Wolfgang Popp, Ich müsste lügen

Wenn man sich vor Augen hält, wie oft jemand am Tag lügt, kann man davon ausgehen, dass die Floskel „Ich müsste lügen“ eine Leerformel ist.

Mit diesem Geräusch der Wahrheit hat es in Wolfgang Popps Roman jedenfalls die Ermittlerin Eva Rauch zu tun, sie soll einen verschwundenen jungen Lebenskünstler namens Schall ausfindig machen, eine Mission zwischen Schall und Rauch gewissermaßen. Im Mittelpunkt steht der Bestsellerautor Will, der einerseits durch seine Romane neue gesellschaftliche Wirklichkeiten schafft, andererseits seine Texte nach Fallstudien verfasst.

In einem Konglomerat von Krimi und Meta-Krimi gehen die Figuren fallweise verloren und tauchen auf einer anderen Ebene wieder als neue Helden auf.
So liest die Ermittlerin mit der Zeit das Gesamtwerk des Dichters Will, gleichzeitig verfasst sie packende Ermittlungsprotokolle, die von den Vorgesetzten wie Krimis gelesen werden. Der Erfolgsautor hat Bücher mit grenzwertigen Titeln geschrieben wie Herbst und Nacht, Japan glaube ich, Abgelegte Seiten oder Flüchten vor Godot.

Die Titel stehen für ein ganzes Programm, das sich um Auflösung von Erwartung, Verwischen von Zeit oder beiläufige Lokalisierung von Handlung kümmert. Dabei fallen so bedeutsame Einstimmungen wie:

Die Uhren sind eckig geworden, die Zeiger können nicht mehr die Kurve kratzen und die Zeit hängt auf ihnen als triefender Lumpen in der feuchten Luft zum ewigen Trocknen. (216)

Zwischendurch klärt die Ermittlerin einen Serieneinbruch, stellt einen Leichenfund für die Presse dar und vergisst, dass sie eigentlich den verschwundenen Will suchen soll. Ein Psychologe, der den Hintersinn erklären soll wird prompt von einem Auto überfahren und in den Erkundungs-Tiefschlaf versetzt. Zwischen Lektüre und Ermittlung verwischen sich die Grenzen, selbst der Leser wird allmählich mit in die Handlung eingebaut, indem er den Kommissars-Part übernimmt, während die Kommissarin unter kundiger Anleitung des Dichters in das Genre der sogenannten Elite-Verbrechen wechselt.

Am Schluss kommt es zu einem dechiffrierenden Showdown Marke Agatha Christie. Alle Rollen sind vertauscht, Lüge und Wahrheit haben sich abgelöst, Lektüre und Realität sind eins geworden. Vielleicht haben die Figuren sogar noch einen erotischen Stunt vor sich, ich müsste lügen, könnte ich das wissen, sagt sich der Leser.

Wolfgang Popps Meta-Krimi verknüpft geschickt Literaturbetrieb, Leser-Wirklichkeit und Krimi-Theorie zu einem mehrdeutigen Text-Gebilde, in dem Planung und Zufall die Hauptdarsteller geworden sind. Es gibt dabei keine Lösung, weil es keinen Fall gibt, aber das macht den Reiz dieser Überlegungen aus.

Wolfgang Popp, Ich müsste lügen. Roman.
Bozen, Wien: Folio 2013. 238 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-85256-603-0.

 

Weiterführender Link:
Folio-Verlag: Wolfgang Popp, Ich müsste lügen

 

Helmuth Schönauer, 14-01-2013

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Popp

Buchtitel

Ich müsste lügen

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Folio-Verlag

Seitenzahl

238

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85256-603-0

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Popp, geb. 1970 in Wien, lebt in Wien.

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