Zoran Feric, Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr

Der Originaltitel „Kalendar Maja“ und der verrückt gute deutsche Titel sprechen gleichermaßen die Geheimbotschaft des Romans an: Es gibt eine mysteriöse Zeitmessung, die vielleicht für das Weltall gilt, vielleicht aber nur für uns persönlich gemacht ist.

Zoran Feric schickt in diesem Erkundungsroman den Protagonisten Thomir Romar durch eine Kindheit der Tito-Ära und anhand einer beinahe belanglosen Gynäkologen-Biographie durch die jüngere Zeitgeschichte Kroatiens.

Anlass für diesen Erinnerungssturm des Helden ist ein Revival, eine Matura-Klasse des Jahres 1961 will noch einmal eine Küstenschifffahrt entlang Dalmatiens absolvieren, wie sie es nach der Matura gemacht hat. Das Hauptereignis ist dabei, wie bei Siebzigjährigen üblich, das Einschiffen, die Reise selbst ist anstrengend, zumal von den ehemals dreißig Schülerinnen und Schülern nur noch zwölf am Leben sind und sich dadurch die Auswahl an Gesprächspartnern stark einengt.

Auf dieser Fahrt trifft der Held wieder seine Jugend- und Dauerliebe, die ihn an manchen Tagen fast den Nerv gezogen hat, zumal sie in der halben Welt herumreiste und er als Gynäkologe nur den Ausblick in die Welt des weiblichen Genitals als Perspektive hatte.

Überhaupt ist Thomirs Lebenskonzept stark von sexuellen Erlebnissen und Traumata bestimmt. Als Kind wird er von einem Freund zu einer Szene mitgenommen, bei der die Mutter des Freundes einen heftigen Seitensprung mit Akt hinlegt, die Einschulung durch eine Prostituierte mündet auf die Frage, wie lange das dauert, in der legendären Anleitung: Bis du fertig bist! Und als nach dem Tod der Mutter Vater und Sohn sexuell in Form und Notstand geraten, halten sie sich im prosperierenden Jugoslawien an Beate Uhse und zelebrieren ihre Geliebte Beate.

Vielleicht macht es das Alter, dass diese Ereignisse so überdimensional durchschlagen. Der Held sitzt an einem Vormittag im Café und bezahlt seine Rechnung doppelt. Jetzt weiß er, dass das Alter da ist, er kann es auf die Minute festlegen.

Kraft für diesen Umgang mit dem Altwerden und der Zeit gibt dem Helden ein Buch, das er von einer Patientin einmal nach einem gynäkologischen Einsatz geschenkt bekommen hat: Malcolm Lowry, Unter dem Vulkan. Darin erzählt der Held, dass ihm der Monat Uayeb im Maya-Kalender am liebsten ist, weil er nur fünf Tage hat.

Zoran Feric erzählt frech in der Manier eines alten Lausbuben von den Streichen, die das Land und der Held so in den letzten siebzig Jahren ausgeheckt haben. - Witzig hintersinnig.

Zoran Feric, Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr. Roman. A. d. Kroat. von Klaus Detlef Olof. [Orig.: Kalendar Maja, Zagreb 2011].
Bozen, Wien: Folio 2012. 538 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-85256-609-2.

Weiterführende Links:
Folio-Verlag: Zoran Feric: Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr
Wikipedia: Zoran Feric

Helmuth Schönauer, 06-01-2013