Ann Cotten, Der schaudernde Fächer

Ein Fächer verhüllt einerseits das Antlitz, gleichzeitig bewegt er es durch seine Zuckungen. Wenn er dann gar noch zu schaudern anfängt, liegt das entweder am Gesicht oder an der Welt, die er beide jeweils zu bewegen versucht.

Ann Cotten nimmt ein japanisches Kult-Gerät in die Hand, um in siebzehn Erzählungen Bewegung in emotionale Ruhezonen zu bringen. Dabei geht es meist um Gefühle, die sich kunstvoll an der Oberfläche wegwischen lassen oder deren Tiefgang durch rituelle Handlungen kalt gehalten werden müssen.

Ein Musterbeispiel für kalte Intensität ist die „Gelangweilte Combo“. In Filmen schlafen die Musiker beinahe ein, während den Helden im Umfeld der Combo beinahe das Herz zerspringt. Dieser Zustand zwischen eingeschlafenem Gesicht und heftiger Emotion ist auch die Triebfeder für das Schreiben, eine Ich-Erzählerin strukturiert kurz ihre Triebe, die sie zum Schreiben anspornen. Dabei vergleicht sie den Schreibstil Doderers mit jenem von Musil, die ja beide etwas von einer gelangweilten Combo in sich haben.

In der asiatisch unterlegten Erzählung „Talgblasen“ beobachtet die Erzählerin Samsung und Fun Son, die ein kaltes erotisches Ritual hinlegen, eine Mischung aus Hundeverhalten und der Ausblühung von Algen.

Oft kommen die Geschichten als Essay oder spontane Erörterung für ein Interview daher. „Fassen wir Liebe auf als einen Verdacht“ (80) heißt es wie in einem Aufsatz. Am Beispiel eines Busses, worin sich die Fahrgäste während der Fahrt mehr oder weniger reiben, werden die diversen Möglichkeiten erörtert, wie sich aus diesen Reibungen Verhältnisse oder kleine erotische Stunts ergeben könnten.

Unter dem Windschatten des schaudernden Fächers tragen sich auch eruptive Begebenheiten zu.

Als ich bemerkte, dass ich mit meiner Masturbation den ganzen Anbau zum Erzittern brachte, schnallte ich, dass es die richtige Entscheidung war. (247)

Die Erzählerin schließt eine längere Reise offensichtlich mit gekonntem Handwerk ab.

Ann Cottens Erzählungen führen die Leserschaft ständig in die Irre. Wo Gefühle auftauchen sollten, kommt verlässlich eine Formel, die die Funktion einer Ablehnung erklärt. Wo man glaubt, dass Gerätschaften ruhig in einer Vitrine zur Schau gestellt werden, fangen diese plötzlich ein animalisches Leben an. Wenn man glaubt, dass die Erzählerin späten Naturgeheimnissen des Herbstes auf die Schliche kommt, führen seltsame Anleitungen in einen Seitenweg der Erkenntnis:

Um wilde Tiere zu studieren, muss man sich dahin begeben, wo sie leben. (159)

Kaum ist ein Setting ausgeleuchtet, wird sofort das Fach gewechselt, aus einem Picknick wird eine germanistische Vorlesung, aus dem Vogelgezwitscher ist deutlich die Funktion einer Rahmenerzählung herauszuhören.

Ann Cottens Erzählungen haben Methode, sie scannen die Geschehnisse an der Oberfläche so grobkörnig, dass darin eine neue Geschichte zu sehen ist. – Raffinierte Erzähl-Rätsel.

Ann Cotten, Der schaudernde Fächer. Erzählungen.
Berlin: Suhrkamp 2013. 250 Seiten. EUR 22,60. ISBN 978-3-518-42389-9.

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Ann Cotten, Der schaudernde Fächer
Wikipedia: Ann Cotten

 

Helmuth Schönauer, 24-10-2013

Bibliographie

Erscheinungsjahr

2013

Kurzbiographie AutorIn

Ann Cotten, geb. 1982 in Iowa, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin.