Friedrich Hahn, Sonja und die weißen Schatten
Schade, dass es im echten Leben keinen schnellen Vorlauf gibt! - Erwachsenwerden besteht vielleicht darin, die richtige Geschwindigkeit für das eigene Lebensvideo zu finden.
Friedrich Hahn führt seine Protagonisten meist an diese dünne Sollbruchstelle heran, die reißen muss, will man etwas vom Wirklichen erfahren. Erzähltechnisch nimmt er es mit dem Trash des Alltags auf und baut dabei therapeutische Sätze ein, die sowohl den Helden als auch dem Leser an entscheidender Stelle weiterhelfen.
Der Rentner-Roman ist zwar weit verbreitet, wird aber kaum als solcher kaum mit dem Mund ausgesprochen. Denn in der Literatur geht es oft um beratende Geschäfte, und wer will schon einem Kunden zumuten, dass er einen Rentner-Roman lesen soll. In der Literatur nämlich gibt es keine Rentner, da alle entweder schreiben, lesen oder was verkaufen.
Gute Romane lösen schon im Titel ein Rätsel oder gar eine Geschichte aus. Die Frau auf meiner Schulter ist vielleicht ein Lebensentwurf, der auf der Erzählerin sitzt wie die Welt auf dem mythologischen Atlas.
Als die Erde noch eine Scheibe ist, ist die Ebene so etwas wie die ganze plane Welt, die man sich vorstellen kann. Später wird aus den Ebenen etwas Geographisches, worin sich vorzüglich Schlachten abwickeln lassen, das Kind spielt mit der Ebene, worin es diverse Figuren aufstellt und schließlich sind wir Literaturmenschen immer hingerissen von den Ebenen. Spielebene, Sprachebene, Metaebene, an manchen Tagen verlieren wir uns beim Lesen darin.
Die höchste Erzählkunst muss immer dann aufgebracht werden, wenn es um das Verschwinden geht. Dabei handelt es sich um ein Paradoxon. Je mehr etwas verschwinden soll, umso höher ist der Aufwand an konkreten Sätzen, der das Verschwinden besiegeln soll.
Bin ich vielleicht Schriftsteller oder was? - Ein Funktionär mitten in der Steppe Russlands ist ganz verzweifelt, dass er den Sozialismus nicht nur organisieren, sondern auch noch erklären soll. (270)
Zwischen Musikalität und Logik entstehen oft beinahe soziologische Kräfte, welche die Helden herumstoßen wie Billardkugeln oder Noten von Johann Sebastian Bach.
In der Literatur tauchen manchmal Länder auf wie bei einem Quiz. Dabei wird der Leser gefragt, was er schon weiß, ehe ihm der Roman dann eine neue Nuance des Länderwissens verschafft. Von Kirgisien kennt man in der Lese-Szene vielleicht Tschingis Aitmatow, und die User der Standard-Presse wissen am ehesten, dass dorthin die in Deutschland geklauten Autos verschoben werden, dass eine verdeckte Diktatur herrscht und unter den international tätigen Terroristen immer auch Kirgisen dabei sind.
Dann kam sie. Die Rente. (366) - In einem echten Rentnerroman wird das Leben ordentlich umgekrempelt, und das Eintreffen der ersten greifbaren Rente in Scheinen und Münzen ist erotisch wie das erste Liebesabenteuer, und tiefgehend, wie das Probe-Liegen am Sterbebett.
Kultbücher haben den Vorteil, dass man sie nicht zu lesen braucht. Es genügt meist ein leichtes Nicken und das Thema geht vorbei. Anders ist es hingegen mit Pionierbüchern, diese muss man fast lesen, wenn man die Entwicklung der Literatur verstehen will. Und dann weiß man bei diesen entscheidenden Scharnier-Büchern nie, wie man sie lesen soll, mit der Erfahrung der Vergangenheit oder dem Geist der Zukunft?