Petra Ganglbauer, Zur Lage

zur lage lyrikIm Sprachgebrauch sind anschwellende Wortwellen vorgesehen, die auf etwas Unheimliches, Gigantisches oder Katastrophales hinweisen. „Zur Lage“ wird durchaus als pathetische Einstimmung verwendet, wenn es um die Lage der Nation, die Lage der Finanzen oder die Lage an einer Grenze geht.

Petra Ganglbauer versetzt das Universum in einen Zustand, der nur durch einen poetisch-dramatischen Lagebericht beschrieben werden kann. Zu diesem Zweck ist die Welt wie bei einem echten Schöpfungsbericht aufgeschnitten in drei Teile, unten lebt das Terrestrische, in der Mitte, quasi als Schutzschicht, tut sich das Sprachliche auf, und oben gibt es das Extraterrestrische.

In diesen Welten sind Sensoren ausgelegt, die regelmäßig etwas vermessen und so allmählichen Alarm auslösen, wenn sich Dinge in unüberschaubaren Zeiteinheiten verändern.

Terrestrisch (5) berichtet von diversen Grenzen, die sich unvermittelt auftun oder über Nacht gezogen werden. Dabei gehen diese Grenzen oft mitten durch das Individuum und grenzen dieses von diversen Wahrnehmungen aus.

Trittgrenze / Sprachgrenze / Baumgrenze / Schneegrenze / Landesgrenze / Armutsgrenze / Hörgrenze / Schmerzgrenze (27)

Aus dem Wirrwarr der Begrenzungen ergibt sich so etwas wie Borderland, das beinahe staatstragende Züge aufweisen kann, auf der anderen Seite ist Borderland etwas, das nicht einmal die Psychiatrie ungefährdet betreten darf. Und dazwischen fliegen meteoritenhaft Bilder und Bildpartikel herum, die nur einen Sinn haben, in einem weißen Loch zu verschwinden.

Dann wird es laut, // grell bis // die Stille, bis // die Bilderlosigkeit letzter Tage // einsetzt! (13)

Sprachlich (33) nennt sich ein Informationsstreifen, der unüberwindlich ist und von beiden Seiten bestürmt wird: von den Fakten und von der Fiktion. Einerseits wird sprachlich geregelt, was sogenannte Realität ist, andererseits wird sprachlich experimentiert, wie man diese Realität überschreiten könnte. In diesem Block ist auch das lyrische Ich mit von der Partie, meist schnellt es hoch und ist entsetzt, was im Traum, in der Sprache, an der Grenze und durch die Reglementierung gerade geschehen ist.

Ich schnelle also schnelle ich hoch und erstarre (39)

Was immer das Individuum in die Hand nimmt, es wird in seine Schranken verwiesen. Einen Ausweg gibt es nur, indem es ein leeres Buch zur Hand nimmt und sich selbst schreibt: Wort für Wort den Sprachraum gestalten. Aber das Ziel ist kaum zu erreichen, es geht nämlich um den ganzen Text.

Bei Wörtern mit Extra denkt der gelernte Österreicher immer an die Extrawurst, die an manchen Tagen alles Leben und Zusammenleben erklärt. Im Kapitel „Extraterrestrisch“ (59) sind all jene Phänomene aufgearbeitet, die nicht von dieser Welt sind. Pluto, Plejaden, Irisnebel, Herznebel, Venus, Kugelsternhaufen sind Begriffe, die wie Kosenamen gerufen werden, nachdem sie sich aus Gedichten herausgesprengt haben wie nach einer semantischen Explosion. Die astronomischen Partikel sprengen Raum und Zeit, Schwerkraft und Sinn, oben und unten.

Die Gedichte sind als poetische Operationen angelegt, die das Ergebnis wie nach einer Zapfenrechnung unten herausspucken. Im letzten Gedichte kommt gar die Erde heraus, mit Rufzeichen versehen, denn niemand hat an ein solches Ergebnis geglaubt.

Petra Ganglbauer arbeitet unverdrossen an der Überwindung der Sprache durch die Sprache. Ihre Experimente fordern das Individuum heraus und hinterlassen die tröstliche Nachricht, dass das Ich an guten Tagen das wahre Universum ist.

Petra Ganglbauer, Zur Lage. Lyrik der Gegenwart 74
St. Wolfgang: Edition Art Science 2018, 83 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-902864-80-2

 

Weiterführende Links:
Edition Art Science: Petra Ganglbauer, Zur Lage
Wikipedia: Petra Ganglbauer

 

Helmuth Schönauer, 18-03-2013

Bibliographie

AutorIn

Petra Ganglbauer

Buchtitel

Zur Lage

Erscheinungsort

St. Wolfgang

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Art Science

Reihe

Lyrik der Gegenwart 74

Seitenzahl

83

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902864-80-2

Kurzbiographie AutorIn

Petra Ganglbauer, geb. 1958 in Graz, lebt in Wien.

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