Oswald Egger, Euer Lenz

In der Literaturgeschichte gibt es so magische Kosenamen, die das Herz des Belesenen sofort höher schlagen lassen. Lenz ist so ein poetischer Zauberer, der bei jedem Aufruf an die Grenzen seiner Gedankenkapazität geht, manchmal umringt von einem Gebirge.

Oswald Egger, der Schöpfer einer eigenen poetischen Sprache, nimmt den Kosmos des Lenz auf und gestaltet daraus einen Atlas der Poesie. Der wilde Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) gilt seit der Erzählung Lenz von Georg Büchner als der heftigste Borderliner der Literatur, der je nach Tagesverfassung eine eigene Tagessprache erfindet. „Wurmloch zu den Wolken“ heißt so eine bekannte Fügung, die sich jeder Leser persönlich auslegen darf.

Oswald Egger baut sein Buch einerseits auf wie eine Lyriksammlung, wo unendlich viele Stoffkreise in Gedichten abgearbeitet werden, dann wiederum greift er zu kleinen Skizzen, in denen jeweils schier unmögliche Situation zu Sprache transformiert werden. Ab und zu gibt es eine kleine Zeichnung, die als Minimundus zur Milchstraße angelegt ist.

Selbst die Gattung „Textbildchen“ worin eine Verwandlung des Innenraums in einen Wald oder die graphisch formulierte Windstärke eines Tornados dargestellt sind, verwandelt sich in einen textlichen Eintrag Marke Lexikon. Am Schluss sind die Schlüsselbegriffe zu einem Plakat aufgeblasen, das sich wie die Schlachtenkarte eines Generalstabes der Formulierungen auf jede Stirnwand kleben lässt.

Die sprechenden Figuren sind aufgespalten, überlappt oder verdunkelt, darin lässt sich manchmal der Autor erkennen, der sich „Ossian des Südens“ (51) nennt. Oft sind die Sätze einem lyrischen Über-Ich zugeordnet. „Bei mir hinkt zweifellos, besonders bei der Formulierung unkomplizierter Gedankengänge, das Denken dem Sprechen nach.“ (25)

Dann wieder hat sich eine rhetorische Figur, die soeben als Zeichnung plausibel abgetaucht ist, an die Oberfläche des Textes gestrampelt.

Da ich drei überzählige Körperteile habe, lebe ich im Schlaf gleichzeitig in drei Zuständen. (53)

Physikalische oder zoologische Gebilde formen sich zu neuen Kreaturen aus: „Mir ist ein Hund in Wurmform zugeflogen.“ 63) Oder sie verschwinden durch einen Trick jenseits der Schwerkraft:

Während ein Ding oder ein von etwas umgrenztes Loch gewöhnlich im gebrochenen Wort bricht (als Gegenstand mit Raum ringsumhin), gelingt es Linz und Lunz in Räume einzudringen, die ohne Hülle Fülle sind. (36)

Die in die hintere Buchtasche geklemmte Karte trägt den sinnigen Titel: „Trollatischer Purzel-Atlas aus Windgnomen-gelenkigen Kaprizier-Trittlingen in quasi unüberdrehter Tabulatur.“

Oswald Eggers Poetik-Eruptionen sind von einer Heftigkeit, dass sie auch auf noch so vielen Poetik-Lehrstühlen nicht zum Niedersetzen gebracht werden können.

Oswald Egger, Euer Lenz. Prosa.
Berlin: Suhrkamp 2013. 237 Seiten. (Plakat) EUR 49,40. ISBN 978-3-518-42351-6.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Oswald Egger, Euer Lenz
Wikipedia: Oswald Egger

 

Helmuth Schönauer, 14-10-2013

Bibliographie

AutorIn

Oswald Egger

Buchtitel

Euer Lenz. Prosa

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

237

Preis in EUR

49,40

ISBN

978-3-518-42351-6

Kurzbiographie AutorIn

Oswald Egger, geb. 1963 in Tscherms, lebt in Hombroich / Neuss.

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