sch%C3%B6nauer_aftero.jpg„Eine Literaturgeschichte in Anekdoten ist genauso wahr oder falsch wie eine germanistisch durchkomponierte Geschichte. Gerade ein regionales Universalerlebnis wie Tirol wird ohne Anekdoten nicht auskommen, ist doch ganz Tirol eine Anekdote.“ (3)

Auf Wikipedia wird eine Anekdote als eine bemerkenswerte oder charakteristische Begebenheit, meist im Leben einer Person, definiert. Ihre wichtigsten Merkmale sind die Pointe, die Reduktion auf das Wesentliche und die scharfe Charakterisierung einer oder auch mehrerer Personen. „Aftero und Aftera“ konzentriert sich auf merkwürdige und außergewöhnliche Begebenheiten der jüngsten Vergangenheit in Tirol.

„Wäre es als böses Omen gesehen worden, Erzherzog Ferdinand II. hätte gleich wieder umkehren müssen. Allzu viel ging schief, als der neue Landesfürst am 17. Jänner 1567 in seine zukünftige Residenzstadt Innsbruck einzog.“ (9)

Erzherzog Ferdinand II. spielt in der Tiroler Geschichte eine beachtenswerte Rolle als humanistisch gebildeter Kunstliebhaber mit großer Kunstsammlung sowie als wichtiger Protagonist der Gegenreformation. Berühmt gemacht hat ihn jedoch seine skandalöse Ehe mit der Kaufmannstochter Philippine Welser, für die er Schloss Ambras mit seiner weithin berühmten Kunst- und Wunderkammer errichten ließ.

So frech und selbstbewusst kann ein Leben gar nicht ablaufen, dass nicht eine unerwartete Schwangerschaft die beteiligten Personen zumindest kurzfristig aus der Ruhe brächte.

Selma Mahlknecht zeigt in einem Karriereroman, wie die Heldin einen Knick erfährt, aber nicht die Richtung ändert. Luba ist eine lebensfrohe Redakteurin, die tausend Sachen im Kopf hat und mit ihrer Sendung Luba Today jedem Tag die passende Sendung verpasst. Luba klingt wie ein Spielzeug, als solches war es ursprünglich auch gedacht, die Mutter hatte sich einst einen starken Jungen mit dem Namen Wolf gewünscht. Als ein Mädchen geboren wird, nennt sie es aus Trotz und Fröhlichkeit Luba, eine spielerische Form von Lupus.

Kluge Täler geben dem Hauptfluss immer einen anderen Namen als dem Tal selbst, so können Feinde abgewehrt werden, indem man sie verschickt. Wenn jemand nämlich fragt, wo die Sellrain fließt, kann man ihn verschicken, im Sellraintal nämlich fließt die Melach.

Georg Jäger hat das Raunen und Ächzen, das Rumpeln und Schottern der Melach ausgegraben, wie es zwischen 1800 und der Zwischenkriegszeit in Sagen transportiert, mündlich überliefert oder in Lokalzeitungen zum Vorschein gekommen ist.

Keine literarische Form ist letztlich so offen und unbegrenzbar wie die Biographie, weil offensichtlich ein Lebenslauf größer ist als jede literarische Form.

Bernd Schuchter ist bei Recherchen über den Dreißigjährigen Krieg, der ja auch nach vierhundert Jahren dreißig Jahre lang täglich ein Jubiläum liefert, auf den Kupferstecher Jacques Callot gestoßen, der vor allem mit seiner Darstellung der „Belagerung von Breda“ in Kennerkreisen ein Begriff ist.

Bei Kräutern denkt man sofort an etwas Wertvolles, Wahrhaftiges und Wohltuendes, und trotz der Üppigkeit, mit der sie einem entgegentreten, muss man ihnen schon beim ersten Anblick maßvoll begegnen. Das Maß der Kräuter sind Drei-Finger-voll, eine Handvoll und ein Bund Kräuter.

Die drei Haupt-Expertinnen Astrid Schönweger, Irene Hager und Alice Hönigschmid wissen, dass die Welt der Kräuter fast genauso groß ist wie die sogenannte große Welt, denn selbst an den kleinsten Vegetationsritzen vermögen Kräuter noch zu gedeihen. Das nützliche Wissen über diese Welt wird daher von gut fünfzig Frauen zusammengetragen, die im hinteren Drittel des Buches zu Wort kommen.

Box ist eine fiktive Live-Show, dabei werden Paare in eine durchsichtige Box gesperrt, damit sie sich im Rahmen eines Erkennungsspieles vor der Kamera zerfleischen.

Ulrike Kotzina setzt ihr Protagonisten-Pärchen Anna und Nathan der Schau-Lust des Publikums und der eigenen Verunsicherung aus. Die Protagonisten sind Paradepferdchen einer Gesellschaft, die eine ganze Generation durch prekäre Verhältnisse und ständigem Paradigmenwechsel auf Trab hält. Anna hat ein Übersetzerstudium für die Wäsche und Nathan entwickelt gerade ein Computerspiel namens Utopia, mit dem er nicht zu Ende kommt.

Die unbarmherzig zupackende Krimiwelle zwingt die Autoren dazu, den letzten Tropfen Sinn aus dem literarisch anvisierten Land zu quetschen. Denn wenn irgendwo wirklich alles schon mehrmals gesagt worden ist, dann im Reich der Krimis.

Lenz Koppelstätter wehrt sich gegen das „Alles schon Erzählte“ mit seinem intelligenten Commissario Grauner, der wie im Krimi nicht unüblich intelligenter ist als sein Publikum. Er ist eigentlich mit Hingabe Viehbauer und macht die Kriminalfälle nur, weil er beim Staat angestellt ist. Weitum bekannt ist er für seine Mahler-Symphonien, die er während der Stallarbeit zur Erbauung der Kühe abspielt. Ihm zur Seite steht der Neapolitaner Saltapepe, der sich schon nach einem einzigen Fall perfekt in Südtirol eingelebt hat und innig nach einem weiteren Fall giert.

Die Tiroler sind die idealen Abenteurer, die überall auf der Welt Staunen auslösen. Seit Jahrhunderten arbeiten sie an diesem Mythos.

David Casagranda erzählt in einer Schlussnotiz, was an Patriotismus es mit dem Roman „Tirolés“ auf sich hat. Als der Südtiroler Schriftsteller Kurt Lanthaler einmal schnell einen Stoff braucht, um an der Berliner Filmakademie einen Prüfungsdreh zu bestehen, wird er von David Casagranda verlässlich mit Stoff versorgt. Ein bisschen von diesem augenzwinkernden Schnell-Stoff ist noch im Cover-Text enthalten, wenn von einem „historischen Lederhosenwestern“ berichtet wird.

Ein Essay ist eine literarische Kunstgattung und als solche für Postings ungeeignet. Einem Essay begegnet man als Leser nicht mit der Bemerkung „gefällt mir“, sondern man überlegt seine eigene Einstellung zum Thema anhand der aufgeführten Sachlage. Das macht den Essay letztlich zu einem offenen Werk, das in gewisser Weise immer Recht hat.

Alois Schöpf gerät für seine Bemerkungen auf den Titel „Tirol für Fortgeschrittene“, weil er die Verfasser von „Tirol für Anfänger“, Paul Flora und Hans Weigel, persönlich gekannt hat. Er macht Fortgeschrittene daraus, weil sich alles weiterentwickelt hat und viele auch aus dem Land fortgeschritten sind. Das unterscheidet die Fortgegangenen vom Autor, der nach ein paar Jahren in Wien wieder zurück musste ins Herz der Alpen und seither leidet oder flucht, sofern ihm nicht durch die Blasmusik gewisse Auszeiten gegönnt sind.