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Hans Martin Krämer, Geschichte Japans

andreas.markt-huter - 23.09.2024

hans martin krämer, geschichte japans„Das vorliegenden Buch ist […] keine antiquarische Historie, sondern geht genealogisch von der japanischen Gesellschaft und Kultur im globalen Kontext aus, wie sie sich uns heute präsentiert, und sucht deren Entstehung historisch zu erhellen. Dabei gebührt der vormodernen Geschichte eine ausführliche Behandlung, allein schon, weil sie Referenzpunkt zahlreicher Identitätsaussagen in der Gegenwart ist.“ (S. 8)

Hans Martin Krämer bietet in seinem Sachbuch einen kompakten Überblick über die Geschichte Japans von ihren Anfängen bis in die Gegenwart und zeigt dabei die wichtigsten Stationen der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Landes. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die wechselseitigen Beziehungen im engeren wie globalen Umfeld gelegt.

Helwig Brunner, Flirren

h.schoenauer - 16.09.2024

helwig brunner, flirrenEin guter Zukunftsroman lässt sich mit der Hochrechnung für einen Wahlabend vergleichen, die Stimmen sind abgegeben und werden ausgezählt, die Spannung steigt, und das Ergebnis wird mit der Prognose halbwegs übereinstimmen.

Helwig Brunner arbeitet mit seinem beruflichen Standbein in einem ökologischen Planungsbüro, während er sich als Schriftsteller mit dem Spielbein für „klimarelevante Desaster“ interessiert. Mit dieser Beidbeinigkeit ist auch der Held des Romans „Flirren“ ausgestattet, der von sich sagt, er sei „doppelt gefordert als schreibender Wissenschaftler und forschender Literat“. (63) Der Erkenntnisgewinn aus wissenschaftlichen Versuchsreihen und assoziativen Fiktionen ist wohl auch das geheime Thema des Romans.

Roger Van de Velde, Knisternde Schädel

h.schoenauer - 02.09.2024

roger van de velde, knisternde schädelIn der Literatur werden Geschichten manchmal so heiß, dass man sie nur erzählen kann, wenn man gleichzeitig die Kühlelemente beschreibt, die zu ihrem Schutz installiert worden sind. „Knisternde Schädel“ sind zwanzig kleine Geschichten, die unter Überdruck in der Psychiatrie entstanden sind. Das Knistern im Kopfinnern diverser Helden deutet darauf hin, dass darin andere atmosphärische Drücke herrschen als in der sogenannten normalen Welt.

Der Journalist und Schriftsteller Roger Van de Velde wird zwangsweise und ungeplant zu einem Medium, das die Druckverhältnisse in den Schädeln von Psychiatrie-Insassen als Geschichten wiedergibt und über seine Frau in Zigarettenschachteln nach draußen schmuggeln lässt, wo angeblich die Realität vorherrscht.

Reinhard Wegerth, Die besten Wunder

h.schoenauer - 05.08.2024

reinhard wegerth, die besten wunderSuche den Kern der Hülle! – In der Literatur gibt es ständig neue Rätsel zu lösen, deren Lösungen später wieder zum Aufbau neuer Rätsel genutzt werden können. Reinhard Wegerth nimmt die „besten Wunder“ aus den Gründungsmythen von Islam und Christentum unter seine literarischen Fittiche, indem er sie ohne Vorurteile behutsam aus dem religiösen Kontext schält und als Präparate der Fiktion unter das Lektüre-Mikroskop legt.

Während das Genre Wunder in der Hauptsache bei religiös funktionierenden Geschichten zum Einsatz kommt, ist der Ausdruck „Mirakel“ schon ziemlich profan gedeutet. Schließlich steht beim Mirakel eher der Unterhaltungswert eines Ereignisses im Vordergrund, und das Staunen als Zeitvertreib ersetzt den moralisch dehydrierten Zeigefinger.

Christine Vescoli, Mutternichts

h.schoenauer - 29.07.2024

christine vescoli, mutternichtsMutterliebe, Mutterschutz, Mutterwitz – mit allem ist in der Literatur zu rechnen. Aber Mutternichts? Ein irritierender Titel wie alles, bei dem das Nichts die Hauptrolle spielt. Christine Vescoli versucht sich an einem erzählerischen Kunststück, sie lässt eine Ich-Erzählerin über die Mutter reflektieren. Und obwohl es in der Erinnerungsliteratur hunderte von Schablonen für Mutter-Gedenken gibt, steht sie vor dem Nichts. „Mutter zieht sich ins Nichts zurück.“ (7)

Die Ausgangslage ist entsprechend fatal. Sobald die Erzählerin mit dem Begriff Mutter konfrontiert wird, ist keine Person mehr dahinter sichtbar, visiert sie aber die Person an, ist der Mutterbegriff weg. Diese wechselseitige Ausblendung von Sichtweisen kumuliert zu einem beinahe haptischen Nichts. „Das Nichts war zeitlebens im Rücken der Mutter, war allumfassend und doch nie greifbar.“

Andreas Niedermann, Alte Schule - Blumberg 3

h.schoenauer - 05.07.2024

andreas niedermann, alte schuleDer Dichter ist in die Berge abgehauen und gilt als verschollen, das Publikum ist ungeduldig, es hat zwei Bücher über schwere Helden-Entgleisung gelesen und will wissen, wie die Geschichte zu Ende geht. Die Heldin „Blumberg 3“ sitzt in der Psychiatrie und und bietet in hellen Momenten an, ihr kriminelles Leben fertig zu erzählen. – Eine ideale Ausgangsposition für einen Roman, als ein Verleger den erlösenden Schreibauftrag vergibt, um endlich alle von der Last der nicht-erzählten Geschichte zu erlösen.

Andreas Niedermann lässt das Konzept für seinen „Roman noir“ knapp durchschimmern als eingedampfte Literaturtheorie: „Bücher entstehen aus Büchern, Leben und Lügen.“ (86)

Dominika Meindl, Selbe Stadt, anderer Planet

h.schoenauer - 01.07.2024

dominika meindl, selbe stadt, anderer planetWenn das gesellschaftliche Leben eine Inszenierung ist, muss dann nicht auch das Individuum sich selbst inszenieren? Macht es einen Unterschied, ob eine Fassade historisch gewachsen oder von einer KI gestaltet vor der Selfie-Kamera auftaucht? Ist ein absolutes System wie die Volksrepublik China vielleicht ähnlich organisiert wie die für den Tourismus ausgereizte Region rund um Hallstatt?

Dominika Meindl greift als Journalistin und Fiktionsmanagerin (= Autorin) auf den weltweit verbreiteten Plot zurück, wonach in China für einen Tourismus-Park das urtypische Kleinod Hallstatt nachgebaut worden ist. Andererseits findet im nahen Bad Ischl gerade eine kaiserliche Nachinszenierung des Habsburgermythos für das Projekt Kulturhauptstadt 2024 statt.

Paul Lendvai, Über die Heuchelei

h.schoenauer - 28.06.2024

paul lendvai, über die heucheleiDer einzige Außenpolitiker von europäischem Rang, den Österreich momentan aufbieten kann, ist Paul Lendvai. Seit Jahrzehnten arbeitet er als Korrespondent, Journalist, Historiker und Verleger daran, die Unwissenden mit den Mächtigen in Verbindung zu bringen. Freilich hat sich etwas Glitschiges in die Nachrichtenwelt eingeschlichen: Was man früher diplomatisches Wirken genannt hat, lässt sich heute am besten mit „Heuchelei“ umschreiben.

„[…] möchte ich insbesondere die Rolle der Heuchelei, der Doppelmoral, der menschlichen und politischen Doppelzüngigkeit und Scheinheiligkeit bei den im Rückblick unverständlichen Handlungen und Erklärungen von Spitzenpolitikern behandeln.“ (9)

Allein schon seine Biographie macht Paul Lendvai zu einem wachen Beobachter der Konflikte in Europa. 1944 nach Ungarn verschleppt, überlebte er in Budapest, erhielt 1953 Berufsverbot und konnte schließlich 1957 nach Österreich fliehen. Seither ist er dessen Wissens-Botschafter in der politisch-journalistischen Welt.

Robert Kleindienst, Das Lied davon

h.schoenauer - 24.06.2024

robert kleindienst, das lied davonWenn jemand eine wortlose Kindheit erfahren hat, wie soll er später davon erzählen? Robert Kleindienst nimmt sich das Schicksal seines Vaters zu Herzen, der einst ziemlich wortlos im Tiroler Oberland bei einer Pflegefamilie aufgenommen und bald darauf in die berüchtigte Bubenburg im Zillertal gesteckt worden ist. Später in Salzburg ist er dann ein geschätzter Musiker geworden, der den Ton der Wortlosigkeit beim Publikum getroffen hat. Offensichtlich lässt sich die Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit später mit Musik überwinden.

Der Roman „Das Lied davon“ ist vorerst eine späte Versöhnung des Herumgestoßenen mit der Tiroler Erziehungsluft. In seiner Behutsamkeit stellt er freilich auch ein Muster dar, wie man über eine schwere Kindheit erzählen könnte, ohne dass dabei die einzelnen Sätze zugespitzt abermals verletzend werden.

Günter Zöller, Geschichte der politischen Philosophie

andreas.markt-huter - 21.06.2024

günter Zöller, geschichte der politischen philosophie„Der folgende Abriss der (westlichen) politischen Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung von der klassischen Antike über das christlich geprägte Mittelalter bis zur Neuzeit und zu den jüngeren und jüngsten Entwicklungen stellt repräsentative philosophische Positionen zu den Formen und Normen der politischen Gemeinschaft in den jeweiligen Kontext von Staat und Gesellschaft. Durch die Verbindung von politischer Philosophie mit politischer Geschichte soll das philosophische Denken in seinen Zeitbezügen erhellt werden …“ (S. 7)

Günter Zöller bietet einen umfangreichen Abriss in die Geschichte der politischen Philosophie des Abendlandes beginnend mit den wesentlichen Denkern der griechischen und römischen Antike über die Auseinandersetzung mit Herrschaft und Macht im christlichen Mittelalter über die Rückbesinnung auf die Antike in der Neuzeit bis hin zu philosophischen Entwicklungen neuer staatsrechtlicher Grundlagen und Stellungnahmen zu Staat, Freiheit des Bürgers und sozialer Gerechtigkeit in der Gegenwart.