mich hinaus ins himmelmeer“ (35) Diese Gelassenheit ist der Auswuchs einer langen Gedankenkette, die sich vielleicht schon über Jahrzehnte hinzieht. In die poetische Schnur sind ab ab und zu größere Fügungen eingelagert, die wie Bojen die Orientierung erleichtern, wenn das Mondsichelboot unterwegs ist.

jonathan perry, auf der flucht„Lebt mit Frau und Kind in St. Pölten.“ – Diese zu einer Inschrift verdichtete Bio-Zeile beschreibt auch gleich jenen Kosmos, in dem der Gedichtband „Auf der Flucht“ spielt.

Jonathan Perry hat seine Gedichte auf der Drehbank eines St. Pöltener Kammerstückes eingespannt, die einzelnen Texte werden in Drehung versetzt und benehmen sich wie auf der Flucht. Das heißt, sie sind selbst noch nicht am Ziel angekommen, gleichzeitig verändern sie jedoch den Aggregatszustand und werden „flüchtig“, wie man das über Stoffe sagt, die allmählich aus sich selbst verschwinden.

joachim hammer, glückes schiefe türmeWerkzeuge lassen sich in zwei Richtungen hin einsetzen, einmal, um einen bestimmten Sachverhalt zu erkunden, zu korrigieren oder zu optimieren, und im umgekehrten Sinn, indem man schaut, wofür sich dieses Werkzeug zusätzlich verwenden ließe.

Joachim Gunter Hammer hat über Jahrzehnte hinweg lyrisches Werkzeug erfunden, mit dem er vor allem phänomenologische, botanische oder molekular-physikalische Vorgänge erkundet. Als „Schweizermesser“ dieser lyrischen Erforschungen dienen ihm oft 17- und 19-Silbler. Diese an alte fernöstliche Dichtkunst anknüpfende Schärfe im Umgang mit Silben und Wortmaterial bewährt sich auch im europäischen Gebrauch, wenn Vorgänge aus der politischen Schwarzweißmalerei plötzlich mit einem über-sensiblen Besteck zerlegt und einem neuen Sinn zugeführt werden. In einer schlagwortartigen Einschätzung der Lyrik von Joachim Gunter Hammer könnte man sagen, seine Gedichte laufen ähnlich quer durch die Welt wie das heiße Messer durch die Butter.

robert stähr, plattform einsIn manchen Kulturen wird das Parterre eines Gebäudes mit „Plattform eins“ bezeichnet. Das trifft sich gut, denn unter Parterre versteht man im psychologischen Kontext einen Zustand, bei dem die Helden seltsam am Boden sind. – „Heute bin ich wieder ganz Parterre!“

Robert Stähr nimmt drei Anläufe, um derangierte Helden und am Boden zerstörte Individuen auf die Plattform eins zu heben. Eingestimmt wird der Leser auf die jeweiligen Abschnitte mit drei Tuschzeichnungen von Sandra Lafenthaler, die wie brüchige Lava-Konturen Umrisse zum Vorschein bringen. Sie erinnern einmal an ein Knäuel Papier, dann wieder an eine schräg aufgezogene Jalousie und schließlich an einen notdürftig zusammengeklappten Seilzug. Die Linien dieser drei Zeichnungen sind spröde, der Strich setzt zwischendurch aus und ergibt schließlich ein Stück pure Perforation.

rosa pock, ein jahr im leben einer infantinEiner der geheimnisvollsten Adelstitel lautet Infantin. Damit ist ein anerkanntes weibliches Kind eines spanischen Herrscherhauses gemeint, das auf der Ersatzbank der Kindheit sitzt und auf den Einsatz wartet. Das kann lange dauern, wenn man nur an den aktuellen König von England denkt, der als Siebzigjähriger erst von seinem Infantentum erlöst wurde.

Rosa Pock lässt in ihrem „Jahr im Leben einer Infantin“ ein Tagebuch-Ich zu Wort kommen, das eine brauchbare Rolle sucht, um mit der Kunst, dem Schreiben, der Poesie und sich selbst versöhnt zu werden.