Andrea Drumbl, Narziss und Narzisse

Das Kind schaut so lange in den Blumentopf, bis darin Narziss und Narzisse lebendig werden. Was als reine Verzierung des Balkonsimses gedacht ist, entwickelt sich zu einer Tragödie von selbstverliebten bodenständigen Figuren, die ihr Leben lang in sich angewurzelt bleiben.

Andrea Drumbl lässt ihren Roman in einem vegetativen Bogen zwischen Sommer und nächstem Frühjahr ablaufen. Von vorne herein ist klar, dass es gewisse Jahreszeiten gibt, denen man nicht entkommt. Das Schicksal der Menschen läuft ab wie die Zwiebelkomposition von Narzissen, nur dass sich mythologisch zwischendrin Selbstreflexionen bis hin zur Selbstbespiegelung draufsetzen lassen.

Gisela kriegt im Sommer das Mädchen Nurit, alle freuen sich, vor allem die Schwester Judith, dann liegt das Kind plötzlich tot im Bettchen und die Welt bricht zusammen. Während Judith den Tod mit Zeichentrickfilmen und andern Spielen scheinbar locker kindlich wegzustecken vermag, verfällt Gisela in Alpträume und Schuldtümpel, worin Mörder ihr Kind holen.

Im Herbst ist die Familie schon zerfallen. Vater Jakob stirbt am Herzinfarkt, die befreundete Familie mit Clara und Peter kümmert sich um Judith, und dann dreht diese Clara durch und versucht ein Kind zu entführen und sich das Leben zu nehmen. Tatsächlich stirbt Clara und wird im Fluss gefunden.

Der Winter treibt die Fragmente der beiden implodierten Familien zusammen, Gisela und Peter werden ein Paar. „Ihr Schoß trieb ihn zur Ekstase!“ (92) Das Haus wird verkauft, für Judith gibt es ein Kätzchen.

Im Frühjahr wird alles wieder gut, die Trauerarbeit zeigt ihre Wirkung. Doch da stellt sich Judith bei einem Spiel tot, und der ganze Wirrwarr im Kopf beginnt von vorne. Peter zieht ein erstes Resümee:

Was ist das bloß für eine Welt, die man als Kind unschuldig und nichts ahnend betritt, um sich zu suchen und zu finden und sich dann doch wieder zu verlieren, weil man nicht zueinanderfindet, nicht in dieser Welt. (134)

Und die kleine Judith arbeitet für sich einen Traum auf, in dem ihr der verstorbene Vater erscheint und erklärt, dass sie alleingelassen wird von Narziss und Narzisse. Es schaut eben jeder auf sich so gut er kann.

Andrea Drumbl erzählt den Ablauf von psychologischen Jahreszeiten und das Zueinanderfinden von sich abstoßenden Personen mit der Coolness der Goetheschen Wahlverwandtschaften. In diesem Quadrat von Beziehungen zwischen Leben und Tod ist die kleine Judith eingespannt, die für ihr Alter oft verdammt reif und psychisch austherapiert wirkt. Gegen vieles gibt es eine Therapie, vieles muss man alleine aussitzen, denn letztlich sind wir nichts anderes als ein paar Topfpflanzen in einem Blumenkistchen, das durch die Jahreszeiten surft. Berührend cool!

Andrea Drumbl, Narziss und Narzisse. Roman
Wien: Edition Atelier 2014. 144 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-902498-86-1.

 

Weiterführende Links:
Edition Atelier: Andrea Drumbl, Narziss und Narzisse
Wikipedia: Andrea Drumbl

 

Helmuth Schönauer, 28-04-2014

Bibliographie

AutorIn

Andrea Drumbl

Buchtitel

Narziss und Narzisse

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Atelier

Seitenzahl

144

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-902498-86-1

Kurzbiographie AutorIn

Andreas Drumbl, geb. 1976 in Lienz, lebt in Wien und Kärnten.

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