Belletristik

Janko Ferk, Mein Leben. Meine Bücher

andreas.markt-huter - 17.04.2023

janko ferk, mein leben, meine bücherJe heftiger du vom Lesen schwärmst, umso weniger glaubst du vielleicht daran. – Diese schlaue Erkenntnis von Bibliothekaren, die sich mit aufgekratzter Kundschaft auseinandersetzen müssen, sollte man auch probehalber für Dichter anwenden, die zum Ruhestand in eine potentielle Lese- oder Schreibkrise geraten sind.

Janko Ferk nennt seine persönlichste Erzählung „Mein Leben. Meine Bücher“. Darin beschreibt ein ziemlich „authentisches Ich“ zehn Bücher, die es zu einem außergewöhnlichen Leben verführt haben. Die Erzählung ist erfüllt von Glück, Aufregung, Anspannung und Genugtuung, dem Helden ist nämlich nichts anderes gelungen als ein literarisch erfülltes Leben.

Jörg Waldhauser, Rondine

h.schoenauer - 14.04.2023

jörg waldhauser, rondineVor Jahrzehnten, als die Heranwachsenden noch hirnlos in den Tag hineinstudiern konnten und anschließend einen Job ins Maul geflogen bekamen, machte in Tirol ein seltsames Gerücht die Runde: In Hall sitzt in der Nudelfabrik während der Nacht ein Philosoph an der Pforte und sinniert während seiner Aufsicht über den Sinn der Welt nach.

Beim „Nacht-Denker“ handelt es sich um Jörg Waldhauser, der im aktuellen Jahrhundert durchaus anerkannt seine Gedankenrunden durch diverse Veranstaltungen dreht und stets ein aufgewühltes Gefühl bei den Angetörnten hinterlässt. Auch wenn man den Gedanken oft nicht nachfolgen oder gar zustimmen kann, so bleibt doch ein zarter Rüttler im Gedächtnis, wie wenn man einen Weidezaun (heute Wolfsmanagement) berührt hätte.
Diese Einschätzung zu Lebzeiten berücksichtigt jenen Teil der Literatur Jörg Waldhausers, die dieser als eine Art „philosophische Performance“ zur Anwendung brachte. Erst nach seinem Tod kamen die Schriften, Bilder und Materialien zum Vorschein, die als Nachlass seit 2019 im Brenner-Archiv sondiert werden.

Laura Weidacher, Inselland

h.schoenauer - 08.04.2023

laura weidacher, insellandWas für eine Verheißung! Inselland – ein doppeltes Glücksversprechen, wenn die lyrische Seele sich auf eine Insel zurückzieht und gleichzeitig über weites Land schwebt.

Laura Weidacher steckt schon im ersten Gedicht den Claim ab, auf dem sich später das lyrische Ich bewähren wird im Sturm, der die heftige Witterung vor sich hertreibt, um Platz zu machen für die neuen Jahreszeiten, die er im Schlepptau hat.

„Inselland // Das Land ist eine Insel / umspült von Bäumen und Bergen / die Quais befestigt mit Stahl und Gold // Vierflössler, ungeschuppt / treiben die Bewohner am Strand / wasserlos reibt sich die Haut am Goldgrund // Tot ruht der Reichtum tief in den Tresoren / und die Trutzburg taub für das Brausen / des Weltwinds von Süden her“ (9)

Moritz Baßler, Populärer Realismus

h.schoenauer - 04.04.2023

moritz baßler, populärer realismusModerne Romane sind wie moderne Mehrsystem-Loks, du kannst überall damit fahren, aber die angehängte Ladung besteht meist aus fossilen Produkten oder überhaupt aus Müll. – Dieser seufzende Vergleich deutet auf das Dilemma des sogenannten Einheitsromans hin, wie er in der EU mittlerweile genormt produziert, vertrieben, aber kaum gelesen wird. Statt Abenteuer gibt es Spurtreue, statt Schicksal tritt psychologischer Schnickschnack auf.

Moritz Baßler untersucht seit Jahren dieses Phänomen, das er „populären Realismus“ nennt. Die im Witz als Mehrsystem-Lok vorgestellte grenzüberschreitende Dynamik heißt bei ihm „International Style“.

Christian Wolf, Schall & Rauch

andreas.markt-huter - 24.02.2023

christian wolf, schall und rauchWo Goethes Faust nicht überall hinlangt! – In Marthens Garten wird gerade die Gretchenfrage gestellt, da kommt es schon zum berühmten Diktum: „Gefühl ist alles. Namen sind nur Schall und Rauch.“

Christian Wolf greift diese längst zum Klassiker gewordene Fügung von Schall & Rauch auf, um sich damit einem lyrischen Ur-Zustand zu nähern. Während in weiten Teilen der Gesellschaft auf Fakten gesetzt wird, geht es in der Poesie um Gretchenfragen und definitive Vergänglichkeit. Was ist ein Gedicht schon anderes, als ein Stück Schall und Rauch?

Manfred Chobot, Das Hortschie-Tier und die Lurex-Frau

h.schoenauer - 14.11.2022

manfred chobot, das hortschie-tier und die lurex-frauDie aufregendsten Texte sind einerseits überall anzutreffen, wo man sie nicht sucht, andererseits findet man sie garantiert nicht in einer geordneten Schublade. In einer Bibliothek stehen solche Überraschungen am ehesten zwischen den Regalen und außerhalb der Ordnung eines Alphabets.

Manfred Chobot ist Spezialist für Überraschungen, die scheinbar immer schon da sind. Einmal schürft er als Dialekt-Magier spontane Fügungen ans Gesprächslicht, ein andermal bringt er während einer Recherche die Dinge zum Sprechen, und am verlässlichsten ist er an der Kante zwischen Traum und Wachsein, Findung und Erfindung, wahr und wahrscheinlich anzutreffen.

Patricia Brooks, Bukarest Bistro

h.schoenauer - 02.11.2022

patricia brooks, bukarest bistroFür eine Reise durch die Geographie braucht es ähnliche Stützpunkte wie für eine Reise durch das weite Land der Poesie. Einmal sind es Karawansereien, Biwak-Boxen oder Bistros, die das reisende „Wir“ versorgen, dann sind es wieder Wolkenballen, Sträucher und Licht, aus denen sich die Gedichte speisen.

Patricia Brooks setzt für ihre Reise das „Bukarest Bistro“ in Szene und in den Titel. Darunter finden sechzig Gedichte Unterschlupf und berichten von einer imaginierten Welt auf mehreren Ebenen. Einmal ist mit dem Bukarest Bistro eine Location benannt, wie wir sie überall auf der Welt vorfinden, wenn jemand der rumänischen Hauptstadt zuliebe ein Café aufgemacht hat. Andererseits ist ein märchenhaft fernes Land damit verknüpft, das zur Anreise animiert, und drittens liefert der Begriff eine erste Befriedigung jener Sehnsucht, wegen der wir aufgebrochen sind.

Raimund Bahr, Poeterey eines Unbrauchbaren

h.schoenauer - 24.10.2022

raimund bahr, poeterey eines unbrauchbarenVielleicht sollte man Poeterey ganz despektierlich mit Tätigkeiten vergleichen, die ebenfalls mit einem Ei enden: Bücherei, Metzgerei, Bäckerei. Alle diese Cluster-Verrichtungen sind vom Aussterben bedroht, weil sie für das aktuelle Gesellschaftsleben „unbrauchbar“ sind.

Raimund Bahr versetzt sich in die Lage eines Unbrauchbaren, der nach alter Manier etwas anstrebt, was Nachdenken, Reimen, Spinntisieren, Aufschreiben bedeutet. Poeterey ist eine ausufernde Tätigkeit, die sich ständig selbst Regeln überstülpt, um sich halbwegs in den Griff zu bekommen.

Siljarosa Schletterer, azur ton nähe

h.schoenauer - 22.08.2022

siljarosa schletterer, azur ton näheDie verschwiegenste Lyrik wächst für Augenblicke aus dem großen Fließen heraus, wenn das abgedriftete Auge zurückschnellt, um abermals dem Verlauf des Wassers zu folgen.

Siljarosa Schletterer siedelt ihre Gedichte an einem Fluss- und Fließsystem an, „azur ton nähe“ belegen als Farbe, Musik und Innigkeit unbegleitete Wörter, die scheinbar zufällig als Flusskiesel am Ufer liegen.

Dieses Gewässersystem ist einerseits als imaginäres Netz von Lebenssubstanz über die Erde gespannt, andererseits mit GPS-Daten verortet. So wie heute bereits jedem Foto die Aufnahme-Koordinaten innewohnen, so sind die Gedichte mit konkreten Daten hinterlegt und als Überschrift gesetzt. In einem angeschwemmten Flussverzeichnis am Ende des Bandes kommen die Flüsse als Register zum Vorschein, und in diesem Fall sind die Schwerpunkte mit den Seitenzahlen des Gedichtes fixiert.

Peter Paul Wiplinger, "Schachteltexte III"

h.schoenauer - 29.07.2022

peter paul wiplinger, schachteltexte3Damit die Literatur aus dem Leben heraustreten und sich Luft verschaffen kann, braucht es zwei Beobachtungsschlitze: Durch den einen blickt man auf den anstehenden Tag, durch den anderen auf das verflossene Leben.

Peter Paul Wiplinger führt die beiden Suchbewegungen mit seinen Schachteltexten elegant und eindringlich zusammen. Seit fünfzehn Jahren arbeitet er an diesem einmaligen Dokument, wobei auf ausgeklappte und ausgerissene Verpackungsteile mit der Füllfeder Texte komponiert werden. Ein Auge blickt auf den aktuellen Zustand des schreibenden Ichs und das andere setzt sich den historischen Gezeiten von Kindheit bis zur Reife aus.