Chris Adrian, Ein besserer Engel

Zum Unterschied vom Roman lassen sich bei Erzählungen oft besonders markant die typischen Erzähl-Fräsungen eines Autors feststellen, weil ja jede Erzählung wieder von null beginnt und jedes Mal der ganze Handwerkskoffer ausgepackt werden muss.

Chris Adrian stellt neun solcher Erzähleinsätze vor, die meist mit einem Vorspann eines Kindes beginnen. Also jemand ist gerade sechs oder neun, dann wird das Markante dieser Figur erzählt, ehe Jahre später dann die Kern-Erzählung einsetzt.

„Voll aufs Gas“ ist ein Lebensmotto, das erst mühsam erlernt werden muss. Der Ich-Erzähler gilt schon als Neunjähriger als Wunderkind, doch jetzt in der Pubertät kommen noch neue Erfahrungen hinzu. Die Sprache etwa verlangt einem an manchen Tagen das Letzte ab. So gelingt es dem Helden plötzlich nicht, ein Happy Meal zu bestellen, und als er es dann über Umwege kriegt, schmeckt es nach Enttäuschung. Dabei vermeidet er generell, Wörter wie Scheiße oder Whopper zu verwenden. (21) Als eine Aushilfslehrerin kommt, entführt ihn diese und fährt mit Vollgas in die Erotik. Der Begriff Spritztour erfährt eine neue Bedeutung.

„Das Ganze und die Teile“ spielt in einer Klinik, wo Patienten und Transplantationen im Kreis laufen. Einmal wird eine Transplantation abgesagt und die Schwester fragt ganz betroffen: „Und was mache ich jetzt mit der Leber?“ (59)

„Stiche“ machen ein Viertel unsicher, als immer öfter Kleintiere erstochen aufgefunden werden. Allmählich artet das Ganze zu einem Massaker aus, zumal der Erzähler als Kind seinen angewachsenen Zwillingsbruder verloren hat und glaubt, mit irrwitzigen Handlungen ihn beeindrucken zu können. Dem Mädchen, das ihn bei den Tötungen begleitet, schaut er zuerst ins Höschen und verspricht, niemandem zu sagen, was er da für langweiliges Ding gesehen hat. (78) Erotisch stimuliert töten in der Folge die beiden ziemlich viel Lebewesen, ehe sie den besoffenen Santa niederstechen, der aber überlebt und sich an nichts mehr erinnern kann.

„Die Vision des Peter Damien“ geht von der verrückten Überlegung aus, dass man Krankheiten nur träumt. Aber bald delirieren auch andere Kinder, sehen Engel, die zu ihnen wie in Rilke-Elegien sprechen und das Einstürzen der Twin Towers als jenseitige Botschaft verkaufen.

In der Titel-Erzählung „Ein besserer Engel“ pflegt ein Arzt seinen sterbenden Vater. Er tritt mit einem Engel in den Wettstreit, wer das bessere Pflegeprogramm hat und versucht mit Zauber-Namen die Krankheit zu besiegen. Onkoloquatsi ist sozusagen der persönliche Krebs, der sich bewältigen lässt. Leider stirbt der Vater gerade als der Erzähler eingeschlafen ist.

In der letzten Erzählung kämpft der Erzähler ziemlich theologisch mit dem Antichristen um die Wahrheit nur um festzustellen, es ist ein schweres Los, der Sohn des Teufels zu sein.

Chris Adrians Erzählungen führen von einem scheinbar naiven kindlichen Werte-Podest aus in jenseitige Höhen und Tiefen, wobei der Tod immer wieder durchschritten wird, als wäre er eine simple Tür. – Raffiniert hintersinnig!

Chris Adrian, Ein besserer Engel. Erzählungen. A. d. amerik. von Thomas Piltz. [Orig.: A Better Angel, New York 2008].
Reinbek: Rowohlt 2014. 299 Seiten. EUR 20,60. ISBN 978-3-948-00086-8.

 

Weiterführende Links:
Rowohlt Verlag: Chris Adrian, Ein besserer Engel
Wikipedia: Chris Adrian

 

Helmuth Schönauer, 17-04-2014

Bibliographie

AutorIn

Chris Adrian

Buchtitel

Ein besserer Engel. Erzählungen

Originaltitel

A Better Angel

Erscheinungsort

New York

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Reinbek Verlag

Übersetzung

Thomas Piltz

Seitenzahl

299

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-948-00086-8

Kurzbiographie AutorIn

Chris Adrian, geb.1970 in Washington DC, ist Theologe und Arzt.