Wirtschaft | Soziales

Wolfgang Hermann, Walter oder die ganze Welt

h.schoenauer - 08.05.2021

wolfgang hermann, walter oder die ganze weltDie Welt schrumpft in kleinen Städten an der Peripherie zu einer Trommel, auf der sich trefflich ein Polizist aufstellen lässt, der den Weltverkehr regelt.

Wolfgang Hermanns subtile Heimatbeschreibung geht der Frage nach, welches Okular man einer Erzählung vorspannen muss, damit die Welt in einer harmonisch-humanen Verhältnismäßigkeit erscheint. „Walter oder die ganze Welt“ handelt von einem Polizisten in einer Vorarlberger Kleinstadt in den 1960er Jahren.

Helmuth Schönauer, Nie wieder Tirol

andreas.markt-huter - 03.05.2021

helmuth schönauer, nie wieder tirol„Tirol ist ein mehr oder weniger gelungener Bluff, der die Leute über den Tisch zieht, sobald jemand das Land betreten hat. Es gibt in Tirol nichts, was Sie nicht zu Hause in besserer Qualität haben könnten.“ (S. 5)

Die beiden jungen bayerische Startup Unternehmer Cum und Kim wollen in Tirol eine App entwickeln, mit deren Hilfe man sich in Tirol umschauen kann, ohne nach Tirol fahren zu müssen. Auf ihrer Fahrt nach Tirol werden sie nach zahlreichen gescheiterten Versuchen erkennen, dass es unmöglich ist, in das total „verstaute“ Land einzureisen.

Daniela Dröscher, Zeige deine Klasse

h.schoenauer - 19.04.2021

daniela dröscher, zeige deine klasseIn der Soziologie gibt es auch einen spielerischen Zugang zu den Fakten, aber die Ergebnisse sind dann immer ernüchternd realistisch und beileibe kein Spiel. In der Abwandlung eines unschuldigen Kinderspiels lässt sich durchaus intensiv das eigene Leben durchspielen mit der Anleitung: Zeige deine Klasse!

Daniela Dröscher analysiert in ihrem Sozio-Essay das Aufsteiger-Leben in Deutschland in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie nennt ihr Untersuchungsfeld bewusst Klasse, weil diese undurchdringlich und unveränderbar ist, während die etwas lieblicheren Begriffe Milieu und Ambiente suggerieren, dass man etwas verändern könnte, wenn man nur wollte. Das brutale Gegenstück zur Klasse wäre dann die Kaste, in der die Unveränderbarkeit über Generationen festgeschrieben ist.

Per Molander, Condorcets Irrtum

andreas.markt-huter - 12.04.2021

üer molander, condorcets irrtum„Die Hypothese von Condorcet, dem dieses Buch gewidmet ist, war, dass die Ideale der Aufklärung sich mehr oder minder automatisch verwirklichen würden, wenn die Bevölkerung erst einmal das Joch des Ancien Régime abgeschüttelt hätte. Zweihundert Jahre später müssen wir feststellen, dass diese Hypthoese allzu optimistisch war.“ (S. 9)

In der Auseinandersetzung mit dem französischen Philosophen der Aufklärung und Mitglied der Nationalversammlung während der französischen Revolution kritisiert Molander den zunehmenden demokratischen Verfall, durch die immer enger werdende Verflechtung zwischen Staat und wirtschaftlichen Interessen in der Gegenwart.

Noam Chomsky, Rebellion oder Untergang

andreas.markt-huter - 05.03.2021

noam chomsky, rebellion oder Untergang„Die Dringlichkeit der »Gefahr des Untergangs« ist unübersehbar. Sie sollte der konstante Gegenstand von Aufklärungsprogrammen, Organisation und Aktivismus sein und den Hintergrund für unser Engagement in allen anderen Kämpfen bilden.“ (S. 7)

Das Sachbuch „Rebellion oder Untergang“ gibt aktuelle Reden und Interviews wieder, in denen sich der bedeutende Sprachphilosoph und politische Aktivist Noam Chomsky mit den existentiellen Bedrohungen durch Klimawandel und Atomwaffen in der Gegenwart auseinandersetzt.

Paul Theroux, Mutterland

h.schoenauer - 01.03.2021

paul theroux, mutterlandMutterland klingt ähnlich wie Muttertag sehr kämpferisch gutmeinend und kann letztlich nur mit Sarkasmus beschrieben werden. Mutterland ist auf den ersten Blick auch das gegenderte Vaterland, das mit einem patriotischen Weichzeichner porträtiert wird.

Paul Theroux platziert um eine Über-Mutter herum eine fette Familiensaga. Insgesamt sieben Kinder sitzen wie die sieben Zwerge um die Mutter herum und stellen einen Ausschnitt von der Welt dar. Die Berufe Advokat, Lehrerin, Diplomat, Krankenpfleger, Professor und Schriftsteller sind artig vertreten, alle wirken und werken im Geiste der Mutter, um die sie regelmäßig aufgepflanzt sind. Das Lieblingskind der Mutter freilich ist Angela, sie ist schon verstorben und mit ihr kann man so herrlich schön ins Jenseits beten. Am Ende der Beliebtheitsskala steht naturgemäß der Ich-Erzähler, der als Schriftsteller nicht immer alles für bare Münze nimmt. Und außerdem legt er sich immer mit seinem Professoren-Bruder an, der in Stunden der Depression mit Lyrik herumdilettiert und schlechten Geschmack verbreitet.

Hallie Rubenhold, The Five

andreas.markt-huter - 22.01.2021

hallie rubenhold, the five„Meine Absicht beim Schreiben dieses Buches war es nicht, den Mörder zu jagen und zu benennen. Mein Wunsch ist es stattdessen, den Wegen der fünf Frauen nachzuspüren, ihre Erfahrungen im Kontext ihrer Zeit aufzuzeigen und ihre Leben durch Düsternis und Licht gleichermaßen zu verfolgen.“ (S. 30)

Heute noch steht der Name Jack the Ripper als Synonym eines bestialischen Massenmörders, der die Gesellschaft seine Zeit in Atem hielt und Furcht und Schrecken verbreitet hat. Während dieser in die Geschichte eingegangen ist, sind seine Opfer – fünf Frauen – in Vergessenheit geraten. Ihnen und ihren persönlichen und sozialen Lebensumständen ist dieses Buch gewidmet.

H. W. Valerian, Mourir pour Dantzig

h.schoenauer - 13.01.2021

valerian, mourir dantzigSoll ich heute überhaupt was erleben? - Diese Frage der Spätromantik gilt heute als schwer überholt, besteht der Sinn des Lebens doch darin, möglichst viel zu erleben. Im Alter freilich kommt immer öfter die Frage auf, was tue ich mit dem Erlebten?

Für H. W. Valerian stellt eine Busreise durch das gegenwärtige Polen so ein Erlebnis dar, das irgendwie unbeabsichtigt aufgetaucht ist wie so viele Aktivitäten, die jemand im Ruhestand vollbringt. Nun ist diese Polenreise also einmal geschehen und für den belesenen und historisch interessierten Autor geht es darum, damit etwas anzufangen. In erster Linie heißt das für seine Generation: Aufschreiben.

Güni Noggler, ausgekocht

h.schoenauer - 30.12.2020

güni noggler, ausgekochtIm Entertainment gelten Gespräche in einer künstlichen Küche als nette dramaturgische Konstellation, wo fallweise über Zwiebel und Kartoffel geredet werden kann, wenn das Gespräch zu sehr in die Tiefe eines Themas abdriften sollte.

Güni Noggler greift für sein Radio-Format „ausgekocht“ diese Hintergrund-Konstellation einer Küche auf, aber er bleibt so lange auf Sendung, bis die handelnden Personen wirklich ausgekocht sind und als blasse Karkasse am Küchentisch liegen.

Elias Schneitter, Ein gutes Pferd zieht noch einmal

h.schoenauer - 18.12.2020

elias schneitter, ein gutes pferd zieht noch einmalDie Erinnerung ist ein Pferd, das morgens auf den Acker geht und abends als Salami nach Hause kommt. Aber auch der Acker erlebt sein Asphalt-blaues Wunder und verwandelt sich innerhalb von Stunden in eine Schnellstraße.

Elias Schneitter ist der Spezialist für außerordentliche Helden vom Rand der Gesellschaft. Wenn seine Sprache oft grotesk unterkühlt wird, so huldigt er damit dem puren Realismus. In seinen Erzählungen ist nichts aufgeputzt oder abgeschliffen, die Sätze liegen unbehauen herum wie jenes seltene Brachland, auf dem die Figuren ihre Wunschträume mit morschem Holz und Bruchziegel errichten.