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Christian Meier, Die politische Kunst der griechischen Tragödie

andreas.markt-huter - 10.02.2023

christian meier, die politische kunst der griechischen tragödie„Die griechischen Tragödien waren für die attischen Bürger bestimmt. Nicht für ein spezielles Theaterpublikum, sondern für die ganze Bürgerschaft der mächtigsten Stadt jener Welt. […] Es ist unbestreitbar, dass die attische Bürgerschaft im fünften Jahrhundert von ganz außerordentlicher Beschaffenheit war und sich in einer ganz außergewöhnlichen Lage befand. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte war es dazu gekommen, daß die breiten Schichten der Bürgerschaft regelmäßige, kräftige Mitsprache und schließlich den entscheidenden Anteil an der Politik erlangten.“ (S. 7)

Christian Meier geht in seiner historischen Monographie der Entstehung und Festigung der ersten Demokratie der Weltgeschichte in Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. nach und zeigt die Bedeutung der klassischen griechischen Tragödien dieser Zeit für die Selbstreflexion eines politischen Systems, das so neu war und sich abseits der gewohnten Pfade bewegte, dass es auf keine Vorbilder als Referenz verweisen konnte.

Mircea Cărtărescu, Melancolia

h.schoenauer - 08.02.2023

mircea cartarescu, melancoliaEs gibt rare Wörter, die eine Epoche, eine Kindheit, einen Kontinent oder eine Kunstrichtung beschreiben können. Melancholie ist das bekannteste davon.

„Melancolia“ war einst im kalten Krieg ein Begriff, der den Künstlern „hinter dem Vorhang“ (wir hielten uns damals als davor angesiedelt) einen gewissen politischen Spielraum gab, in einer kollektivierten Gesellschaft ein privates Gefühl auszudrücken. Zwar gehörte auch die Psyche der Öffentlichkeit, aber die Melancholie konnte privat bleiben, sie galt als das intimste Gefühl eines Individuums.

Michael Sommer, Alle Wege führen nach Rom

andreas.markt-huter - 25.01.2023

michael sommer, alle wege führen nach rom„Die folgenden Kapitel erzählen im Zeitraffer die Geschichte vom Zusammenbruch der bronzezeitlichen Großreiche um 1200 v. Chr. […] bis zum Ende des römischen Imperiums im Westen kurz vor 500 n. Chr. Sie wollen aber mehr sein als ein Durchritt durch griechische und römische Geschichte im Schweinsgalopp. Dieser Essay hat sein Ziel erreicht, wenn er das Bewusstsein schärft für die großen Bögen des Dramas, das sich um das antike Mittelmeerbecken entrollte, und wenn er zugleich in Erinnerung ruft, auf wie vielfältige Weise unsere Gegenwart mit der fernen Vergangenheit dieses einzigartigen Raumes verflochten ist.“ (S. 36)

In acht Kapiteln erleben die Leserinnen und Leser, dass die Beschäftigung mit der Antike nicht nur spannend und unterhaltsam sein kann, sondern auch, dass sie auch für die Betrachtung der Probleme der Gegenwart immer noch viel zu bieten hat.

Christian Grataloup, Die Geschichte der Welt - Ein Atlas

andreas.markt-huter - 16.01.2023

christina grataloup, die geschichte der welt - ein atlas„Die Grundidee dieses – auch international erfolgreichen Weltatlas ist es nicht, so viele historische Details wie möglich in eine Karte zu packen, sondern die großen Linien der Globalgeschichte von den Anfängen der Menschheit bis heute mit Hilfe von Karten zu veranschaulichen.“ (Umschlag)

Geschichtskarten stehen vor der großen Herausforderung, einzelne Regionen zu bestimmten Zeiträume präzise einzufangen und detailliert festzuhalten. Dabei erlaubt eine Karte kein vielleicht oder ungefähr, sondern nur die Genauigkeit einer Linie und festen Form. Der Zwang historische Annahmen, Entfernungen, Maßstäbe u.a. eindeutig festzuhalten, setzt ein besonders vielfältiges Expertenwissen und den kreativen Mut für Entscheidungen voraus.

Doron Rabinovici, Die Einstellung

h.schoenauer - 13.01.2023

doron_rabinovici, die einstellungIn sogenannten liturgischen Romanen geht es darum, einen bewährten Plot aufs Neue zu erzählen, um die Anhänger dieser Plot-Konstellation darin zu bestärken, dass sie zu den Guten gehören und richtig liegen.

Doron Rabinovici erzählt eigentlich den gesamten Roman durch den bloßen Titel – „Die Einstellung“. In der Doppeldeutigkeit des Begriffes wird klar, dass für einen Fotografen nicht nur die Einstellung an der Kamera entscheidend ist, sondern auch seine persönliche, die mit einer politischen Einstellung einhergehen muss.

Christian Futscher, Statt einer Mütze trug ich eine Wolke

h.schoenauer - 09.01.2023

christian futscher, statt einer mütze trug ich eine wolkeJeder Roman lebt davon, dass er mit den Wörtern mehrdeutig umgeht. Schließlich geht es bei jedem Begriff um eine vage Gedankenbewegung. Wenn beispielsweise etwas am Kopf sein soll, ist es vorerst egal, ob es sich um eine Mütze handelt oder um eine Wolke.

Christian Futscher entwickelt aus diesem Mehrdeutigkeitskult heraus eine eigene Erzählform. Der Ich-Erzähler tritt in die Plot-Stapfens eines Schelms und spuckt eine Pointe nach der anderen aus. Wie bei einem Miststreuer werden die Dungteile gleichmäßig verteilt und spornen die Phantasie zu größtem Wachstum an.

Harald Darer, Mongo

h.schoenauer - 31.12.2022

harald darer, mongoDort hineinstierln, wo Statistiken und offizielle Curricula nicht hinkommen, das ist unter anderem die Aufgabe eines zeitgenössisch-aufgeweckten Romans.

Harald Darer nimmt sich mit seinem Roman „Mongo“ des Schicksals eines pfiffigen Helden an, der medizinisch gesehen mit dem Down-Syndrom geboren worden ist, aber nach allen Regeln der Kunst ein abgerundetes, vielleicht sogar glückliches Leben führt.Nach dem Motto, dass die schwersten Probleme in der kleinsten Familie gelöst werden, treten Katja und ihr Mann, der Ich-Erzähler Harry, eine ungewisse Schwangerschaft an. Das anstehende Kind könnte etwas mit Trisomie 21 haben, vermutet die werdende Mutter, weil ihr Bruder damit auf die Welt gekommen und es vielleicht vererbbar ist.

Christian Schacherreiter, Das Liebesleben der Stachelschweine

andreas.markt-huter - 27.12.2022

christian schacherreiter, das liebesleben der stachelschweineAuf der Suche nach seiner Identität wird Österreich schon mal mit einem Schloss verglichen, das Jahrhunderte überdauert hat (Tumler, Schloss in Österreich), oder mit einem von der Roten Armee in den Verfall getriebenen Marchfeld-Gütchen (Fritsch, Moos auf den Steinen). In einer gegenwartsbezogenen Deutung bietet sich an, es mit Österreich als Biomüllanlage zu versuchen.

Christian Schacherreiter zeigt diese Österreichische Seele am Beispiel einer ausgeisternden echten „Nazifamilie“ und eines toten Seitenstumpfs der Sozialdemokratie. Beide Ideologien sind als Familiensaga miteinander verknüpft, wie ein Blick in den Vorspann zeigt, wo im Stile von Doderers Merowingern die Stammbäume ohne Kastrationen ausgerollt sind.

Willi Giuliani, Ein Innsbrucker Western

h.schoenauer - 23.12.2022

willi giuliani, ein innsbrucker westernJe globalisierter im Netz die Literatur auftritt, man spricht ja von Weltliteratur, umso punktgenauer muss sich darin die Lokalliteratur bewähren. Ein aufregendes „Lokalprogramm“ liefert dabei die Innsbrucker Verlagsbuchhandlung Wagner’sche, die als eine der ältesten der Welt schon alle möglichen Literaturformen erlebt hat. In der Serie „Erinnerungen an Innsbruck“ sind mittlerweile gut zwanzig Bände über Stadtteile, Berufe und besondere Schicksale erschienen. Umgerechnet auf die Bewohner des jeweiligen Themas erreicht diese Serie grandiose Vertriebszahlen.

Willi Giuliani beackert für das Regal „Erinnerungen an Innsbruck“ den Stadtteil Höttinger Au, der bis in die 1940er Jahre Sumpf, Brache und aufgelassene kaiserliche Jagd gewesen ist. Der Stadtteil wird ähnlich entwickelt wie der sogenannte Wilde Westen, zumindest was Tiere und Pflanzen betrifft, wird dabei ähnlich brutal vorgegangen wie beim Feldzug amerikanischer Siedler in Richtung El Dorado. Auf das Gold umgerechnet wäre im konkreten Fall das verheißene Paradies der Innsbrucker Flughafen, auf dem ja auch tatsächlich so manches touristische Nugget geschürft wird.

Franz Reisecker, Musik und andere Geräusche

h.schoenauer - 19.12.2022

franz reisecker, musik und andere geräuscheMehr als Elternhaus oder Schule ist es oft die Popmusik, die als Erziehungsmeisterin das Ruder beim Heranreifen der jeweiligen Jugend übernimmt. Der sogenannte Erziehungsroman des bürgerlichen Realismus ist also zumindest im Österreich des späten 20sten Jahrhunderts dem Pop-Roman gewichen.

Franz Reisecker erzählt die Geschichte des Walter Gump, der vom flachen Land aus immer weiter in das Epizentrum des Zeitgeists vorrückt und Band-Musiker wird, ehe er sich dann abgeklärt in das Schicksal der Unauffälligkeit begibt.