Janko Ferk, Mein Leben. Meine Bücher
Je heftiger du vom Lesen schwärmst, umso weniger glaubst du vielleicht daran. – Diese schlaue Erkenntnis von Bibliothekaren, die sich mit aufgekratzter Kundschaft auseinandersetzen müssen, sollte man auch probehalber für Dichter anwenden, die zum Ruhestand in eine potentielle Lese- oder Schreibkrise geraten sind.
Janko Ferk nennt seine persönlichste Erzählung „Mein Leben. Meine Bücher“. Darin beschreibt ein ziemlich „authentisches Ich“ zehn Bücher, die es zu einem außergewöhnlichen Leben verführt haben. Die Erzählung ist erfüllt von Glück, Aufregung, Anspannung und Genugtuung, dem Helden ist nämlich nichts anderes gelungen als ein literarisch erfülltes Leben.
Vor Jahrzehnten, als die Heranwachsenden noch hirnlos in den Tag hineinstudiern konnten und anschließend einen Job ins Maul geflogen bekamen, machte in Tirol ein seltsames Gerücht die Runde: In Hall sitzt in der Nudelfabrik während der Nacht ein Philosoph an der Pforte und sinniert während seiner Aufsicht über den Sinn der Welt nach.
Was für eine Verheißung! Inselland – ein doppeltes Glücksversprechen, wenn die lyrische Seele sich auf eine Insel zurückzieht und gleichzeitig über weites Land schwebt.
Moderne Romane sind wie moderne Mehrsystem-Loks, du kannst überall damit fahren, aber die angehängte Ladung besteht meist aus fossilen Produkten oder überhaupt aus Müll. – Dieser seufzende Vergleich deutet auf das Dilemma des sogenannten Einheitsromans hin, wie er in der EU mittlerweile genormt produziert, vertrieben, aber kaum gelesen wird. Statt Abenteuer gibt es Spurtreue, statt Schicksal tritt psychologischer Schnickschnack auf.
Wo Goethes Faust nicht überall hinlangt! – In Marthens Garten wird gerade die Gretchenfrage gestellt, da kommt es schon zum berühmten Diktum: „Gefühl ist alles. Namen sind nur Schall und Rauch.“
Die aufregendsten Texte sind einerseits überall anzutreffen, wo man sie nicht sucht, andererseits findet man sie garantiert nicht in einer geordneten Schublade. In einer Bibliothek stehen solche Überraschungen am ehesten zwischen den Regalen und außerhalb der Ordnung eines Alphabets.
Für eine Reise durch die Geographie braucht es ähnliche Stützpunkte wie für eine Reise durch das weite Land der Poesie. Einmal sind es Karawansereien, Biwak-Boxen oder Bistros, die das reisende „Wir“ versorgen, dann sind es wieder Wolkenballen, Sträucher und Licht, aus denen sich die Gedichte speisen.
Vielleicht sollte man Poeterey ganz despektierlich mit Tätigkeiten vergleichen, die ebenfalls mit einem Ei enden: Bücherei, Metzgerei, Bäckerei. Alle diese Cluster-Verrichtungen sind vom Aussterben bedroht, weil sie für das aktuelle Gesellschaftsleben „unbrauchbar“ sind.
Die verschwiegenste Lyrik wächst für Augenblicke aus dem großen Fließen heraus, wenn das abgedriftete Auge zurückschnellt, um abermals dem Verlauf des Wassers zu folgen.
Damit die Literatur aus dem Leben heraustreten und sich Luft verschaffen kann, braucht es zwei Beobachtungsschlitze: Durch den einen blickt man auf den anstehenden Tag, durch den anderen auf das verflossene Leben.