Im Idealfall beschreibt ein einziges Wort einen Kosmos voller Gefühle, Erinnerungen und Träume. In der Lyrik sind diese Zauberbegriffe oft in rätselhaften Gedichten versteckt, manchmal werden sie auf das Cover gespült und schalten dabei das Licht an für eine wundersame Imagination – Lunapark.
Patricia Brooks setzt mit Lunapark eine faszinierende Welt in Szene, in der es drunter und drüber geht mit Glücksversprechungen, Spielen und hellen Farben aus der Kindheit. Etwas Paradiesisches schwingt über den Gerätschaften, die als Ansichtskarten verpixelt auf einem eigenen Karussell tanzen in der Hoffnung, zu einem Selfie mit glücklichem Ausgang zu werden.
Die gängige Definition eines Lunaparks ist weitläufig gehalten und regt dazu an, durch eigene Erinnerung unverwechselbar zu werden. „Luna Park steht für Vergnügen, Fahrgeschäfte, Schaubuden, Imbissstände, Abenteuer, Illusion, Nervenkitzel, Lärm, Geruch von Dieselöl und gebratenen Mandeln. Er hat billigen Glamour und dunkle Seiten.“
In gut sechzig Gedichten breitet sich der lyrische Lunapark vorerst als Übersichtskarte aus, wenn man den Inhalt als wundersame Stationen eines Spaziergangs auf sich wirken lässt. Luftpost / Herbstspiel / Winterreise / Heimweh / Warten auf Regen / Sommervögel / Auf dem Floss / Mach das Fenster auf. Die Überschriften ordnen wie Karteireiter einer alten Bibliothek die Atempausen, die ein flanierendes Wesen, halb lyrisches Ich, halb angesprochenes Du, einlegt. Diese offen gehaltenen Überschriften evozieren in den Lesern bereits die eigene Erfahrung, die geradewegs zum Erklingen gebracht worden ist.
Um in den Genuss des Lunaparks zu gelangen lohnt es sich, zuerst seine eigene Erwartung zu formulieren, ehe man sich das angesprochene Gedicht wie eine Blaupause der Phantasie unterschieben lässt. Und, Überraschung, die Gedichte sind durchwegs heller und inniger als das „vorausempfundene“ Gedicht aus der eigenen Inspirationswerkstatt.
Das Motiv des Parks taucht regelmäßig auf, mal überlagert von Reiseerinnerungen, Traumvorlagen oder Initialen für eine bemerkenswerte Landschaft. Im Titel gebenden Luna Park sind diese Ingredienzien zu einem Gedicht zusammengefasst „nicht von dieser Welt“.
„Luna Park // draußen infolge von / Alpha Zentauri / neunzehn Eintrittskarten / mon amour vodoo / im Souffleurkasten Getöse / und Gestöber, ahhh / still und traurig wie eine Birke / ja, meine Hochzeit / ergötzt die Fische / die Zauberlehrlinge und / Trüffelträumer / mit uraltem Herzen / Spuk und Sperling / an der Leine / Charlotte zählt Schäfchen / und flüstert die Kirschen rot / klingonisch natürlich“ (23)
Dieses erzählte Feld ist weit mehr als ein Park, der dem Mond zu Füßen liegt, sämtliche Märchen haben ihre Plots geschickt zu einem großen Festival, das zwischen Kosenamen und Bilderbüchern, Gestirnbildern und Wundertieren abgehalten wird.
Diese Magical Mystery Tour beginnt mit einer Liste für den Tag, wo in zwölf Schritten aufgeschrieben ist, wie man in den Lunapark gelangt. „erstens: aufstehen / zweitens: Hilberträume aufsuchen / drittens: Listen schreiben / viertens: frühstücken / […] zehntens: Zufallsgenerator einschalten / elftens: warten, warten und … / zwölftens: Überraschungen.
Diese Poetik ist den Gedichten untergeschoben wie das Tischtuch dem Mahl, sie hält die Kompositionen zusammen, damit sie nicht in alle Richtungen zerstreut werden als Sprachspiel im Wind der Konnotationen.
Im Schlussgedicht „Nachtzug“ sind diese fugitiven Kräfte der Poesie zusammengeführt zu einem Zug, der gerade die Alpen hinter sich gelassen hat und ins Freie fährt:
„Alle Wege führen fort / es bleibt / was bleiben will“. (79)
In den Anmerkungen verweist Patricia Brooks darauf, dass manche ihrer Texte an der Grenze zum Französischen, beziehungsweise im Französischen „spielen“. Erst im Hinterland der Sprache, also in der Zweitsprache, lassen sich die Zusammenhänge der Gebrauchssprache vollends erschließen. Der Preis ist freilich, dass diese Grenzgedichte kaum übersetzbar sind.
Im Nachwort bringt Birgit Schwaner ein Zitat der Autorin, worin sie ihre Arbeitsweise beschreibt. „Patricia Brooks definiert Lyrik als spezielle Form des Erzählens, ein Blitzlicht, eine Momentaufnahme, die gleichermaßen Raum für das Dauerhafte und Flüchtige schafft.“
Patricia Brooks, Lunapark. Gedichte, Nachwort von Birgit Schwaner
Wien: Edition fabrik.transit 2024, 87 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-903267-69-5
Weiterführende Links:
Edition fabrik.transit: Patricia Brooks, Lunapark
Wikipedia: Patricia Brooks
Helmuth Schönauer, 20-07-2025