Alexander Peer, Der Klang der stummen Verhältnisse

alexander peer, der klang der stummen verhältnisseIn der Lyrik sind die Sinnesorgane oft eigenartig verkabelt, das Gehör ist an die Haut angeschlossen, der Geruchssinn tastet mit den Sohlen den Boden ab, die Netzhaut sitzt am Gaumen und scannt diverse Geschmäcker. Und selbstverständlich funktioniert das alles auch remote, der Leser liegt im Bett und wischt sich den letzten Herbst aus dem Display.

Alexander Peer verknüpft diese Sensoren ungeniert, sodass auch der Titel völlig logisch ist: Der Klang der stummen Verhältnisse. Und in die Texte sind auch die wundersamen Tuschzeichnungen von Moussa Kone eingeflochten, einmal als heftige Schwarz-Weiß-Schnitte, dann aber auch als durchschimmernde Melasse, die von hinten her in die diversen Gedichte vordrängt.

Auf fast allen Zeichnungen werkelt eine Hand, mal ist sie als Gruß ausgelegt, dann hängt sie wieder an einem Schirmgriff, einmal onaniert sie Seitenfüllend, dann streicht sie wieder am Pempstel einen Zaun. Eine neue Logik des Sehens dringt aus den Bildern, die Helden sind ferngesteuert, die Marginalie wird zum entscheidenden Stunt.

Die Gedichte sind oft nah an einer Erzählung dran, die unvermittelt einsetzt und eine Lösung bietet für etwas, was vielleicht erst später gefragt sein wird. So empfiehlt das erste Gedicht, Kinder ins Lektorat zu nehmen, weil sie unverbraucht die Texte korrigieren könnten, aber andererseits ist es Schwerarbeit, an den Texten zu feilen.

In einer idealen Schlafkomposition ist alles lyrisch hergerichtet, Müllabfuhr am Morgen, das Fenster steht offen, sodass die beiden Zwillinge vom Kafka hereinlinsen können, am Plafond tanzen Kerzenleuchter und im Wind hängt der Blues. Der Kommentar des lyrischen Ichs freilich fällt ernüchternd aus: Mein Schlaf ist zu gering. (10)

Das lyrische Ich kann die Ausmaße der Weltbevölkerung annehmen, wenn plötzlich alle sinken. Denn auch im Bild des steigenden Meeresspiegel geht es andersrum gesehen darum, dass alles versinkt.

Die Erde scheint überhaupt verloren zu sein, denn an anderer Stelle liegt sie schon aufgegeben herum als braunes Aas. (51) Und auch das persönliche Ablaufdatum hält sich an einen seltsamen Code, es sind verrückte Zahlen, die einen 29-Jährigen 42 Reißnägel in eine Wand drücken lassen, wobei die Augen 79 mal zusammenkneifen, wenn sie sich daran erinnern müssen mit Hinschauen.

Die wohl schnellste Biographie ist explizit für Eilige formuliert:

Schreien / Schreien / Internat / Onanieren / Onanieren / Noch mehr onanieren / Universität / Sex zu zweit / Sex zu zweit / Sex zu dritt / Studienabbruch / Angestellt / Schlecht angestellt und ausgestellt / Keine Berührung / Weltumseglung / Arbeitslos / Beim Sex zu zweit onaniert / Freiberuflich / Kein Sex / Nicht einmal onanieren / Herzinfarkt / Und alles ist gut (83)

So brutal darf natürlich kein Gedichtband enden, und der Autor schiebt eine Romanze nach, die aber dennoch herzergreifend bleibt. „Zugvögel verließen ihre Behausungen und / flogen über uns hinweg – südwärts. / Wir saßen noch lange und tranken / einen ewigen Abschied.“ (96) Der Nachklang heißt bei Alexander Peer Fröhlichkeit.

Alexander Peer, Der Klang der stummen Verhältnisse. Gedichte, mit vierundzwanzig Zeichnungen von Moussa Kone
Innsbruck: Limbus Verlag 2017, 95 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-99039-114-3

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Alexander Peer, Der Klang der stummen Verhältnisse
Wikipedia: Alexander Peer
Wikipedia: Moussa Kone

 

Helmuth Schönauer, 23-03-2018

Bibliographie

AutorIn

Alexander Peer

Buchtitel

Der Klang der stummen Verhältnisse. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Limbus Verlag

Illustration

Moussa Kone

Seitenzahl

95

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-99039-114-3

Kurzbiographie AutorIn

Alexander Peer, geb. 1971 in Salzburg, lebt in Wien.

Moussa Kone, geb. 1978 in Scheibbs, lebt in Wien.

Themenbereiche