Antonio Fian, Das Polykrates-Syndrom

Alle Krankheiten, die nach alten griechischen Sagenfiguren benannt sind, sind in Wirklichkeit moderne Seelen-Deformationen, die es mit antikem Design zu modischer Anerkennung bringen. Polykrates, der Tyrann von Samos, hat so viel Glück, dass er sich schließlich selbst davor zu fürchten anfängt.

Antonio Fian bringt in seinem Roman „Das Polykrates-Syndrom“ einen modernen Helden ins Spiel, der tatsächlich unwahrscheinlich viel Glück hat, obwohl er das pure Grauen durchlebt. Der Akademiker Artur arbeitet wie in Österreich üblich in prekärer Situation in einem Copy-Shop, seine Frau Renate ist wie in allen Aufsteiger-Ehen Lehrerin mit Aussicht auf einen Direktionsposten.

Als eines Tages kurz vor Copy-Schluss eine Frau den Laden betritt, geht ein Ruck durch den Ich-Erzähler, sein Leben verändert sich schlagartig im wahrsten Sinne des Wortes. Er geht der Frau nämlich nach und wird von einem sogenannten Arschloch zusammengeschlagen. In einer wohlgeformten Ehe wird zu Hause jede Kleinigkeit zur Tragödie, weshalb die außerehelichen Aktionen mit umso größerer Vorsicht gesetzt werden müssen.

Auf Weihnachten hin eskaliert das offizielle Familien-Getue zur Über-Idylle, während die Seele in den Abgrund fällt. In exzessiven Schicksalsschlägen sterben der Reihe nach die Protagonisten und müssen entsorgt werden. So kommt es zu einer der blutigsten Weihnachtsfeten der Literaturgeschichte, indem Artur seine Seitensprung-Frau vor den Augen seiner Frau zerlegen, ausbeindeln und in einem Dutzend Mullsäcke entsorgen muss.

In diesem Zustand aus Trance, Suff und Mental-Erektion fragt sich der Ich-Erzähler immer wieder, wie er in diese Lage gekommen ist. Offensichtlich ist es die Suche nach Glück, die einen zu den absurdesten Verrichtungen hinreißen lassen.

Es ist eine Krankheit, denke ich, meine Krankheit. Ich nenne sie das Polykrates-Syndrom. Polykrates, Sie wissen schon, der mit dem Ring. (31)

Blöd nur, wenn das Glück vielleicht gar nicht gekommen ist und bereits unverdienterweise mit den Bestrafungen anfängt. Oder aber das Unauffällige ist schon das Glück gewesen, dann wäre die Bestrafung ok, aber natürlich extrem maßlos.

Als Leser ist man völlig aufgerieben in dieser Groteske, die oft gerade noch gut ausgeht, obwohl alles an der Kippe steht. Wie in einem Alptraum springen die Autos im entscheidenden Moment nicht an, tauchen ungebetene Gäste auf und wollen sich im Bad die Hände waschen, wo gerade die Leiche zerlegt wird, geht eine sexuelle Übung völlig daneben, werden plötzlich alle Frauen schwanger und klagen Alimente ein, erzählen Nachhilfeschüler zu Hause von spontanen Perversitäten des Nachhilfelehrers, tauchen Frauen zu früh auf oder erscheinen nicht am ausgemachten Fleck, läutet die Polizei und will etwas ganz anderes.

Für Antonio Fian ist das Unwahrscheinlichste immer das Normalste oder Österreichischste, wie das in seiner Diktion heißt. Das Polykrates-Syndrom ist eine Klamauk-Tragödie, die den Glückssuchenden Protagonisten abwatscht und vor sich hertreibt. – Für österreichische Verhältnisse atemberaubend schnell.

Antonio Fian, Das Polykrates-Syndrom. Roman.
Graz: Droschl 2014. 238 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-85420-950-8.

 

Weiterführende Links:
Literaturverlag Droschl: Antonio Fian, Das Polykrates-Syndrom
Wikipedia: Antonio Fian

 

Helmuth Schönauer, 07-02-2014

Bibliographie

AutorIn

Antonio Fian

Buchtitel

Das Polykrates-Syndrom

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Droschl Verlag

Seitenzahl

238

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-85420-950-8

Kurzbiographie AutorIn

Antonio Fian, geb. 1956 in Klagenfurt, lebt in Wien.

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