Rezension: Die Spur der Wölfin

Die Spur der Wölfin (GORILLA-Band 42) von Lene Mayer-Skumanz ist spielt in der Steinzeit, Ort und Zeit der Handlung sind mit Stillfried an der March vor rund 25 000 Jahren historisch konkret verankert.

 


Tuuli, die männliche Hauptperson, lebt mit seiner Familie im Lager der Rentierleute am Mückenfluss. Er ist in Siiri, die Enkelin der Schamanin, verliebt und erhofft sich, bald sein „Schlaffell“ mit ihr teilen zu dürfen. Von ihrer Großmutter hat Siiri die Fähigkeit geerbt, als Weltenwanderin ihre Seele auf Reise zu schicken.
 


Das Lager beherbergt drei rätselhafte Gäste aus dem Norden: Vilke, ein fünfzehnjähriges Mädchen, ihren Bruder Sakalas sowie ihren gehörlosen Großvater. Trotz versteckter Hinweise, darunter auch die Spur einer Wölfin, und geheimnisvoller Andeutungen erkennt Tuuli die Wahrheit beinahe zu spät: Auch Vilke verfügt über übernatürliche Kräfte. Da sie allerdings nie gelernt hat, diese zu kontrollieren und zum Guten einzusetzen, wird sie zur Gefahr für die kleine Gemeinschaft. Die Fremde lockt Siiri in eine Falle. Tuuli kann ihr zu Hilfe eilen und während eines verheerenden Gelbsandsturms liefern sich Tuuli, Vilke und Siiris Großmutter in Gestalt ihrer Schutzgeister einen Kampf auf Leben und Tod …

 

Aufbau

Der Geschichte vorangestellt ist ein Personenregister, auf das auch ein erwachsener Leser unter Umständen gerne zurückgreifen wird, werden doch viele Figuren ohne weitere Erklärung in die Handlung eingeführt. Dies hemmt teilweise leider sowohl Lesefluss als auch Lesegenuss.
 

Im Anhang findet sich ein kleines, feines, anschauliches Steinzeitlexikon, in dem Begriffe wie „Speerschleuder“, oft ergänzt durch Abbildungen, erklärt werden. Auf Erklärungen von Wortschöpfungen der Autorin, wie etwa „Schwarzzottel“ oder „Bärenzahn“, hätte man aber meines Erachtens verzichten können, um bei diesen Begriffen nicht den Eindruck einer historischen Faktizität entstehen zu lassen.
 

Der Aufgabe, die Erzählung mit dem historischen Faktenwissen dieser Zeit zu verbinden bzw., wo nötig, zu trennen, stellt sich Dr.Walpurga Antl-Weiser im abschließenden Teil „So etwas gibt’s doch nicht, oder?“. Nach Themengebieten wie „Schamanismus“, „Trance“ oder „Schmuck und Tatoos“ geordnet, findet sich hier ein sehr guter, der Altersstufe des Zielpublikums entsprechender Einblick in unser begrenztes Wissen über die Steinzeit.

 

Was macht dieses Buch zum Jugendbuch?

Die Hauptpersonen sind mit dem vierzehnjährigen Tuuli und der dreizehnjährigen Siiri Jugendliche. Der Leser verfolgt die Geschichte großteils an der Seite Tuulis, begleitet ihn etwa beim Jagen und Honigsammeln. Das macht den Roman auch für das männliche Lesepublikum attraktiv. Als Siiri ihre schamanischen Fähigkeiten entdeckt, erfolgt stellenweise auch ein Wechsel in die personale Erzählperspektive Siiris.
 

Zentrale Themen des Romans sind die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit sowie das Suchen und Finden der eigenen Identität. In den Mittelpunkt gestellt wird die Übernahme sozialer Rollen und Verantwortlichkeit zum Wohle der Gemeinschaft: Während Siiri ihre Fähigkeit einsetzen kann, um die Rentierleute vor einem herannahenden Gelbsandsturm zu warnen, wendet Vilke ihre Kräfte zerstörerisch an. Weitere Themen des Romans, die auch heutige Jugendliche betreffen dürften, sind Sexualität, Liebe, Geschwisterproblematik und der verantwortungsvolle Umgang mit Tätowierungen, die aber allesamt positiv aufgelöst werden.

 

Fazit

Auf sprachlich hohem Niveau wird hier ein interessanter Einblick in das Leben der Steinzeit gewährt. Die Autorin schafft eine spannende, archaische Gegenwelt zum Alltag der Jugendlichen, in der sich dank der Themenwahl viele Jugendliche dennoch wiederfinden werden.
 

Neben jugendlichem Entwicklungsroman, in dem Pubertät und Sexualität behandelt werden, versucht das Büchlein auf knapp hundert Seiten sehr ambitioniert auch noch historische Darstellung und Fantasy-Geschichte zu vereinen, ein Balanceakt, der nicht immer ganz gelingt: Die Handlung entwickelt sich anfangs nur langsam, etwas episodenhaft werden unter anderem steinzeitliche Jagd, Honigernte und Kulthandlungen aneinandergereiht. Erst im letzten Drittel überschlagen sich die Ereignisse, die Weichen dazu wurden natürlich bereits vorher gestellt.

 

Nun aber wendet sich die Handlung ins vollkommen Phantastische: Siiri unternimmt eine Weltenwanderung, die übrigen Hauptpersonen verwandeln sich in ihre jeweiligen Schutzgeister und stehen sich als Wölfin, Falke und Schneeeule gegenüber. Hier ergibt sich das Wagnis, in einem Roman einerseits historisch korrekt sein zu wollen und anderseits mit Elementen aus dem Fantasy-Genre zu jonglieren. Bei manchen Schüler/innen mag der irritierende Eindruck entstehen, die Menschen der Steinzeit hätten nicht nur ihrer Vorstellungswelt gemäß an Schutzgeisterverwandlung und Weltenwanderung geglaubt, sondern tatsächlich über solche Fähigkeiten verfügt.

 

Buchklub GORILLA Band 42
Ab der 6. Schulstufe

 

Text: Maria Hoppichler

Redaktionsbereiche