Aléa Torik, Das Geräusch des Werdens

Wie klingen eigentlich große Ereignisse wie die Kontinentalverschiebung oder die Fluktuation der Bevölkerung? Macht die Zeit an und für sich Geräusche oder verhält sie sich wie Windstille?

In Aléa Toriks Roman „Das Geräusch des Werdens“ werden letztlich poetische Fragen mit handfesten Geschichten beantwortet. Es geht um formidable Menschen, die ein Schicksal ausfassen und es quer durch den Kontinent tragen.

Gleich zu Beginn stellt sich Marjan als eine Hauptfigur vor. Er ist in einem rumänischen Dorf als Kind erblindet und später nach Berlin gekommen, wo er sich schwer in Leonie verliebt hat. Als blinder Fotograf stellt er die seltsamsten Bilder aus, denn er ist Fachmann für den klaren Blick, schließlich hat er beides erlebt, die sogenannte sichtbare Welt und die begreifbare. Auf Marjan geht auch das Leitmotiv des Romans vom Geräusch des Werdens zurück, denn er hat es gelernt, Räume zu begreifen und Zeit zu hören.

Sichtbarer Ausdruck für das Sehen lernen ist die Emigration. In einer fremden Umgebung taucht jeder letztlich als Blinder auf und muss sich zurechtfinden, erschwert wird dieser Zustand oft dadurch, dass in der neuen Umgebung oft nur „Erblindete“ leben.

Der Roman erzählt über weite Strecken vom Ankommen dieser Ausgewanderten in so Städten wie Paris und Berlin, dabei ist es oft purer Zufall, wohin es diese Helden verschlägt.

Einer verwechselt beispielsweise das Paradies mit Paris, kauft sich tatsächlich eine Einweg-Fahrkarte nach Paris und landet aber, weil er die Sprache nicht versteht, in Berlin. Macht nichts, denkt er sich, dann wird eben Berlin das Paradies.

Klare Überlebensgeschichten, romantisch durch die Entfernung der Erinnerung gefiltert, spielen sich in den Karpaten-Dörfern Rumäniens ab. Eine Lehrerin, die als Dorfchronistin den Auszug der Bewohner kommentiert, rettet einige Geschichten für die Nachwelt, die Ausgewanderten nehmen Erinnerungen an die vergangenen Zeiten mit, und wenn es oft nur ein einziger Satz ist. So hat ein Großvater als Dorfschuster bei der Anprobe immer den Befehl ausgegeben:

Bitte geh wie ein Mensch! (58)

Ob in den Karpaten oder in Berlin, ob vor drei Generationen oder in der Gegenwart, manche Probleme des Erwachsenenwerdens und der Liebe sind Zeit- und Ort-los. Etwa wenn Vierzehnjährige überlegen, wie eine fremde Zunge im eigenen Mund schmeckt oder ob eine schräge Zahnstellung einen Einfluss auf die Potenz hat.

Aléa Torik erzählt augenzwinkernd romantisch vom Überlebenskampf ihrer Figuren in einer ziemlich unüberschaubar gewordenen Welt. Für diese Auseinandersetzung mit dem Leben gibt es freilich starke Hausmittel aus den Karpaten, die überall gelten: Humor und Poesie. – Ein stiller und fröhlicher Roman über das Geräusch des Werdens.

Aléa Torik, Das Geräusch des Werdens. Roman.
Berlin: Osburg 2012. 368 Seiten. EUR 20,60. ISBN 978-3-940731-75-3.



Weiterführender Link:
Osburg-Verlag: Aléa Torik, Das Geräusch des Werdens

 


Helmuth Schönauer, 14-02-2012

Bibliographie

AutorIn

Aléa Torik

Buchtitel

Das Geräusch des Werdens

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Osburg

Seitenzahl

368

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-940731-75-3

Kurzbiographie AutorIn

Aléa Torik, geb. 1983 in Siebenbürgen, lebt in Berlin.