Die standardisierte Reifeprüfung im Unterrichtsfach Deutsch

srp_titel.jpgSeit dem Schuljahr 2014/15 wird die standardisierte Reife- und Diplomprüfung an allen österreichischen Schulen verpflichtend umgesetzt. Wie auch in den Bildungstests für den Bereich der Grundschule oder der Unterstufe zählt die Lesekompetenz auch bei der Reifeprüfung zu den zentralen Fähigkeiten, welche die Schülerinnen und Schülern nicht nur für den Bereich der Unterrichtssprache beherrschen müssen.

Der Unterricht im Fach Unterrichtssprache, zu denen neben Deutsch auch die offiziell anerkannten Volksgruppensprachen Kroatisch, Slowenisch und Ungarisch gehören, verfolgt das Ziel, Schülerinnen und Schüler zu sozial und politisch mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu bilden, die fähig sind, sich an Diskursen zu gesellschaftspolitischen, kulturellen und wirtschaftlichen Themen zu beteiligen. Grundlage dafür ist die „kommunikative Kompetenz“, also der sachgemäße und bewusste Umgang mit der Unterrichtssprache sowie mit Sprache und Sprachlichkeit im Allgemeinen.

Was sind nun die Fähigkeiten, die den Schülerinnen und Schüler im Unterricht vermittelt werden sollen? Zunächst sollen sie lernen, aus Texten zu sozialen, kulturellen, politischen oder literarischen Themen die wesentlichen Informationen zu entnehmen und diese auch als Grundlage für die eigene Argumentation verwenden zu können. Sie sollen lernen neue literarische Texte zu analysieren, zu interpretieren und zu beurteilen. Sowohl für die Rezeption fremder Texte als auch für das Schreiben eigener Sach- oder literarischer Texte sollen alle Medien als Informationsquellen oder als ästhetische Anregungen herangezogen werden können.

Der Lesekompetenz kommt bei den dazu formulierten Sach- und Fachkompetenzen für die Reife- und Diplomprüfung eine eminent wichtige Rolle zu. Im Grundsatzpapier werden „Fähigkeiten wie Lesen, Textverstehen, Textanalyse, Textinterpretation, Textsortenkenntnis, die Fähigkeit, den Inhalt der Ausgangstexte zu verstehen und ihre Problematik in einen Sinnzusammenhang einzuordnen“ ebenso genannt wie auch „die Fähigkeit, zum jeweiligen Thema Stellung zu nehmen“. (Vgl. AHS-Tirol: Verordnung zur Reifeprüfung, S. 8)

 

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Grafik der grundlenden Kompetenzen, die bei der standardisierten Reiferprüfung geprüft werden. Bild: SRDP - Die standardisierte Reife- und Diplomprüfung auf einen Blick, S. 5

 

Der Unterricht legt dazu neben der Hilfe bei Gestaltung schriftlicher Arbeiten und der Interpretation literarischer Texte besonderen Wert auf das Textverstehen und die Lesekompetenz. Schülerinnen und Schüler sollen dabei lernen jede Art von Text zu lesen, zu analysieren und zu interpretieren, wobei dem sprachlichen Wissen bei der Textanalyse eine besondere Bedeutung zukommt.

Den Prüfungsaufgaben der „standardisierten kompetenzorientierten schriftlichen Reifeprüfung / Reife- und Diplomprüfung“ im Fach Deutsch liegen immer Texte zu Grunde, die es zu analysieren und interpretieren gilt und die für die weiteren Aufgabenstellungen eine zentrale Rolle spielen. Lesekompetenz und Textverständnis sind somit die grundlegende Voraussetzung dafür, die Aufgaben der Reifeprüfung bewältigen zu können, unabhängig davon, ob es sich um das Interpretieren von Gedichten handelt oder darum, Sachtexten die wesentlichen Informationen und Urteile zu entnehmen.

Für die Teilkompetenz „Texte verstehen und inhaltlich erschließen“ des Kompetenzbereichs „Lesen“ ergeben sich daraus folgende relevante Deskriptoren:

  • Texten Informationen entnehmen
  • relevante von irrelevanten Informationen unterscheiden
  • Textsorten und deren strukturelle Merkmale unterscheiden
  • Texte hinsichtlich ihrer Inhalte und Gedankenführung analysieren
  • Texte hinsichtlich ihrer sprachlichen Gestaltung analysieren
  • Korrelationen der formalen Aspekte mit Textinhalten erkennen

       (Vgl. dazu: Textsortenkatalog zu SRDP, S. 7)

Gute Übungsmöglichkeiten für die schriftliche Reifeprüfung bietet die SRDP Materialien- und Publikationen-Sammlung, wo die Aufgabenstellungen und Kommentierungen der Reifeprüfungstermine und aller Nebentermine von Jänner 2018 bis Mai 2013 zum gratis Download zur Verfügung stehen.

Die Aufgabenstellungen der Themen der Reifeprüfungen umfasst die Textsorten Empfehlung, Erörterung, Kommentar, Leserbrief, Meinungsrede, offener Brief, Textanalyse von nicht-fiktionalen Texten, Textinterpretation von literarischen Texten und Zusammenfassung.

Ab dem Prüfungstermin Mai 2020 entfallen die Textsorten Empfehlung und offener Brief, die auch in den bisherigen Aufgabenstellungen eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben.

Für das Verfassen von Texten werden die Konzepte Schreibhandlung und Textsorte unterschieden, wobei die Kompetenzen für das Schreiben von Texten grundlegender sind als die Textsortenkompetenz.

Das Schreiben von Texten hat zum Ziel Sachverhalte bzw. Informationen in einem Text auszudrücken und in eine charakteristische Beziehung zueinander zu setzen, um ihr Thema zu entfalten.

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SRDP bietet im Bereich "Materialien & Publikationen" die gesammelten Aufgabenstellungen zu den standardisierten Reifeprüfungen der Haupt- und Nebentermine zwischen 2014 - 2018. Bild: SRDP

 

Kompetenzen der Schreibhandlung

Narration
Informationen werden in einer Erzählung in eine sinnvolle und zielorientierte Chronologie gebracht

Argumentation
argumentative Funktion von Informationen wie Argument, Widerspruch, Einschränkung oder Stützung, die im Text zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Deskription
Typik: Anhand der bewussten Verwendung sprachlicher Stilmittel soll für die Leser erkennbar sein, welcher Textsorte der verfasste Text zugeordnet werden kann. (z.B. Argumentation: typische Phrasen, Signalwörter etc. wie z.B. „Dagegen spricht“)

Kompetenzen der Textsortenerkennung
Textsorten lassen sich sehr schwer kategorisieren und charakterisieren, weil es keine eindeutige „Typologisierungsbasis“ gibt, bei der es um die Klassifikation von Texten auf Grundlage von Merkmalen bzw. deren Kombination und nach ihrer Funktion geht.

Charakteristika von Textsorten

  • Textmuster, die erkannt, verstanden und geschrieben werden
  • Sie sind kulturspezifisch und funktionieren im historischen Kontext
  • Sie sind flexibel und wandelbar und können in Kommunikationssituationen funktionieren und auf gesellschaftlichen Wandel reagieren
  • Sie sind durch den gesellschaftlichen Kontext bestimmt und bilden diesen in den sprachlichen und textuellen Merkmalen ab
  • Sie werden umgesetzt, um bestimmte Ziele in bestimmten Situationen zu erreichen

Schreibhandlungen wie Argumentation, Deskription oder Narration sind Bausteine in Textsorten und dienen dazu, Texte zu verfassen, die einer bestimmten Textsorte zugeordnet werden können. Dabei ist die Kombination verschiedener Schreibhandlungen möglich, wobei für manche Textsorten bestimmte Schreibhandlungen in der Regel als unverzichtbar gelten.

Textsorten sind somit den Schreibhandlungen übergeordnet und erhalten durch deren gezielte Verwendung ihre Charakteristik.

 

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Diagramm: Markt-Huter

Textsorten

1. Deskription (Beschreibung)

Teilelement der meisten Textsorten, wie z.B. bei Feststellung von Sachverhalten

2. Narration (Bericht und Erzählung)

Schilderung von Ereignissen und Zuständen aus einer spezifischen Perspektive. Die Narration nimmt im Unterschied zur Deskription im Text Akzentuierungen sowie Vor- oder Rückgriffe vor und gestaltet damit bewusst die Form.

Wenn im größeren Zusammenhang ein Prozess oder eine Abfolge von Ereignissen erzählt werden soll, wie z.B. Nacherzählung einer fiktiven Handlung im Rahmen einer Textinterpretation oder Zusammenfassung einer Entwicklung im Rahmen einer Erörterung

Unterscheidung: sachlich, objektiver Bericht
                               subjektive und emotional gefärbte Erzählung

beiden gemeinsam: Vergegenwärtigung der Vergangenheit
                                     (Erinnerung oder Bearbeitung einer Quelle)

3. Explikation: (Erklärung / Erläuterung)

Sie identifiziert und verbindet Zustände oder Ereignisse und geht den Fragen nach dem Warum oder Wie nach. Diese Frage sind häufig im Text impliziert können aber auch ausdrücklich gestellt sein. Im Vordergrund stehen logische Zusammenhänge wie Kausalität und Hierarchien, mit deren Hilfe ein besseres Verständnis für einen Sachverhalt oder von externen Zusammenhängen erzielt werden soll, wobei auf eigene Schlussfolgerungen verzichtet wird.

Die Reihenfolgen und Zusammenhänge im Text orientieren sich an Sachverhalten wie Ursache-Wirkung, Grund-Folge und Zweck-Mittel oder Teil-Ganzes, Gesamtmenge-Teilmenge. Ziel der Explikation ist die Vermittlung von Zusammenhängen, weshalb auch das Hintergrundwissen der Zielgruppe berücksichtigt werden muss. Dabei werden Sachverhalte werden häufig durch Beispiele (Illustration) veranschaulicht.

Explikationen sind auch im Rahmen von Textanalysen und Textinterpretationen notwendig, wenn z.B. der Zusammenhang zwischen inhaltlichen, formalen, sprachlichen und textuellen Eigenschaften erläutert werden soll.

4. Argumentation

Hier werden verschiedene Sachverhalte als Elemente in einem Gesamtzusammenhang eingebaut. Diese können als Gegensatz, Übereinstimmung, Einschränkung oder zur gegenseitigen Unterstützung verwendet werden. Sie werden in einen argumentativen Rahmen gesetzt der mit einer These, Fragestellung oder Problemstellung beginnt und am Ende mit einer Schlussfolgerung, Antwort oder Lösung beendet wird.

Ziel der Argumentation ist es, die Leser von einer oder mehreren Sichtweisen zu überzeugen. Argumentiert wird für ein fiktives Gegenüber (simulierter Dialog), um Aussagen, Standpunkte oder Handlungen zu untermauern oder zu problematisieren. Dabei soll die Argumentation rational und nachvollziehbar sein, wobei die Regeln der Schlussfolgerung zu beachten sind, welche Argumente erst akzeptabel machen.

Appelle: besondere Ausprägung der Argumentation, mit denen die Zielgruppen direkt zu einer Handlung aufgefordert werden.

Die Argumentation, als äußerst komplexe Schreibhandlung, erfordert eine konzentrierte Planung und Strukturierung, dabei verbindet sie unterschiedliche Schreibhandlungen als Teilhandlungen, um z.B. anhand von Beschreibungen und Erläuterungen zu argumentieren.

Die Argumentation ist die übergeordnete Schreibhandlung für folgende Textsorten:
Erörterung, Empfehlung und Meinungsrede und außerdem wichtig für Kommentar, Leserbrief, offener Brief und Textinterpretation.

5. Rekapitulation (Wiedergabe / Zusammenfassung)

Hier wird eine Quelle sachlich und aus einer neutralen Perspektive zusammengefasst, wobei der Text möglichst alle Zusammenhänge und Ziele wiedergeben soll. Dabei können bewusst auch einzelne Aspekte als selektive Rekapitulation wiedergegeben werden.

Am Beginn der Rekapitulation ist es sinnvoll die Quelle oder die Verwendung der Quelle im eigenen Text zu thematisieren, wodurch das Verhältnis zur Quelle zum Gegenstand des eigenen Textes wird, wodurch sich auch Unterschiede zur eigenen Bewertung, Sicht- und Herangehensweise zur Sprache bringen lassen.

6. Evaluation (Bewertung)

Die Evalutation bewertet einen Sachverhalt aus einer bestimmten Perspektive. Dazu gehören:

  • die Erfassung eines zu bewertenden Sachverhalts also: Was ist zu bewerten?
  • die Bewertung selbst: Wie wird bewertet?
  • die Reflexion der Bewertung: Einschränkungen, Folgen und Anwendungen der Bewertung

Kriterien für die Bewertung können bestimmte Zielvorgaben oder Aspekte sein.

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In der schriftllichen Reifeprüfung sollen die Schülerinnen und Schüler zeigen, dass sie Sachverhalte bzw. Informationen in einem Text ausdrücken und in eine charakteristische Beziehung zueinander setzen können, um das Thema gezielt zu entfalten. Bild: Pixabay

 

Textsorten- sowie Lese- und Schreibkompetenzen

Textsortenkompetenz ist eine wesentliche Voraussetzung, um erfolgreich Texte schreiben und verstehen zu können. Schreibkompetenz bedeutet darüber hinaus die Fähigkeit praktisches Wissen, inhaltliches Wissen sowie das Wissen um Textstrukturen und die Sprache beim Schreibprozess anwenden zu können.

Es ist wichtig die verschiedenen Ziele und Eigenschaften der verschiedenen Textsorten beim Schreiben eigener Texte anwenden zu können. Wer die Grundlagen der Argumentation beherrscht, kann diese im Rahmen anderer Textsorten anwenden.

Für die Teilkompetenz „Texte verfassen“ des Kompetenzbereichs „Schreiben“ ergeben sich folgende Deskriptoren:

  • Texte mit unterschiedlicher Intention verfassen und die jeweils spezifischen Textmerkmale gezielt einsetzen
  • Texte themen-, adressaten- und medienadäquat gestalten
  • Texte sachlich richtig verfassen
  • Texte sprachsensibel verfassen
  • nicht-lineare Texte erläutern
  • Texte redigieren

In der Beilage „Textsortenkatalog zur schriftlichen Reife- und Diplomprüfung“ werden folgende für die Aufgaben verwendeten Textsorten detailliert vorgestellt:

  1. Empfehlung (nicht mehr ab Prüfungstermin Mai 2020)
  2. Erörterung
  3. Kommentar
  4. Leserbrief
  5. Meinungsrede
  6. offener Brief (nicht mehr ab Prüfungstermin Mai 2020)
  7. Textanalyse
  8. Textinterpretation
  9. Zusammenfassung

Besonders hilfreich für die schriftliche Reifeprüfung dürfte für Schülerinnen und Schüler die übersichtliche Auflistung der wichtigsten Kriterien und Eigenschaften sein, die den verschiedenen Textsorten zukommen. Das gehören:

  • Definition der Textsorte
  • Wichtige Schreibhandlungen
  • Bewertungskriterien
  • Beispiele für verwandte Textsorten
  • Abgrenzung
  • Umfang
  • Situativer Kontext

 

Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 07-03-2018

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