Den Wert einer Gesellschaft kann man an ihren Geschichten ablesen. Solange noch neue Geschichten erzählt werden, ist sie nicht gestorben. Monika Helfer erzählt als aufmerksame Alltagshistorikerin dutzende dieser Geschichten, die wie ein Lied noch Tagelang als Ohrwurm hängenbleiben.

Tatsächlich gleichen diese Geschichten jenen eindringlichen Balladen, die von den Missverständnissen zwischen den Generationen, den Abwehrmechanismen der Kulturen, der Geduld des Erforschens und dem Traum von einem geglückten Leben erzählen.

Ähnlich wie die Literatur können Kultur-Tiere (Hunde) durchaus eine Gesellschaft rezipieren und darauf reagieren. Die Literatur gibt diesen Künstler-Tieren dann den entsprechenden Auftritt.

Als Ur-Geschichte einer solchen Transformation menschlichen Verhaltens durch den Hund gilt Marie von Ebner-Eschenbachs Novelle Krambambuli, wo ein Hund zwischen Erst- und Zweitherren im Gehorsam zerrissen wird und sich schließlich für den Erstherren entscheidet.

Die knallhärteste Geschichte über Leben und Tod, Opfer und Mord, Blut und Initiation gibt es immer noch im Alten Testament, die pure Härte bricht aus, wenn man diesen archaischen Text in der Gegenwart erzählt.

David Vann braucht für seine Opfer-Orgie nur wenige Zutaten. Der elfjährige Ich-Erzähler wird von Vater, Großvater und einem Bekannten mitgenommen auf die Jagd, wo er am Goat Mountain seinen ersten Hirschen schießen soll, um eine Vorstufe von Mann zu werden. Abenteuerlich gut gelaunt bricht die Truppe auf und entdeckt bald einmal einen Wilderer, der ungeniert in der Landschaft steht.

Manche Typen der Weltgeschichte sind so diffus und amorph, dass sie nur über den Umweg der Fiktion eingefasst und sichtbar gemacht werden können. Die Globalisten sind etwa Menschen, die überall am Globus auftauchen aber naturgemäß immer an der Oberfläche der Kugel bleiben.

Peter Rosei setzt den Mittelpunkt der Welt österreichisch-monarchisch zwischen Wien und dem Ausseerland an, zwischen diesen Polen pendelt auch eine der Hauptfiguren je nach emotionaler Tagesverfassungen hin und her.

Lyrik liefert nicht nur einen Inhalt, den man als Gedichte bezeichnen könnte, sondern auch eine Verfahrensweise, mit der sie sich Rückschlüssen zu entziehen versucht. Es gilt so etwas wie ein Informanten-Schutz und das lyrische Redaktionsgeheimnis.

Rudolf Kraus setzt seine Texte in die Klusen zwischen den Gattungen. Was in Ritzen eines lyrischen Geflechts entsprießt ist nicht Lyrik und nicht Epik, wie Beppo Beyerl im Vorwort feststellt, es sind Intarsien des ertappten Augenblicks.

Man muss die Literaturwissenschaft nur wörtlich nehmen, dann hat man stets genug Stoff für Unterhaltung.

Gerhard Henschel hat sich so große Begriffe wie Kindheitsroman, Jugendroman und Abenteuerroman zu Herzen genommen und seinen Helden Martin Schlosser durch diese fetten Gattungen gejagt. Als ob der Held, der zumindest dem Namen nach so was ist wie seines Glückes Schmied und ein Türöffner für neue Welten, als ob Martin Schlosser noch nicht kaputt genug ist, wird er jetzt noch durch den Bildungsroman geschickt.

Das Saxophon lässt auch bei offenen Augen alles in ein blaues Licht verschwinden, der Blues legt sich auf die Seele, die Landschaft schliert sich ein in herbstliche Töne, das Denken befreit sich von den irdischen Klammern angesichts der Saxophonie.

Ingram Hartinger nennt seinen „Roman“ von einem mühsam abgearbeiteten Leben als Psychomaschinist eine Saxophonie. Sein Held Joris Ebner will auf keinen Fall einen Roman und schon gar nicht sogenannte Memoiren schreiben, „indem er Unwichtiges nicht ausließ, gelang es ihm, keine Autobiographie zu schreiben.“ (247)

Vielleicht sind Gemütszustände wie sonnig, traurig, wolkig, echauffiert oder schläfrig nichts anderes als Reaktionen auf die physikalische Umgebung, vielleicht sind wir nur ein Messgerät, das etwas misst, was uns nicht bekannt ist.

Georgi Gospodinov nennt seinen feinnervigen Roman über die Empfindsamkeit der Figuren, die durch das Jahrhundert getrieben werden, Physik der Schwermut. Wenn man schon nicht erklären kann, warum die Ereignisse so geschehen sind, sollte man wenigstens beschreiben, wie die davon Berührten darauf reagieren.

Wenn es Leute gibt, die bei der Schubertiade im Bregenzer Wald vor Hingabe zerschmelzen, wird es auch genügend Fans geben, die sich bei der Lektüre eines Wälder-Krimis vor Wonne quasi selbst auflösen.

Peter Natter, der wie alle Krimi-Schreiber die Produktion von Krimis freiwillig macht, schickt seinen skurrilen Bregenzer Inspektor Ibele zu einem Fall, der während der Schubertiade in Schwarzenberg loslegt, weshalb es auch gleich Ibeles schwärzester Fall wird.

Empfindsame Seelen müssen geschützt in abgedunkelter Atmosphäre gehalten werden, nur im Schutz der eigenen Umhüllung können sie manche Tage überstehen.

Simon Konttas zeigt in seinen beiden Novellen das Phänomen fragiler Psychen einmal als dunkle Variante am Rand der Gewöhnlichkeit und einmal als überhitzte Lichtflamme bei einem Gartenfest.