Erika Kronabitter, Decodierung der Dekaden

Lyrik hat immer mit Rätseln, Fragestellungen und Geheimsprachen zu tun, die Decodierung einer gestellten Aufgabe ist somit oft ein poetischer Vorgang.

Erika Kronabitter spielt mit ihrem Gedichtband „Decodierung der Dekaden“ auf diese rätselhafte Verschleierung der Welt an, die wir täglich entziffern müssen, um uns in einer vagen Zeiteinheit halbwegs zu erkennen. Dabei sind die Dekaden nicht nur Zählstationen unserer Biographie, große Dekaden werden oft von politischen Unternehmungen oder Kirchen ausgerufen, um quasi aus dem Stand eine Epoche zu zünden.

Die Decodierungsmethoden sind vermutlich so mannigfaltig wie es die passenden Rätsel dazu gibt. Ein fast alltäglicher Vorgang geschieht jedoch in der Arbeit am PC, wenn in einem Text gewisse Wörter gesucht und anschließend mit einem anderen Begriff ersetzt werden müssen. Was dabei passiert, wenn das Ich aus dieser Suchfunktion heraus gestrichen wird, lässt sich am Gedicht suchen:ersetzen ablesen:

suchen:ersetzen // nähmen wir das ich aus den dekaden / zerpflügten die zeitungsnotizen wie / wellenkämme / ernteten nur furchtsamen verkümmerter dolden. / die früchte blieben als erinnerungslose reste / ereignislos wie gestrandetes abendrot / wie gesagt: nähmen wir das ich aus den dekaden (47)

Diese Suche nach dem Umtrieb des eigenen Ichs ist über fünf Dekaden ausgelagert, ein gleichsam lebenslängliches Unterfangen also, wobei den einzelnen Dekaden ein gezeichneter Wollknäuel wie bei Kafkas Odradek vorangestellt ist mit jeweils einem Motto: „buchstaben bringen unglück /je weniger umso mehr“ (31).

Dabei liegen die verschütteten Dinge oft unter einer Decke, die wir gar nicht im Auge haben, oder die Sachverhalte sind abgetaucht in eine Zeit vor unserer Untersuchung.

anfang:vertan // manchmal träumen wir unseren anfang / und erinnern uns beim erwachen / nicht. /die fehler passierten dazwischen (119)

Trotz aller Decodierungsmaßnahmen, einem reinen Bemühen und einem Herzen voller Poesie kann ein Lebenslauf freilich zu einem erschreckend engen Grundmuster verkümmern:

vom tisch zum fenster zur tür //vom tisch zum fenster zur tür / hinunter ins tal / vom tisch zum fenster / und bis zu den bergen / vom tisch zum fenster / und wieder zum tisch / und irgendwann vom bett / zum tisch zum fenster / ein bisschen berg und / fenster zum tisch (9)

Dieser ur-alpine Lebenslauf zwischen Mobiliar und Gebirge formt schließlich ein glatt geschliffenes Brett, das vor dem Kopf zu liegen kommt.

Erika Kronabitters poetische Entschlüsselungen aller denkbaren Dekaden eines Lebenslaufs sind unerbittlich genau und dennoch zwischen den Maßnahmen gnädig, wenn die Decodierung des Rätsels mehr zu Tage fördert, als es die Seele auszuhalten imstande ist.

Erika Kronabitter, Decodierung der Dekaden. Lyrik der Gegenwart 25. Illustrationen.
St. Wolfgang: Edition Art Sciene 2012. 135 Seiten. EUR 11,-. ISBN 978-3-902864-13-0.

 

Weiterführende Links:
Edition Art Science: Erika Kronabitter, Decodierung der Dekaden
Wikipedia: Erika Kronabitter

 

Helmuth Schönauer, 29-03-2013

Bibliographie

AutorIn

Erika Kronabitter

Buchtitel

Decodierung der Dekaden

Erscheinungsort

St. Wolfgang

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition Art Science

Reihe

Lyrik der Gegenwart Bd. 25

Seitenzahl

135

Preis in EUR

11,00

ISBN

978-3-902864-13-0

Kurzbiographie AutorIn

Erika Kronabitter, geb. 1959 in Hartberg, lebt in Feldkirch.

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