„Lernen ist etwas Spontanes, Individualistisches und wird oft nur durch Anstrengung erlangt. Es ist ein zeitaufwändiger, langsamer, schritt- und stoßweißer Prozess, der einen eigenen Fluss entwickeln kann, der aber auch Leidenschaft, Geduld und Aufmerksamkeit für das Detail erfordert (sowohl von der Lehrperson, als auch von der bzw. von dem Lernenden).“ (2)
Wohl kaum eine pädagogische Arbeit hat in den letzten Jahren im Bildungsbereich für so großes Aufsehen gesorgt wie John Hatties Mammutstudie „Visible Learning“ zum Thema guter Unterricht. In dieser werden die Ergebnisse von 736 Meta-Analysen aus mehr als 50.000 Studien mit vielen Millionen Lernenden verarbeitet und aufgezeigt, welchen Einfluss bestimmte Methoden und ihre Kombinationen auf den schulischen Unterricht haben.
Bereits in seinem Vorwort gibt uns Hattie einen offenen, klaren und überaus empathischen Einblick in sein Denken und seinen pädagogischen Ansatz. Er erzählt vom fünfjährigen Elliott der an Leukämie erkrankt war und davon, wie die Ärzte ihre Diagnose, ihren Diagnoseplan und ihre Behandlung umgesetzt haben, um das Leben des Jungen zu retten. Es wurde zu einem Jahr permanenten Monitorings und der Rückmeldungen an die Ärzte über die Fortschritte der Behandlung.
Über den gesamten Zeitraum sammelten sie Anzeichen für solche Fortschritte. Sie wussten, wie ein erfolgreicher Verlauf aussieht, und haben darüber alle auf dem Laufenden gehalten. […] Die Botschaften in diesem Buch verdanken Elliott eine Menge. (XXXVIII]
Damit kommt vielleicht mehr als in den einzelnen Analysen zum Ausdruck, worum es im pädagogischen Ansatz von Hattie geht: um das Wissen um das Ziel und das permanente überprüfen, anpassen und kommunizieren der verschiedenen pädagogischen Ansätze, die ein bestmögliches Lernen für jeden einzelnen Schüler ermöglichen sollen.
Auch wenn Hattie nicht die pädagogischen Fähigkeiten von Lehrpersonen im Allgemeinen in Frage stellen will, steht er den „Grammatiken des Schulbetriebs“ skeptisch gegenüber, deren Denken auf Defizite ausgerichtet sind, also vor allem die Lernenden selbst für ihr Lernverhalten hauptverantwortlich machen. Hier wünscht sich Hattie ein neues Verhältnis zwischen Lehrenden, Lernenden und Eltern.
Das Buch selbst nun ist in sechs große Kapitel unterteilt, die sich mit den einzelnen Bereichen des Lernens detailliert auseinandersetzen. Die Kapitel „Lernende“ und „Elternhaus“ untersuchen die verschiedenen Voraussetzungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler und ihrer Familien. Im Kapitel „Schule“ werden vor allem strukturelle schulische Einflüsse auf das Lernen untersucht, wogegen das Kapitel „Lehrperson“ den wichtigen Einfluss von Lehrern aufzeigt.
Im Kapitel „Curricula“ kommen Lerninhalte und Lernziele und im umfangreichsten Kapitel „Unterrichten“ verschiedene Lehrmethoden und -strategien zur Sprache. Dazu gehören z.B. Fallbeispiele, Unmittelbarkeit der Rückmeldung, Lautes Denken, Freiarbeit, Forschendes Lernen, Computerunterstützung, Hausaufgaben und vieles mehr, deren Effektivität für das Lernen detailliert bewertet werden.
John Hatties Studie „Lernen sichtbar machen“ kann allen Lehrpersonen und im pädagogischen Bereich tätigen Menschen wärmstens empfohlen werden. Eigene Verhaltensweisen lassen sich anhand der Studien einer kritischen Selbstreflexion aussetzen, während gleichzeitig neue Anregungen zu verbesserten Lehr- und Lernsituationen führen können. Dabei werden vielfach bestehende Methoden, Maßnahmen und Strukturen, vor allem aber der Unterricht mit einem bewussten Blick neu zu bewerten sein. Ein wichtiges Sachbuch, das Ruhe und Sachlichkeit in eine mitunter überhitzte pädagogische Diskussion bringen kann.
John Hattie, Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von "Visible Learning", übers. v. Wolfgang Beywl / Klaus Zierer [Orig. Titel: Visible Learning: A Synthesis of Over 800 Meta-Analyses Relating to Achievment]
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2014, 472 Seiten, 28,80 €, ISBN 978-3-8340-1450-4
Weiterführende Links:
Schneider Verlag Hohengehren: John Hattie, Lernen sichtbar machen
Wikipedia: John Hattie
Lernen sichtbar machen
Wikipedia: Klaus Zierer
Wikipedia: Wolfgang Beywl
Andreas Markt-Huter, 02-08-2016