Wirtschaft | Soziales

Joey Comeau, Überqualifiziert

h.schoenauer - 29.08.2018

titelbild: Joey Comeau, ÜberqualifiziertÜberqualifiziert ist in der Arbeitswelt eine elegante Umschreibung für Kotzen. Wenn jemand keinen Zugang zur Arbeit findet, beschreibt man ihn beschönigend als überqualifiziert, damit er nicht gleich alles hinschmeißt, sondern sinnlos weitersucht.

Joey Comeau beschreibt diesen quälenden Zustand „überqualifiziert“ mit einem Briefroman. Jemand mit der Unterschriftskraft des Autors verfasst ununterbrochen Bewerbungsschreiben und entdeckt dabei, dass sich so der Sinn des Lebens und der Unsinn der Arbeit brauchbar darstellen lassen.

Oswald Blassnig, Mit Verlaub, Herr O!

h.schoenauer - 24.08.2018

Titelbild: swald Blassnig, Mit Verlaub, Herr O!In zivilisierten Gesellschaften hat der Staat das Gewaltmonopol, und damit möglichst viele Staatsbürger davon kosten können, gibt es in manchen Staaten eine Wehrpflicht.

Mit dieser zwangsweisen Eingliederung in die Welt der Gewalt geraten viele sogenannte Präsenzdiener in einen Konflikt. Im Schulbereich nämlich haben sie das gewaltfreie Regeln von Konflikten gelernt, und jetzt sollen sie Hemmungen abbauen, wenn es ums Losschlagen geht.

Naira Gelaschwili, Ich bin sie

andreas.markt-huter - 06.08.2018

Titelbild: Naira Gelaschwili, Ich bin sieDie Liebe kann neben allerhand Störungen oder Zauberkräften auch eine satte Identitätskrise auslösen.

Naira Gelaschwili erzählt von einem Mädchen, das es aus den Schuhen wirft, als gegenüber im Hof ein attraktiver Student einzieht. Die Erzählerin ist knappe zwölf, als sich die Wahrnehmung vollends verändert, nichts ist mehr wie gestern, die Umgebung hat sich in pures Gold verwandelt, worin ER herumschwimmt wie in einem Aquarium puren Glücks. Das ganzes Jahr 1960 fühlt sich plastisch an, der Sommer, der Herbst, und selbst der Schnee ist plötzlich warm, wenn der Blick zu ihm über den Hof huscht.

Armin Zöggeler, Mein Leben im Eiskanal

h.schoenauer - 01.08.2018

titelbild: Armin Zöggeler, Mein Leben im EiskanalWenn man im Netz die einsamen Gegenden nördlich des Polarkreises durchstreift, trifft man unter der Adelsbezeichnung „Persönlichkeiten“ auf Eishockeyspieler, Biathleten, Schispringer und Rodler. Umso erstaunlicher ist also die kulturelle Vorgabe, dass man in Südtirol durch Rodeln eine Persönlichkeit werden kann.

Armin Zöggeler lebt als Kind idyllisch am Bauernhof in Völlan, ein paar seiner Freunde rodeln schon, aber er ist zu jung, um bei einem Wettbewerb mitmachen zu können. Später verletzt sich jemand, man sinniert, wer einspringen könnte, und kommt auf Armin. Der ist sau-schnell und ein solches Naturtalent, dass er auch in einen künstlichen Eiskanal passt.

Karl-Markus Gauß, Zwanzig Lewa oder tot

h.schoenauer - 13.07.2018

Titelbild: Karl-Markus Gauß, Zwanzig Lewa oder totEin hoher Witz muss sein: Beim Gaußschen Gesetz wird der elektrische Fluss durch eine geschlossene Fläche vermessen, bei der Gaußschen Landkarte kommen Gegenden in peripherer Lage in den Fokus von Geschichte.

Karl Markus Gauß vermisst scheinbar unscheinbare Landstriche in einer Weise, wie es höchstens Humboldt zusammengebracht hat, in Wirklichkeit aber widmet er sich jenem Europa, das flussabwärts liegt und deshalb auch im Bewusstseinsstrom des Kontinents ständig ausrinnt. In vier Reisen geht es nach Moldawien, Serbien, Kroatien und Bulgarien, mit dabei ist immer ein einheimischer Vertrauter, der seltene Gespräche und Empathie mit raren Schicksalen vermittelt.

Stephan Schulmeister, Der Weg zur Prosperität

andreas.markt-huter - 22.06.2018

Titelbild: Stephan Schulmeister, Der Weg zur Prosperität„Vor fünfzig Jahren herrschte Vollbeschäftigung, die Staatsverschuldung war zwanzig Jahre lang gesunken, der soziale und europäische Zusammenhalt war stärker als heute. Warum hat sich die Lage in Europa seither schleichend verschlechtert? Welche Einsichten braucht es, damit wir die gesellschaftliche Entwicklung nicht als »Sachzwang« erleben, sondern als gestaltbar, und zwar von uns selbst? Welche Wege führen aus der Krise?“ (9)

Verständlich und detailliert weist Stephan Schulmeister die vorherrschende neoliberale Wirtschaftstheorie, die sich mittlerweile zur gesellschaftspolitischen Religion entwickelt hat, als Ursache für den beständigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Niedergang in Europa nach.

Michael Hochgeschwender, Die Amerikanische Revolution

andreas.markt-huter - 13.06.2018

Titelbild: Michael Hochgeschwender, Die Amerikanische Revolution„Damit stellen sich die Demonstranten ganz bewusst und ohne jeden Selbstzweifel in die Tradition eines besseren, revolutionären Amerika, jener guten alten Zeit, als die USA noch weiß, protestantisch, tugendhaft, frei und voller Optimismus waren, einer Zeit allerdings, die so womöglich nie existiert hat.“ (7)

Während die amerikanische Revolution in gängigen Geschichtsbüchern und patriotischen Historienfilmen nicht selten als Kampf eines freiheitsliebenden Volkes gegen einen monarchischen Unterdrückungsstaat vermittelt wird und damit quasi als Startschuss für die revolutionäre Entwicklung in Europa erscheint, erweist sie sich bei nähere Betrachtungsweise als „ein komplexes, mitunter widersprüchliches historisches Ereignis“ (9). Michael Hochgeschwendner zeigt in seinem Buch detailliert, dass sich der nationale Gründungsmythos der USA, als Kampf der freiheitliebenden amerikanischen Patrioten gegen die arroganten, despotischen Briten, in der Geschichtsschreibung der Gegenwart nicht mehr aufrechterhalten lässt.

Andrej Platonow, Die Baugrube

h.schoenauer - 11.06.2018

Titelbild: platonow die baugrubeEin Dreißigjähriger wird wegen wachsender Kraftschwäche entlassen, er geht nach draußen, um an der Luft besser seine Zukunft zu verstehen.

Andrej Platonow hält sich mit seinem Roman „Die Baugrube“ nicht lange im Arbeitermilieu auf, sondern schreibt gleich einen Schöpfungsbericht des modernen Menschen, der 1931 nicht umsonst das Missfallen Stalins auslöst. Der Roman muss verschwinden und mit ihm verschwindet auch die beste sowjetische Literatur, wie der Nobelpreisträger Joseph Brodsky wehmütig bemerkt.

Jörg Bibow / Heiner Flassbeck, Das Euro-Desaster

andreas.markt-huter - 01.06.2018

Titelbild: Jörg Bibow und Heiner Flassbeck, Das Euro-Desaster„In diesem Buch geht es um die konkreten Auswirkungen der Politik der Eurogruppe und der sogenannten Troika auf die Eurokrisenländer. Bis heute haben die meisten Beobachter nicht verstanden, was dort passiert ist und warum der Einbruch der Produktion so gewaltig war. Das liegt daran, dass überwiegend nicht gesehen wird, welch fatale Entwicklung von den Lohnsenkungen ausging, die mit staatlicher Austeritätspolitik kombiniert wurden.“ (9)

Europa scheint aus der wirtschaftlichen Krise und Stagnation nicht herauszukommen. Die Wirtschaftswissenschaftler Jörg Bibow und Heiner Flassbeck zeigen auf, weshalb sich die Verhältnisse in Europa nach der großen Finanzkrise 2008 im Vergleich zu den USA oder Japan nicht nachhaltig verbessert haben und vor allem die südlichen Länder der Euro-Zone immer tiefer in eine Katastrophe zu rutschen drohen.

Andrei Mihailescu, Guter Mann im Mittelfeld

andreas.markt-huter - 28.05.2018

Titelbild: Andrei Mihailescu, Guter Mann im MittelfeldEine gutgemeinte Einschätzung eines Lebensstils kann letztlich einen schlechten Beigeschmack bekommen, wenn sie wörtlich genommen wird. Der gute Mann im Mittelfeld, der vielleicht als Fußballspieler ein Match drehen und gewinnen kann, wird im politischen Ambiente zur grauen Maus, die nichts anderes im Sinn hat, als zu überleben.

Andrei Mihailescu versucht die Schrecken der Ceausescu-Ära erträglich zu machen, indem er in Form eines Bildungsromans von einem Helden berichtet, der alles überlebt, weil er sich die passende Geschichte dazu erzählt. Dadurch gerät der Leser in einen seltsamen Empfindungsstress. Einerseits muss er die Ungerechtigkeit der rumänischen Diktatur ächten und die Menschenrechte aus dem Gefühlsfundus auspacken, andererseits bewundert er den heldenhaften Mitläufer, der als Überlebenskünstler dem Polizeistaat beinahe poetische Züge abgewinnt.