Alexa Wild, Schwarze Nebel, weiße Hände

Die Geschichte ist insgesamt ein grobmaschiges System, durch das letztlich mehr Menschen unbehelligt bleiben als von ihr wahrgenommen werden. Vielleicht ist es der geheime Sinn von Menschen in Randlage, dass sie ihre Geschichte individuell verwalten und sie nicht als Baustein irgendeines Gefüges ausgenutzt werden.

Die Journalistin Alexa Wild hat sich auf die Spur eines unbekannten „Geschichts-Helden“ gesetzt und ist auf Lukas Sekolovnik gestoßen, der in der Umgebung der Soboth jenseits aller Staatsgrenzen unauffällig sein Leben verbracht hat.

Als staatenloser Waldmensch hat er ein halbes Jahrhundert im Holz arbeitend zwischen Jugoslawien und Österreich verlebt, dabei sind die Ereignisse immer zu ihm gekommen, nie wollte er selbst irgendwelche Sachen auslösen.

Nach dem ersten Weltkrieg zieht sich durch die monarchistische Steiermark plötzlich eine Grenze, die aber sehr locker gehandhabt wird. Die Menschen schlagen sich mit Schmuggel und allerhand Überlebenskünsten durch, ein Vorfahre hat sogar das Geld selbst geprägt, wobei die gefälschten Münzen oft so schwindlig komponiert sind, dass sie im Zahlungsverkehr auseinander fallen und den Fälscher entlarven.

Am Land herrscht eine geheimnisvolle Hierarchie, die Großbauern achten auf ihre Töchter, die gerne in Milch baden, im Übrigen wird nicht viel über Politik geredet, das ist für alle besser so.

Dann kommt der zweite Weltkrieg und insbesondere die SS in die Gegend, alle werden verdächtigt, mit den Partisanen zusammenzuarbeiten, die Mutter des Luca wird hingerichtet. Gerade weil diese Geschichte gefiltert ist durch die Erzählung des Lukas und die Aufzeichnung der Journalistin, prägt sie sich unbarmherzig in die Leser ein. Totalitäre Regime sparen nichts aus, es gibt keinen Flecken Wald, wo man sich verstecken könnte.

Im kalten Krieg ist die Grenze zwischen Österreich und Jugoslawien dann dicht, Luca ergattert eine Staatsbürgerschaft und baut die Republik auf durch Holzfällen, wobei für ihn selbst nicht viel übrig bleibt. Von seiner Hochzeit gibt es nicht einmal ein Foto, spät kommt der Strom in seine Keusche, spät macht er den Führerschein, spät erzählt er seine Lebensgeschichte. Lukas Sekolovnik fasst das alles zu einem stillen Motto zusammen.

So ist alles gegangen vorwärts und jetzt ist es wieder weg. (6)

Kein Wunder also, dass selbst die Pensionierung wie eine Heimsuchung wirkt. Als er sich bei einem zufällig durch die Gegend streifenden Beamten nach möglichen Pensionsansprüchen erkundigt, wird er stracks pensioniert. So schnell hätte es auch nicht sein müssen, meint der Geschockte.

Schwarze Nebel, weiße Hände verweist auf diese Tätigkeit im Holz, wo zu manchen Jahreszeiten nur die Hände der Arbeitenden als weiße Schemen zu sehen sind. Andererseits deutet der Titel eine Geschichtshoffnung an, dass man vielleicht trotz einer brutalen Umgebung mit weißen Händen durchkommen kann, wenn man sie durch hartes Anpacken unsichtbar hält.

Und letztlich besticht das Helle dieser Biographie, etwa wenn der Erzähler stolz darauf hinweist, dass er heute mit 87 immer noch keine Brille zum Lesen braucht. Und gelesen hat er immer, mit oder ohne Elektrizität.

Alexa Wild, Schwarze Nebel, weiße Hände. Die unfassbare Lebensgeschichte des staatenlosen Holzfällers Luca zwischen Österreich und Slowenien (1925 bis heute). Abb.
Graz: Edition Keiper 2014. 166 Seiten. EUR 18,70. ISBN 978-3-902901-44-6.

 

Weiterführender Link:
Edition Keiper: Alexa Wild, Schwarze Nebel, weiße Hände

 

Helmuth Schönauer, 24-08-2014

Bibliographie

AutorIn

Alexa Wild

Buchtitel

Schwarze Nebel, weiße Hände. Die unfassbare Lebensgeschichte des staatenlosen Holzfällers Luca zwischen Österreich und Slowenien (1925 bis heute).

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Keiper

Illustration

o. A.

Seitenzahl

166

Preis in EUR

18,70

ISBN

978-3-902901-44-6

Kurzbiographie AutorIn

Alexa Wild ist Journalistin und Übersetzerin in der Steiermark.