Tiroler Gegenwartsliteratur

Markus Lindner, Schmelze

h.schoenauer - 26.04.2015

Bei der Schmelze verändert sich der Stoff und geht vom festen in den flüssigen Aggregatszustand über. Auch in der Poesie gibt es so etwas wie Schmelze, wenn sich ein Stoff während des Erzählens verändert und als Prosa-Lava über die Seiten fließt.

Markus Lindner erzählt in knapp zwanzig Ansätzen von Stoffen, die harmlos daherkommen und jäh eine Verschärfung erfahren, von Helden, die während des Berichts traumatisiert werden und von Arealen, die während des Durchschreitens unbegehbar werden.

Bernhard Kathan, Wir sehen Tiere an

h.schoenauer - 21.04.2015

Wenn Tiere mehr als eine Sache aber weniger als ein Mensch sind, muss folglich auch unser Blick auf sie heftiger als auf Sachen aber weniger intensiv als auf Menschen ausfallen.

Bernhard Kathan vergleicht in seinem Essay diverse Ereignisse in Literatur, Forschung und Psychologie, die zu einem Aufeinandertreffen von Menschenblicken auf Tiere handeln. Während in der Erforschung des Faschismus der berühmte Denkansatz lautet „Tiere sehen dich an“, nimmt Bernhard Kathan den an und für sich neutralen Vorgang der Tierbeobachtung, um daran aufzuzeigen, welchen scheinbaren Menschenbildern wir dabei nachgehen.

Georg Haderer, Sterben und sterben lassen

h.schoenauer - 19.04.2015

In den wirklich schweren Fällen des Krimi-Daseins ist das Komplizierteste und Unverständlichste der Kommissar selbst, der durch seine bloße Existenz alles düster und unausstehlich macht.

Georg Haderers Major Schäfer ist so ein österreichisches Aufklärungsunding, das von Fall zu Fall unauflöslicher wird. Mittlerweile hat sich der Grantler und Bürokratie-Fachmann in das entlegene Schaching versetzen lassen, das im oberösterreichischen Niemandsland irgendwo im Norden jenseits der GPS-Peilung liegt.

Klaus Rohrmoser, Dunkle Mutter Finsternis

h.schoenauer - 07.04.2015

Die besonders heftige Gegenwart tritt in der Literatur gerne als Endzeit auf, von da ab ist es dann nicht mehr weit bis zu einer ausgewachsenen Apokalypse.

Klaus Rohrmoser schreibt in seinem Roman „Dunkle Mutter Finsternis“ von ein paar verlorenen Heldinnen und Helden, die nach einer Attacke auf die Zivilisation in Bunkern, Reduits und versprengten Inseln übrig geblieben sind. In 99 Anschnitten fährt das Messer der Analyse durch ein soziales Konstrukt, das entlarvt und dekonstruiert ist.

Martin Kolozs, Der Ruf. Der Fall. Der Ekel

h.schoenauer - 31.03.2015

Der literaturgeschliffene Blick wird hinter der Begriffskette „Ruf-Fall-Ekel“ gleich ein Stück Literaturgeschichte aus den 1940er und 1950er Jahren erkennen. Die kulturpolitische Zeitschrift „Der Ruf“ versammelte rund um Alfred Andersch die verstümmelten Dichter nach dem Zweiten Weltkrieg, „Der Fall“ (1956) von Albert Camus zeigt anhand eines Absturzes des Helden die Zerbrechlichkeit einer Utopie, und Jean-Paul Sartres „Der Ekel“ (1938) gilt überhaupt als das Hauptwerk des Existentialismus.

Martin Kolozs baut in seinen Erzählungen immer darauf, dass der Leser schon einmal längs und quer durch die Literaturgeschichte geritten ist, um die Anspielungen, Verwerfungen und Korrekturen in den Mustern der Helden erschließen zu können. Seine Erzählungen sind oft Folien, die leicht versetzt auf angelesene Vorlagen gesetzt sind, um einen gewissen literarischen 3-D-Effekt zu erreichen.

Joe Fischler, Veilchens Winter

h.schoenauer - 26.03.2015

Krimis sind Gebrauchsliteratur, die offensichtlich mit der gleichen Motivation täglich geschrieben und gelesen werden muss, mit der ein Verkehrsunternehmen ein Liniennetz betreibt. Täglich sind die gleichen Busse im gleichen Zeitrahmen mit dem gleichen Personal unterwegs, nur das Publikum variiert, manchmal fährt einer mit dem früheren, dann mit dem späteren Bus.

Joe Fischlers Mauser-Serie ist so ein brachialer Unterhaltungsnetzplan, der über Innsbruck und Umgebung gelegt ist. Die Kripo-Frau Valerie Mauser wird von Wien aus so umfassend nach Tirol geschickt, dass zu befürchten ist, dass sie hier noch einige Romane lang ermitteln muss.

Monika Helfer, Diesmal geht es gut aus

h.schoenauer - 23.03.2015

Den Wert einer Gesellschaft kann man an ihren Geschichten ablesen. Solange noch neue Geschichten erzählt werden, ist sie nicht gestorben. Monika Helfer erzählt als aufmerksame Alltagshistorikerin dutzende dieser Geschichten, die wie ein Lied noch Tagelang als Ohrwurm hängenbleiben.

Tatsächlich gleichen diese Geschichten jenen eindringlichen Balladen, die von den Missverständnissen zwischen den Generationen, den Abwehrmechanismen der Kulturen, der Geduld des Erforschens und dem Traum von einem geglückten Leben erzählen.

Bettina Balàka, Unter Menschen

h.schoenauer - 20.03.2015

Ähnlich wie die Literatur können Kultur-Tiere (Hunde) durchaus eine Gesellschaft rezipieren und darauf reagieren. Die Literatur gibt diesen Künstler-Tieren dann den entsprechenden Auftritt.

Als Ur-Geschichte einer solchen Transformation menschlichen Verhaltens durch den Hund gilt Marie von Ebner-Eschenbachs Novelle Krambambuli, wo ein Hund zwischen Erst- und Zweitherren im Gehorsam zerrissen wird und sich schließlich für den Erstherren entscheidet.

Sepp Mall, Schläft ein Lied

h.schoenauer - 25.02.2015

Was bleibt an Nachbildern, wenn man schnell die Augen vor der Realität verschließt? - Es bleibt die Kindheit, der Acker, auf dem sich Pflanzen und Kinder tummeln, die Stube, die die Jahreszeiten hinaus sperrt, es bleiben zwei drei Schafe, die unvermittelt auf der Schreibtischplatte auftauchen.

Sepp Mall braucht wie ein genialer Musiker nur zwei drei Handgriffe, um mit  unverwechselbaren Riffs seine Lyrik zum Klingen zu bringen.

Tiroler Landesmuseum (Hg.), Druckfrisch

h.schoenauer - 06.02.2015

Das Druckwesen hat zur Entwicklung der Gesellschaft mindestens so viel beigetragen wie die Adelsgeschlechter zusammen, daher gebührt es einer guten Druckerei, dass sie zwischendurch epochal dargestellt wird.

Unter dem Ausstellungs-Titel Druckfrisch werden im Innsbrucker Ferdinandeum die epochalen Leistungen des Druckhauses Wagner gezeigt, ein 375-Jubiläum ist durchaus nicht jeden Tag in der Provinz zu feiern.