Erzählung

Dietmar Füssel, Der Verklärte

h.schoenauer - 13.03.2024

dietmar füssel, der verklärteIn Denksphären mit mannigfaltigen Spielregeln sind die verwendeten Begriffe oft labil wie Quanten, sie können zu Beginn eines Satzes etwas anderes bedeuten als an dessen Ende. Vor allem Theologie und Literatur werden diesem Metier zugerechnet, dessen Protagonisten oft als Schwurbler auftreten. Die Sprache hält für diese Geschichten exquisite Begriffe parat, die wie Leitpflöcke den Diskurs durch den Nebel führen. – „Der Verklärte“ ist so ein Begriff.

Dietmar Füssel, längst ein „Marken-Autor“ für groteske Geschichten, lässt den erfolglosen Schriftsteller Didi F. als Prototyp für eine Heilsgeschichte sterben. Er wird in provinzieller Manier von einem Lokalpolitiker überfahren, der Fahrerflucht begeht. Erbärmlicher kann man als Dichter wirklich nicht sterben.

Gunter Falk, Vom Verschwinden des Autors

h.schoenauer - 11.03.2024

gunter falk, vom verschwinden des autorsIn einem funktionalen Lehrbild werden literarische Aufsätze manchmal als Bodenmarkierungen gelesen, die den Verkehrsstrom der Literatur regeln und entflechten sollen. Wie bei echten Bodenmarkierungen verlieren die literarischen oft ihren Sinn, wenn die entsprechende Gegenwart vorbei ist. Aufsätze aus verflossenen Zeiten gleichen dann grobkörnigen Linien auf Asphaltfragmenten, die schon längst von Pionierpflanzen umkreist sind.

Ein solches nostalgisches Bild sollte man sich vielleicht vor Augen halten, wenn man die Essays, Studien, Kommentare und Kritiken im Sammelband „Vom Verschwinden des Autors“ liest. Der Herausgeber Günter Eichberger hat bislang verstreute Aufsätze pfleglich zusammengefasst und mit einem einfühlsamen Nachwort hinterlegt.

Peter Simon Altmann, Die Nächte von Bangkok

h.schoenauer - 06.03.2024

peter simon altmann, die nächte von bangkokDas sogenannte erotische Paradoxon zeigt sich in der Literatur, wenn der Schauplatz immer heißer und die Helden immer cooler werden.

Peter Simon Altmann wendet sich in seinen sieben Erzählungen diesem Paradoxon zu, in ausgeklügelten Erzählverfahren werden hitzige Schauplätze aufgesucht, um darin die Helden als kühl agierende Denker zu installieren. „Die Nächte von Bangkok“ erfüllen das spontane Versprechen, Geheimnisse der Eros-Stadt bei Nacht zu lüften. Zusätzlich entsteht für die Leser eine vollends philosophische Befriedigung, die wenig mit hormonellen Zuständen zu tun hat.

Paul Divjak, Ich liebe Österreich, Österreich ist meine Lieblingsstadt

h.schoenauer - 04.03.2024

paul divjak, ich liebe österreichWährend in den meisten Ländern es für den Patriotismus genügt, wenn man die jeweilige Nationalhymne beherrscht, muss man in Österreich mangels Selbstbewusstsein des Landes noch ein paar pfundige Sätze aufsagen, die von den Vorrednern ausgesprochen massenhaft herumliegen. Zudem ist das Land ein Paradies für verschmitzt-denkende Schriftstellerinnen, von denen wegen der vielen Leseauftritte jede einen guten Sager auf Lager hat.

Paul Divjak stellt mit seiner patriotischen Sätze-Fabrik die neuesten Sprüche über Österreich zur Diskussion. Sein Projekt ist ein Meilenstein des verbalen Patriotismus, werden doch die Sager mit künstlicher Intelligenz hergestellt.

Heimo Mürzl / Wolfgang Pollanz (Hg.), Zum Fressen gern

h.schoenauer - 23.02.2024

heimo mürzl, zum fressen gernUnter dem Emblem eines gelben Kürbisses, der von der Ferne der berühmten Yellow Submarine der Beatles ähnelt, erscheinen in der Steiermark regelmäßig Überlegungen, wie Popkultur, Alltag und Kürbis in Einklang zu bringen seien.

„Zum Fressen gern“ ist die aktuelle Anthologie, die sich naturgemäß mit Tieren beschäftigt, freilich unter dem künstlerisch-grotesken Aspekt von Songs und Stimmungen, die einem beim Füttern, Liebkosen oder Aussetzen von Haustieren durch den Kopf gehen.

Bernhard Hüttenegger, Eis.Sturm. Vademecum

h.schoenauer - 07.02.2024

bernhard hüttenegger, eis sturmIm Idealfall der Intimität trifft die Einsamkeit des Lesers mit jener des Autors zusammen. – „Ein Eissturm ist der Atem des Todes.“ (163)

Bernhard Hüttenegger ist auf Abschiedstour, wie man bei darstellenden Künstlern sagen würde, wenn sie sich noch einmal aufraffen, um die letzten Dinge vor Publikum zu rezitieren. Für diese vorletzten und letzten Dinge bietet sich die Form des „Vademecums“ an, womit ein kleines Heft gemeint ist, das man mit sich herumträgt, um die wichtigsten Handgriffe für das Leben nachzulesen, wenn man kurz einmal bei der Sinnsuche ansteht.

Irene Wondratsch, Kein Flugzeug am Himmel

h.schoenauer - 21.01.2024

irena wondratsch, kein flugzeug am himmelDem Tagebuch ist es egal, was in der Welt draußen passiert, es schreibt sich zwischen den Buchdeckeln von selbst voll.

Die Momentaufnahmen von Irene Wondratsch erstrecken sich wie eine riesige Pinnwand über den Zeitraum von April ‘20 bis Februar ‘22 unter dem seltsam leerfegenden Titel: „Kein Flugzeug am Himmel“. Ein leerer Himmel bedeutet Ausnahmezustand, die Leuchtkörper sind aus dem Firmament gefallen, die Witterung ist mehrdeutig, die Blickwinkel Fenster und Mansardenfenster ergeben nur wenig Plastizität für das Nichts.

Thomas Stangl, Diverse Wunder

h.schoenauer - 12.01.2024

thomas stangl, diverse wunder„Es ist kein Verdienst, diesen Ort erfunden zu haben, zufällig bewohne ich diesen Ort.“ (9) – Endlich einmal wird durch diverse Wunder unser auf uns selbst fixiertes Wissen durcheinandergebracht und an einem bislang unbekannten Ort neu aufgesetzt.

Thomas Stangl verkündet im Prolog mit drei Absätzen, was es mit den „Diversen Wundern“ auf sich hat. Sie sind das Ergebnis eines Vorgangs in drei Schritten:
- Zuerst wird alles abgeschabt, was überflüssig ist.
- Diese übriggeblieben Sätze sind von einer Klarheit und Kürze, dass wir meinen, sie alle schon zu kennen.
- Schließlich aber werden sie an einem Ort neu zusammengesetzt, den es bisher noch nie gegeben hat. Und dieser Ort ist sinnigerweise die Existenz des Ich-Erzählers und später die des Lesers.

Brigitte Knapp, Fischer am Berge

h.schoenauer - 10.01.2024

brigitte knapp, fischer am bergeIm Theater gibt es zwei Möglichkeiten, um eine Stück zu inszenieren. Entweder die Direktion hat ein Regiekonzept und sucht ein passendes Stück dazu, oder es hält bereits ein Stück in der Hand und sucht passendes Regiepersonal dazu.

Brigitte Knapp ist für ihren Erzählband „Fischer am Berge“ offensichtlich jenen Weg gegangen, wo ein vorhandenes Erzählkonzept hinterher mit (Frauen-)Schicksalen ausgestattet wird, bis genügend Plastizität vorhanden ist. Den Heldinnen wird nur soviel Schicksal zugestanden, als sie benötigen, um den Kommunikationsstrang offen zu halten. Dadurch wird letztlich ihre Sprachlosigkeit sichtbar, denn sie sind Platzhalter eher für eine Rolle und weniger für sich als Person.

Norbert Gstrein, Mehr als nur ein Fremder

h.schoenauer - 20.12.2023

norbert gstrein, mehr als nur ein fremderEin großkalibriger Autor muss im gegenwärtigen Literaturbetrieb drei Kanäle speisen: Einmal muss er regelmäßig Werke liefern, die einer letztlich sehr engen EU-Norm entsprechen. Zweitens muss er täglich seine Bereitschaft erklären, Preise, Stipendien und Uni-Auftritte zu absolvieren. Und drittens muss er am Branding der eigenen Biographie arbeiten, die im Idealfall zu einem Mythos ausgerollt werden kann.

Norbert Gstrein füttert alle diese Kanäle professionell, wobei das Professionelle vermutlich darin besteht, dass er alles mit stiller Ironie absolviert. So ergibt sich bei seinen Büchern immer eine gewisse Irritation, wie ernst das Gesagte nun gemeint ist, und ob es nicht letztlich gar eine Verhöhnung des Publikums ist, wenn der Autor läppisch das erfüllt, was sich eine von Germanisten angeführte Freundesschar vage von ihm erwartet.