Melanie Hollaus / Heidi Schleich (Hrsg.), Bocksiedlung
Der Ruf einer Gegend ist immer stark Kapital-abhängig. Solange die Stadt einen Stadtteil sich selbst überlässt, tut sie alles, um die Gegend schlecht zu reden, damit niemand dort Investitionen verlangt. Sobald man ein Geschäft mit der Entlegenheit wittert, redet man den Stadtteil schön und schreit insgesamt nach Olympischen Spielen. Generell lässt sich sagen, eine Gegend ist umso mieser, je weniger Politiker dort wohnen, um das Elend zu sehen.
Melanie Hollaus und Heidi Schleich gehen ähnlichen Phänomenen nach, wenn sie sich um die legendäre Bocksiedlung im Osten Innsbrucks Erinnerungs-technisch kümmern. Da in Innsbruck seit Menschengedenken Wohnungsnot herrscht, lassen sich in den 1930er Jahren auf freiem Feld ein paar Familien nieder, woraus dann die Bocksiedlung entsteht, die um 1970 geschleift wird.
„Das Jahr 493 begann schlecht für die Einwohner Ravennas. Die Stadt war von der Außenwelt abgeschnitten. Lebensmittel waren kaum noch aufzutreiben und für viele unerschwinglich geworden, man hatte begonnen, alles zu essen, was sich kauen ließ, selbst Unkraut und Leder. […] Der Grund für diese Not war der Krieg, den die Könige Odovakar und Theoderich um die Herrschaft in Italien gegeneinander führten.“ (S. 15)
„Wer will heute noch über das Recht diskutieren, Argumente auf ihre Prämissen überprüfen, Lebenszeit verausgaben, um nach Gründen für Recht und nach Gründen des Rechts zu suchen. Vom Recht ist nicht mehr die Rede, alle Welt ist nur noch an Gesetzen, Richtlinien, Verordnungen, Erlässen, Bescheiden, Urteilen und Weisungen interessiert. Es gibt keine Vorstellung von der notwendigen Differenz zwischen Ideal und Praxis.“ (S. 7)
So um 1980 herum haben die damals sechzigjährigen Autoren in ihren aktuellen Romanen wie verrückt ihren Vater gesucht. Momentan versuchen die jetzt sechzigjährigen Kunden des Beats und der psychodelischen Musik mit ihren Bands von damals ins Reine zu kommen. Wahrscheinlich ist das nur eine andere Art von Vatersuche.
„Überspitzt formuliert könnte man sagen: Nach all den Bemühungen, Konferenzen und Integrationsprojekten, sind vor allem der politische Islam und die Kultur des Patriarchats in Deutschland gut integriert, und das mit staatlicher und kirchlicher Unterstützung.“ (S. 18)
„In der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. ereignete sich in einer Küstenstadt Groß-Griechenlands ein Vorgang von weitreichender, ja man darf sagen: von welthistorischer Bedeutung, »eine geistesgeschichtliche Revolution unerhörten Ausmaßes« deren Auswirkungen allerdings erst mehr als zweitausend Jahre später zu voller Geltung kommen.“ (Bd. 1, S. 13)
„Die Lehrerin Susanne Wiesinger bietet mir ihrem Buch einen Debattenbeitrag an, denn sie hat gemerkt, dass der Islam die Alltagswelt vieler muslimischer Schülerinnen und Schüler in Österreich sehr stark dominiert. In den Schulen herrscht ein Wertekonflikt …“ (S. 6)
Endlich hat ein Autor in einem klaren Satz zum Ausdruck gebracht, was einen ehemaligen Bundeskanzler wegen der Komplexität der Dinge in den schieren Wahnsinn getrieben hat.
Als die heikelste Form, etwas zu erzählen, gilt jene, es über das Heimat-Buch zu betreiben. In seinem Heimatort nämlich ist jeder ein großer Erzähler, aber es gibt kaum Zuhörer. So löst ein Heimat-Buch immer große Diskussionen aus, ob auch alle Geschichten drin sind, ob sie richtig erzählt sind, ob die Namen richtig gedruckt sind und vor allem, ob auch niemand vergessen worden ist.
Gute Essays haben eine Kraft, mit der sie die Leserschaft in den Ringkampf der Gedanken zwingen mit ungewissem Ausgang. Im Essay hat letztlich der Leser recht, wenn er sich mit den Argumenten des Textes auseinandergesetzt hat.