Margret Kreidl, Hier schläft das Tier mit Zöpfen

Hier schläft das Tier mit ZöpfenLyrik ist nur im Hardcore ein poetisches Gebilde, das aus seltsamen Wortkonstellationen besteht. In der dynamischen Gedichte-Welt der Gegenwart sitzt die Poesie als Humor, Wissenschaft, Dramaturgie oder Drehbuch zwischen den Zeilen. Manche Gedichte dieser Bauart sind nur durch Zufall ein Gedicht geworden, genauso gut könnten sie ein Spielfilm oder ein Theaterstück sein.

Margret Kreidl wählt für die Gedichtsammlung den seltsamen Titel „Hier schläft das Tier mit Zöpfen“. Das geht auf das Sprichwort zurück: Hüte dich vor dem Tier, das Zöpfe hat. (55)

Und hier kommt neben der klugen Themenwahl eine weitere Spezialität zum Zuge, die Gedichte sind mit Fußnoten ausgestattet. Aber das sind keine wissenschaftlichen Erläuterungen oder Zitate, sondern selbständige Poesie-Körper, auf welche das Gedicht zusteuert. Oben auf der Seite steht das Gedicht, das wie aus heiterem Himmel mit einem Sprachgewitter einsetzt, unten ist als Höhepunkt die Fußnote, man könnte es auch den zu Boden gerutschten Titel nennen.

Diese Zusammenfassungen mit Augenzwinkern können sich auf echtes Personal berufen, wie Jürgen Habermas, Lucas Cejpek oder Ilse Kilic, auf Tote oder Halbtote wie Ilse Aichinger und Friederike Mayröcker, mit denen das lyrische Ich jeweils in eine Gedächtnis-Lektüre versunken ist, nachdem es diese zitiert hat. Manchmal kann aber auch eine Schlagzeile aus einem Printmedium oder ein Ginko-Blatt als Mitbringsel zu einem Zitat führen.

Die Gedichte selbst setzen jäh ein und beschreiben sich selbst, indem sie den Entstehungsprozess miteinbeziehen, das Schreibverfahren erläutern oder semantisch ähnliches Material in einer lyrischen Laborsituation austesten.

hart / trocken / holzig / zerrieben / Reibefrucht / klein genug / hart genug / Gedicht. //
Denn das Gedicht ist immer, schreibt Jorge Viegas, der harte Kern einer Revolution. (19)

Das Anglotzen einer Leinwand, die Zöpfe eines Tieres, die weißen Gesäße in Schönbrunn-Statuen, die Antwort eines Hundes – die Möglichkeiten, in einem Gedicht zu landen, sind unendlich.

Margret Kreidl inszeniert ihre Gedichte mit Genuss, man merkt es den Texten an, dass sie mit geradezu kindlichem Eifer aus tiefster Seele freigespielt worden sind. Eine Ansichtskarte hat schön zu sein, lautet die Vorgabe. Aber in dieser Tier-Zopf-Sammlung vergisst die angehimmelte Person den Namen des Lovers, nachdem er Schatz gesagt hat, das Schwimmbad wird zur Baustelle und das lyrische Ich muss einen Kran zusammenfalten, die Ansichtskarte ist aus Thalgau, sagt die Fußnote. (40)

In vielen Anspielungen kommt die pure Verstörung zum Vorschein, aber hier werden keine psychischen Defekte besungen, sondern die leicht angeschlagene Welt wächst mit jeder Delle in etwas Helles hinein. Und in der Eröffnungs-Fußnote heißt es: Hier wird nichts durch die Blume gesagt.

Margret Kreidl, Hier schläft das Tier mit Zöpfen. Gedichte mit Fußnoten.
Horn: Berger Verlag 2018 (= Neue Lyrik aus Österreich, Band 22), 64 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-85028-829-3

 

Weiterführende Links:
Berger Verlag: Margret Kreidl, Hier schläft das Tier mit Zöpfen
Wikipedia: Margret Kreidl

 

Helmuth Schönauer, 06-03-2018

Bibliographie

AutorIn

Margret Kreidl

Buchtitel

Hier schläft das Tier mit Zöpfen. Gedichte mit Fußnoten

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Berger Verlag

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich, Band 22

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-829-3

Kurzbiographie AutorIn

Margret Kreidl, geb. 1964 in Salzburg, lebt Wien.

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