Reinhard Lechner, Erzähl mir vom Mistral

Erzähl mir vom MistralDa muss jemand schon eine seltsame Reise getätigt haben, wenn die Leute zu Hause vielleicht warten und sich wünschen: Erzähl mir vom Mistral. Üblicherweise werden die Hinterbliebenen mit Selfies überpixelt und die Reise ist bald einmal vom Display gewischt.

Reinhard Lechner baut seine Gedichte von der französischen Mittelmeerküste wie Erlebnisziegel auf und verfugt sie dann noch zu einer Poesie-Festung. Die Gedichte sind nach einem geheimen Bauplan längs und quer gedruckt, dadurch entsteht ein textuelles Mauerwerk mit intensiver Verfugung.

Mit vertauschten Koffern geht es los, die Raststätten werden abgearbeitet mit den notdürftigsten Verrichtungen, am Ziel wartet ein Haus, das die lyrischen Seelen eine Zeitlang bewirten mag, die Reisenden stellen die Schuhe ans Bett und schlafen.

So beginnen wir, dieses Haus zu besorgen, / während der Mistral es, zusammen mit / Zedern Mondlicht Tieren der Nacht, / weiter und weiter ins Binnenland treibt. (11)

Aus den Dämpfen der Vorstadt steigen anderntags die Tattoos auf, kaputte Körper wechseln zwischen der Anstalt und der Fabrik, ein paar lesen was aus der Gefängnisbibel, dieser Landstrich hat eindeutig eine Hinterseite.

Später kommen ein paar Hotspots an Land, Nizza, Cannes und Marseilles, dazwischen ist ausreichend Platz für den Mistral, der längs und quer durch die Gedichte weht.

Und dann kommen endlich die Trüffel mit dem intensiven Geruch an Bord, nach längerem Transport riechen sie nur mehr schwach nach dem Hintern eines Ebers, der durch die Korkeichen getrieben wird. Dieses Gedicht hat vielleicht 40,5 Gramm wie ein Trüffel und ist kompakt gepresst und muss vom Leser in leisen Spänen herausgerieben werden aus der Prosamasse.

Ein korkeichener Mann läuft weiter Zickzack da draußen. Er gehört nicht hierher. (33)

Zu Hause dann wieder quert das Ich eine Seitengasse und der Kater folgt ihm über die Autodächer. Zu Hause quillt der Postkasten über und zu Hause ist der Steinbruch aus Schreibtisch, an dem die Erinnerungen niedergeschrieben werden, weißt du noch.

Reinhard Lechner erzählt seine Gedichte in spannendem Ton, und erst wenn das Publikum eingetaucht ist in die Magie der Erinnerung, lösen sich diese poetische Partikel aus der Geschichte, Milch, eine Taucherin, Marie und Louis, Leere Menge.

Komm wieder zurück auf Deine Vorderseite. / Ordne die Kleider, das Zeitgefühl, Deine Wut / (nicht verschwunden zu sein in Cassis). / Leb wieder so, dass du davon erzählen kannst / ohne das Meer (das immer selbst Erzähler ist, / nie erzählte Zeit). Wende Dich dem Land zu, / dem, was nicht zur See fährt, weil es wurzelt. (51)

Reinhard Lechner, Erzähl mir vom Mistral. Gedichte, mit einem Nachwort von Helwig Brunner
Graz: Edition Keiper 2017 (= Keiper Lyrik 16), 61 Seiten, 15,40 €, ISBN 978-3-903144-27-9

 

Weiterführende Links:
Edition Keiper: Reinhard Lechner, Erzähl mir vom Mistral
Literaturhaus Graz: Reinhard Lechner

 

Helmuth Schönauer, 11-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Reinhard Lechner

Buchtitel

Erzähl mir vom Mistral. Gedichte

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Edition Keiper

Reihe

Keiper Lyrik 16

Seitenzahl

61

Preis in EUR

15,40

ISBN

978-3-903144-27-9

Kurzbiographie AutorIn

Reinhard Lechner, geb. 1986 in Bruck an der Mur, lebt in Würzburg.